Wenn der Heilige Geist in die müden Knochen fährt

Pfingsten – Geburtstag einer alten Dame

Pfingsten ist der Geburtstag der Kirche, heißt es. Da wird die über 2000 Jahre alte Dame noch ein Jährchen älter. Ausgerechnet dann macht ihr der Heilige Geist Beine. Das stört, weil das Bequeme schöner ist.

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Pfingsten ist der Geburtstag der Kirche, heißt es. Da wird die über 2000 Jahre alte Dame noch ein Jährchen älter. Ausgerechnet dann macht ihr der Heilige Geist Beine. Das stört, weil das Bequeme schöner ist. Gedanken zu einem nervig-ermutigenden Fest.

Spätestens mit Mitte 50 soll es anfangen. In dem Alter beginnen häufig nicht nur die Knochen, unbeweglicher zu werden – auch der ganze Mensch wird gesetzter. Seine Meinung über grundlegende Fragen ist gefestigt, er weiß mit Krisen und Wunden umzugehen, hat viele alltägliche Abläufe zu Ritualen gerinnen lassen und gelernt, worüber sich aufzuregen nicht lohnt. Wenn alles gut gegangen ist, hat er sich niedergelassen und ist zufrieden, die Dinge gelassener angehen zu können. So ist das nun mal. Man kann das langweilig oder sogar erstarrt nennen – für manche ist es eine Art von Glück.

Warum sollte es bei einer 2000 Jahre alten Dame anders sein? An Pfingsten feiert sie alljährlich Geburtstag, wie es heißt. An diesem Sonntag wird sie also noch ein Jährchen älter, was bei der Fülle der Jahre nicht mehr viel ausmacht. Klar, Teile ihres Gesichts sind jung geblieben, das betonen meist nicht mehr ganz so junge Herren al­lenthalben, wenn sie die immer noch vielen Jugendlichen sehen, die sich Gott sei Dank mit Glaube und Spaß in der Kirche engagieren.

 

Falten und Zipperlein

 

Aber die Knochen! Die sind alt. Sie haben schon viele Wege hinter sich, mussten einiges ertragen an Lasten und Lästigkeiten. Und doch tragen sie wie uralte Grundpfeiler einer jahrhundertalte Kathedrale – was sogar Touristen beim zufälligen Besuch erstaunt. Die Knochen der Kirche, das sind die Tradition, das Bewährte, das Unverzichtbare. Der Katechismus zum Beispiel und das Kirchenrecht (obwohl auch sie in der Geschichte immer wieder mal zur Reparatur oder Kur mussten). Dazu gehören aber vor allem die Heiligen Schriften und die Dogmen. Das alles ist das Knochengerüst der Kirche, so stark und stabil, dass sie über die Jahrhunderte trotz mancher Falten und Zipperlein Stütze, Halt und Orientierung für Millionen von Menschen sein kann.

Doch gerade alte Knochen brauchen Bewegung! Nicht ohne Grund bittet die Pfingstsequenz, ein feierlicher Gesang zum Fest: „Löse, was in sich erstarrt.“ Dafür soll der Heilige Geist sorgen, der zwar laut diesem Lied auch hier und da Ruhe in der Unrast schenken möge – im Großen und Ganzen aber eher Beine macht. Tosen, brausen, rauschen, stürmen: Da ist Musik drin! Bewegung, Aufbruch, Anstoß, Dynamik, Energie – all das ist der Heilige Geist, der Auslöser schlechthin.

 

Der Heilige Geist stört

 

Das lässt die alte Dame mitunter aufstöhnen, auch wenn sie natürlich weiß, dass ohne den Heiligen Geist schon mal gar nichts liefe und sie nie im Leben so alt geworden wäre. Also lässt sie sich jedes Jahr zum Geburtstag wieder das Gesangbuch vorhalten und singt mit größtmöglicher Inbrunst: „Komm, du Geist, belebe uns.“

2013 stellte sich in Rom der just gewählte Papst Franziskus hin und ließ die alte Dame sprechen: „Um es klar zu sagen: Der Heilige Geist stört uns. Weil er uns in Bewegung versetzt, weil er uns gehen lässt, weil er die Kirche drängt, vorwärts zu gehen.“ Dabei freuten sich doch alle so darüber, gemütlich beisammen zu sein. Es gebe Stimmen, sagte der Papst, die wollen lieber Denkmäler setzen, sich an der guten alten Zeit erfreuen. Wenn denn Bewegung sein müsse in ihrem Alter, dann lieber rückwärts gehend.

 

Das Bequeme ist schöner

 

So ist das – wie gesagt – mit den Knochen. Der Papst hat eine besondere orthopädische Krankheit ausgemacht: Halsstarrigkeit. Dabei werde man zudem „töricht und langsamen Herzens“. Als Theologe nenne er so etwas den Versuch, „den Heiligen Geist zu zähmen“. Aber das, klipp und klar, „das geht nicht. Denn er ist Gott, und er ist jener Wind, der geht und kommt, und du weißt nicht, woher. Er ist die Kraft Gottes, er ist der, der uns den Trost und die Kraft gibt, voranzugehen. Aber: voranzugehen! Und das stört: Das Bequeme ist schöner.“

Papst Franziskus war damals 77 Jahre alt. Heute würde er dasselbe vermutlich noch einmal so sagen. Und auch so meinen. Genug Wind, um die mehr als 2000 Geburtstagskerzen auszupusten – und ein nervig-ermutigendes Vorbild für alle, die ab Mitte 50 Zugluft meiden. Der Knochen wegen.

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