Interview mit Pater Heinz Kulüke, Generaloberer der Steyler Missionare

Philippinen: Kirche kritisiert „Drogenkrieg“ von Duterte

Die Philippinen stehen im Mittelpunkt des Weltmissionssonntags am 23. Oktober. Heinz Kulüke, Generaloberer der Steyler Missionare, arbeitet seit Jahrzehnten auf den Philippinen. Im Kirche+Leben-Interview protestiert er scharf - anders als mancher Bischof.

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Seit dem Amtsantritt im Mai führt der philippinische Präsident Rodrigo Duterte einen „Drogenkrieg“: 3.500 angebliche Dealer und Konsumenten wurden bisher von der Polizei oder einer staatlichen Todesschwadron umgebracht. Pater Heinz Kulüke, Generaloberer der Steyler Missionare, lebt seit Jahrzehnten auf den Philippinen. Er bewertet die Politik des Präsidenten in dem Land, das Beispielland des Weltmissionssonntags am 23. Oktober ist.

Kirche+Leben: Wie steht die Kirche zu Dutertes „Drogenkrieg“?

Pater Heinz Kulüke: Die offizielle Kirchenführung hat sich energisch gegen diese Politik der Gewalt ausgesprochen. Das brutale Drogengeschäft lässt sich mit Gewalt nicht lösen. Dies führt langfristig noch zu viel mehr Gewalt auch gegenüber unschuldigen Menschen. Das habe ich in den vielen Jahren auf den Philippinen immer wieder neu in verschiedenen Situationen gerade im Milieu der drogenabhängigen und zwangsprostituierten Menschen erlebt. Der massive Drogenhandel muss ein Ende nehmen, weil er tatsächlich tausende von jungen Menschen und ganze Familien in den Ruin treibt. Aber jeder Rechtsstaat hat Mittel, um Verbrechen dieser Art zu bekämpfen, wenn diese Mittel nicht durch korrupte Methoden umgangen werden. Kein Mensch hat das Recht, einen anderen zu töten. Blinde Gewalt führt zu Selbstjustiz.

Trifft Dutertes Politik die wirklich Verantwortlichen?

Die wirklich Schuldigen und Drahtzieher der Verbrechen werden dabei sicher nicht zur Rechenschaft gezogen. Im Namen Gottes muss es Gerechtigkeit geben, die der Staat mit legalen Mitteln umsetzt, aber nicht mit blinder Gewalt und mit Morden, wie dies durch die Anweisungen des Präsidenten geschieht. Außerdem soll der Staat auch in diesem Fall den armen Menschen helfen, statt sie zu töten.

Pater Heinz Kulüke.Pater Heinz Kulüke ist seit vier Jahren Generalsuperior der Steyler Missionare. Seit 1989 arbeitete der 60-jährige Priester aus Spelle im Bistum Osnabrück als Missionar auf den Philippinen, zuletzt zehn Jahre als Leiter der dortigen südlichen Ordensprovinz der Steyler. Kulüke gründete auf den Philippinen die Nichtregierungsorganisation JPIC-IDC (Gerechtigkeit, Frieden, Bewahrung der Schöpfung – Zentrum für integrierte Entwicklung). Kulüke und die Organisation engagieren sich in der Armutsbekämpfung vor allem für Familien, die im Slum oder auf Müllkippen leben, für Zwangsprostituierte und Straßenkinder. Das Engagement des Generalsuperiors dauert bis heute an, mehrere Monate im Jahr ist er weiterhin auf den Philippinen in der Sozialarbeit tätig.

Kirchliche Institutionen sagen, die Lage der Armen im Land habe sich verschlimmert. Warum?

Die Anzahl armer Menschen auf den Philippinen ist in den vergangenen 30 Jahren aufgrund der Bevölkerungsexplosion drastisch angestiegen. Mittlerweile haben die Philippinen mehr als 104 Millionen Einwohner. Alles scheint außer Kontrolle zu sein. Es gibt zu wenig Schulen, Krankenhäuser und Sozialzentren für die vielen Menschen. Auch die Infrastruktur des Landes ist schlecht – so fehlen Straßen und Transportmittel. Hinzu kommt, dass immer mehr hochqualifizierte Filipinos ihr Land verlassen haben, um im Ausland nach Arbeit zu suchen. Quasi überall auf der Welt befinden sich philippinische Fachkräfte, die einen sehr wichtigen Beitrag zur Entwicklung ihres eigenen Landes leisten könnten, aber hier keine Zukunftsaussichten haben.

Welchen Anteil hat die Politik an der Situation?

Viele Politiker sind bestechlich. Ein unvergleichlich korruptes und einer Demokratie unwürdiges System trägt zur Verarmung des Landes bei. Die Philippinen werden seit Generationen von Großfamilien regiert, denen es meist darum geht, finanzielle Gewinne für die eigene Familie zu machen. 60 Prozent der armen Bürger, die von weniger als zwei Dollar am Tag leben müssen, werden weiter an den Rand gedrückt.

Wer leidet besonders?

Vor allem die Familien. Die Familie war traditionell das Fundament der philippinischen Gesellschaft. Heute sind die Familien gespalten, da Vater oder Mutter oder auch Kinder im Ausland arbeiten müssen, damit die Familien auf den Philippinen überleben können. Das hat zu einem großen Wertezerfall geführt, der von der Kirche aktuell nicht mehr aufgehalten werden kann. Korruption, Drogenmissbrauch, Menschenhandel und Prostitution charakterisieren viele Orte auf den Philippinen, darunter besonders die Slums in den Städten.

Missio hat die Philippinen in diesem Jahr als Beispielland im Monat der Weltmission ausgewählt. Können Hilfswerke überhaupt gegen das System und die Armut ankommen?

Zahlreiche Nichtregierungsorganisationen wie etwa Missio versuchen zu helfen. Was sie aber nicht leisten können, ist, politische Stabilität im Land zu schaffen, die dauerhafte Arbeitsplätze ermöglichen würde und den Familien ein wirtschaftliches Fundament für die Entwicklung gäbe. Hilfswerke, die mit der Regierung kooperieren, sind komplett überfordert und Opfer der korrupten Strukturen. Entwicklungshilfe aus dem Ausland und viele Millionen Spendengelder von Privatpersonen kommen nur bei den Menschen an, wenn es durch authentische Nichtregierungsorganisationen vermittelt wird.

Wie hilft die Kirche konkret?

Die Steyler Missionare und kirchliche Hilfswerke haben in den vergangenen Jahren in verschiedenen Landesteilen Nichtregierungsorganisationen gegründet, die besonders den Armen dienen. Speziell geht es um Hilfen für die verarmten Kleinbauern und Fischerfamilien, für tausende Menschen, die auf Mülldeponien und in Stadtslums leben. Im Blick sind besonders Gruppen wie Straßenkinder, Familien auf Gehwegen, Mädchen, die Opfer des florierenden Menschenhandels geworden sind, oder junge Menschen, die häufig illegal unter katastrophalen Bedingungen in Gefängnissen sitzen. Viele von Ihnen greifen zu Drogen, um den täglichen Hunger zu unterdrücken.

Ein weiteres Problem der Philippinen sind die muslimischen Rebellen in Mindanao. Trotz eines Friedensabkommens gibt es immer wieder Rückschläge. Gibt es Hoffnung auf dauerhaften Frieden?

Das Problem auf der Insel Mindanao lässt sich nicht leicht lösen, da es um viel Land geht. Gefundene Kompromisse verlieren nach kurzer Zeit wieder an Gültigkeit, da die Parteien sich hintergangen fühlen und immer noch mehr für sich herausholen wollen. Auch hier ist Korruption im Spiel. Die Menschen vor Ort, ob Muslime oder Christen, wollen ganz einfach in Frieden miteinander leben. Die christliche Botschaft der Versöhnung spielt eine wichtige Rolle, aber auch die Suche nach einer gerechten Lösung der Landfrage. Vor allem hilft die Kirche dabei, den Dialog nicht abbrechen zu lassen. Als Steyler haben wir in den vergangenen zehn Jahren in diesen Gebieten fünf neue Pfarreien angefangen, um die Menschen in ihrem Alltag zu begleiten. Nur im Dialog werden Muslime und Christen eine Lösung finden. Dabei helfen kirchliche Werke wie Missio mit ihren Projekten. Solange es die Möglichkeit zum Dialog gibt und die Sehnsucht der einfachen Menschen nach Frieden, gibt es Hoffnung.

 

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