„Bloß kein frommes Gelaber“

Pfarrer Jürgens fordert bessere Sprache der Kirche

Wie reden wir in der Kirche über Gott? Oft zu theoretisch und über die Köpfe der Menschen hinweg, bemängelt Pfarrer Stefan Jürgens und gibt Tipps, wie es besser gehen könnte.

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Wie reden wir in der Kirche über Gott? Oft zu theoretisch und über die Köpfe der Menschen hinweg, bemängelt Pfarrer Stefan Jürgens und gibt Tipps, wie es besser gehen könnte.

Kirche+Leben: Herr Pfarrer Jürgens, teilen Sie die Kritik, dass Sprache über religiöse Themen manchmal kraftlos, gekünstelt oder antiquiert klingt?

Stefan Jürgens: Vor einiger Zeit bin ich mal gefragt worden, was ich überhaupt nicht ausstehen könne. Meine Antwort: „frommes Gelaber“. Auch bei vielen offiziellen Äußerungen der Kirche frage ich mich, wie es möglich ist, so wenig Inhalt in so viele nichtssagende Sätze zu packen.

Woran liegt das Ihrer Meinung nach?

Offenbar an der Weltfremdheit von Autoren, die nur noch binnenkirchlich denken und ihre Adressaten schon lange nicht mehr im Blick haben. Manche Texte klingen schon allein deshalb fromm, weil sie sehr allgemein formuliert sind und an keiner Stelle konkret werden. Oft wird auch verklausuliert gesprochen, weil man sich von vornherein gegen Kritik absichern, beziehungsweise die wirklichen „heißen Eisen“ gar nicht erst anpacken will. Für eine aussagekräftige, starke Sprache braucht man vitale Menschen, die über den eigenen Horizont hinausdenken können.

Was macht es eigentlich so schwierig, vom Reich und der Liebe Gottes einfach und klar zu sprechen?

Schwierig wird es, wenn man entweder nicht verstanden hat, worum es geht, oder wenn man die Botschaft von der bedingungslosen Liebe Gottes selber nicht annehmen kann. Manchen Theologen fällt es zwar leicht, Gelerntes richtig zu wiederholen, aber schwer, das eigene Herz daran zu bilden. Selbst Priester und Bischöfe können eine ganz verängstigte Religiosität haben und zur Freude am Glauben gar nicht durchgedrungen sein. Hier zeigt sich, dass der Übergang von einer naiv-magischen Religiosität zu einem aufgeklärt-mystischem Glauben eine lebenslange Aufgabe ist. Dieser Prozess hat viel mit innerer Freiheit und Selbstannahme zu tun.

Welche Rolle spielt der theologische Fachjargon?

Die Theologie hat wie jede Wissenschaft eine interne Fachsprache, das ist überhaupt kein Problem. Wer jedoch theologische Inhalte überhaupt nicht mehr ohne diese Fachsprache ausdrücken kann, der offenbart damit, dass er sie im Grunde genommen gar nicht verstanden hat oder sie nur als Herrschaftswissen missbraucht; es bleibt dann beim Nachplappern von Formeln und Floskeln.

Manche Begriffe sind keine Fremdworte und gehören dennoch nicht mehr zur Alltagssprache. Werden „Erlösung“, „Gnade“, „Reich Gottes“ heute noch von Menschen verstanden?

Man muss sie jeweils neu in die aktuelle Situation hinein übersetzen, da sie für die christliche Botschaft unerlässlich sind. Das geht am besten über das Erzählen eigener Erfahrungen, die man mit den jeweiligen Inhalten verbindet. Die Sehnsucht der Menschen nach Gott ist unsagbar groß, auch die Sehnsucht nach Erlösung und Gnade. Verkündigung muss jedoch voraussetzungslos und offen sein, damit sie diese große Sehnsucht überhaupt aufgreifen kann.

Können Sie das an einem Beispiel erklären?

Nehmen Sie den Begriff „Erlösung“. Hier kann man die Rechtfertigungslehre oder eine ganze Gnadentheologie ausbreiten – oder einfach sagen: „Gott liebt mich vor aller Leistung und nach aller Schuld. Er liebt mich nicht, weil ich gut bin, sondern weil er gut ist.“ Das Problem hierbei ist allerdings, dass viele in der Kirche über lange Zeit nur als Moralapostel aufgetreten sind. Der moralische Zeigefinger ist ein Machtinstrument und offenbart meistens einen Mangel an Menschlichkeit und Liebe.

Manche Formulierungen in der Liturgie machen es Neulingen nicht gerade leicht. „Erhebet die Herzen“ – versteht das noch einer, der nicht mit Kirche aufgewachsen ist? Droht nicht manches zur bloßen Formel zu werden?

Nur was zeitlebens fremd bleibt, wird als bloße Formel erlebt. Hier kommt es darauf an, in den Glauben hineinzuwachsen. Schwimmen lernt man nur im Wasser, auch das Beten und die Mitfeier der Liturgie wollen durch Beten und Mitfeiern gelernt sein. Die Liturgie muss deshalb immer wieder katechetisch erklärt und so gefeiert werden, dass Gott als das große Geheimnis allen Lebens darin erfahrbar wird.

Wie weit sollte sich die Sprache  der Kirche denn der Alltagssprache anpassen, in der alles „hip“ oder „cool“ ist?


Pfarrer Stefan Jürgens | Foto: Privat

Die Sprache der Kirche muss alltagstauglich und relevant sein. Deshalb spreche und bete ich selbst in Gottesdiensten so, wie ich normalerweise auch spreche: mit denselben Worten und in demselben Tonfall. Das ist, wie ich hoffe, authentisch. Wer dagegen zum Beispiel in Familienmessen Kindersprache spricht oder im Jugendgottesdienst Jugendjargon, der macht sich zum Affen und wird nicht ernst genommen. Und wer noch im Betroffenheitsjargon der Siebzigerjahre redet, der  macht sich geradezu lächerlich.

Gute Verkündigung braucht also eine angemessene Sprache?

Ja, und zwar eine ganz einfache Alltagssprache: kurze Sätze, lebensnahe Bilder, alltagsrelevante Erfahrungen. Ähnlich ist es mit der Liturgie. Selbstverständlich verwendet sie eine gehobene Sprache. Wer diese aber nur vor- oder abliest, verfällt schnell in einen pathetischen Singsang. Hier kommt es darauf an, wirklich zu beten und die Inhalte auch situationsbezogen in eigene Worte fassen zu können. An der Sprache, mit der jemand vor- oder eben nur herunterbetet, kann man schnell merken, ob er oder sie überhaupt betet.

Das klingt nach Handlungsbedarf bei der Ausbildung und Begleitung von Seelsorgern. Brauchen wir auch bessere Dolmetscher?

Wir müssen alle lernen, den Glauben neu ins Wort zu bringen: Katecheten, Pastoralreferenten, Diakone, Priester, Bischöfe. Und alle Christen!  Wir brauchen Übersetzer in Wort und Tat. Die Botschaft muss verstehbar sein und vorgelebt werden. Die Leiter von Gottesdiensten brauchen mehr Feedback und kollegiale Beratung, denn im Laufe der Zeit stellen sich viele Marotten ein, die einer Korrektur bedürfen. Katecheten brauchen zunächst selbst eine vertiefende Einführung in den Glauben, damit ihre Worte nicht nur gelernt klingen, sondern durch eigene Glaubenserfahrungen hindurchgegangen sind.

Die Bibel birgt ja zahllose sprachliche Schätze. Kräftige, wunderbare Bilder, zum Beispiel in den Psalmen. Wie kann man solche Schätze heben?

Indem man sie gut kennt. Die Bibel ist wichtiger als der Katechismus, denn sie enthält lebendige Erfahrungen von Menschen, anschaulich erzählt. In der theologischen Reflexion jedoch hat man sich jahrhundertelang eher an der griechischen Philosophie und am römischen Recht orientiert, in der wissenschaftlichen Theologie am universitären Sprachgebrauch. Deshalb heißt es, wie bei jeder Reform: zurück zu den Quellen – von der Kirchensprache zur Gottespoesie! Psalmen und Lieder lernt man mit der Zeit inwendig. Dafür braucht man eine treue Praxis – im Bibellesen, Psalmenbeten und Liedersingen. Bescheidenheit, Bodenständigkeit und Realitätssinn gehören ebenfalls dazu.

Zehn Tipps für eine bessere Sprache.
Was Stefan Jürgens den Verkündern von Gottes Wort rät. Sie sollten:
1. ihre Botschaft kennen, also wissen, was sie sagen wollen und was nicht,
2. begreifen, was andere denken,
3. die Situation der Menschen kennen, zu denen sie sprechen,
4. bildreich sprechen in Alltagssprache und kurzen Sätzen,
5. leben, was sie sagen,
6. regelmäßig Bibel und Zeitung lesen,
7. Liturgie bewusst mitfeiern und im Gebet bleiben,
8. die Menschen kennen und lieben,
9. selbstkritisch und bescheiden auftreten,
10. kreativ und freimütig sein.

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