Notfallsanitäter versorgen Patienten vor Ort - statt der Alarmfahrt ins Krankenhaus

Pilotprojekt im Oldenburger Land: Malteser-Sanis entlasten Rettungsdienst

  • Die „112“ wird immer öfter angerufen, der Rettungsdienst ist bundesweit oft überlastet.
  • Die Malteser im Oldenburger Land halten in einigen Rettungswachen deshalb ein besonderes Angebot vor.
  • In einem bundesweit einmaligen Projekt erproben sie den „Gemeinde-Notfallsanitäter“.

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Ein typischer Fall: Ein verwirrter älterer Mann zieht sich nachts seinen Blasenkatheter. Die Verwandten rufen in ihrer Aufregung den Rettungswagen, der bringt den Patienten sofort ins Krankenhaus. Nach längerer Zeit ist ein Facharzt gefunden und versorgt den Patienten. Ein Krankenwagen bringt ihn zurück. Mehrere Stunden weg von zu Hause, große Aufregung bei Patient und Familie. Eine ideale Lösung? Sicher nicht. Aber bisher Alltag.

Es geht auch anders. Ein besonders geschulter Sanitäter übernimmt den Fall, legt den Katheter neu, nimmt vielleicht noch Kontakt zu Hausarzt und Pflegedienst auf. Nach 20 Minuten ist der Patient in aller Ruhe versorgt. Niemand musste das Haus verlassen.

Malteser mit neuer Idee

Gemeinde-Notfallsanitäter Lukas Lukoschus von den Maltesern in der Stadt Oldenburg und Frank Flake, verantwortlich für den Rettungsdienst der Malteser in Nordoldenburg. | Foto: Franz Josef Scheeben
Gemeinde-Notfallsanitäter Lukas Lukoschus von den Maltesern in der Stadt Oldenburg und Frank Flake, verantwortlich für den Rettungsdienst der Malteser in Nordoldenburg. | Foto: Franz Josef Scheeben

Zukunftsmusik? Nicht im Oldenburger Land. Dort haben die Malteser zusammen mit Feuerwehr und Deutschem Rotem Kreuz ein neues Berufsbild entwickelt: den Gemeinde-Notfallsanitäter. Seit drei Jahren probieren sie das Modell in ihren Wachen in der Stadt Oldenburg und im Kreis Vechta aus - bundesweit einzigartig. Ende dieses Jahres läuft es aus, wenn die Kosten nicht mehr übernommen werden.

Oliver Peters aus Vechta, Leiter des Rettungsdienstes der Malteser in Südoldenburg, hat vor sieben Jahren die Idee ins Spiel gebracht, zusammen mit Malteser-Arzt Frank Scheinichen. Bei einer Tagung mit Vertretern von Krankenkassen und Kassenärzten habe man überlegt, wie man der übermäßigen Belastung der Rettungsdienste begegnen könne.

Mit Praktikern vor Ort, so Peters, habe man dann die Einzelheiten entwickelt. Am Ende stand das Modell des Gemeinde-Notfallsanitäters. Das sind erfahrene Notfallsanitäter, die eine intensive Weiterbildung absolvieren müssen und mit einem Notfallwagen unterwegs sind - mit der kompletten Ausrüstung.

Einsatz in aller Ruhe

Oliver Peters, verantwortlich für den Rettungsdienst der Malteser in Südoldenburg. | Foto: Franz Josef Scheeben
Oliver Peters, verantwortlich für den Rettungsdienst der Malteser in Südoldenburg. | Foto: Franz Josef Scheeben

Besuch in der Malteser-Rettungswache Oldenburg: Lukas Lukoschus ist Gemeinde-Notfallsanitäter, er kommt gerade von einem Einsatz zurück. Der seit Langem bettlägerige Patient hatte einen plötzlichen Schwächeanfall. Lukoschos versorgte ihn, legte eine Infusion, informierte Hausarzt und Pflegedienst.

Gut zwei Stunden hatte er Zeit bei diesem Einsatz, der Rettungswagen hätte den Patienten dagegen einfach nur auf dem schnellsten Weg ins Krankenhaus gebracht. „Das wollte der Patient aber gar nicht“, berichtet Lukoschus.

Entlastung für den Rettungsdienst

Schnell ins Krankenhaus: „Das wäre ja auch die Aufgabe die Rettungswagens“, sagt Frank Flake aus Oldenburg, Leiter des Malteser-Rettungsdienstes in Nordoldenburg. „Schließlich muss der Wagen schnell wieder frei werden.“

Der Gemeinde-Notfallsanitäter sei inzwischen eine spürbare Entlastung für den Rettungsdienst, berichtet er. „Früher hatten wir hier in Oldenburg in einer Schicht für den Rettungswagen drei Einsätze, heute zehn.“ Bei vielen müsste der Rettungswagen allerdings eigentlich gar nicht rausfahren.

Bremen übernimmt die Idee bereits - weitere Interessierte

Das sei ein bundesweites Problem, bestätigt Oliver Peters von den Maltesern in Vechta. Deshalb interessierten sich inzwischen auch Rettungsdienste aus Hessen und Bayern, aus Berlin und der Schweiz für das Oldenburger Projekt. In Bremen habe der Rettungsdienst das Projekt schon übernommen, die Notfallsanitäter dort habe man bei den Oldenburger Maltesern dafür ausgebildet.

Die Gründe sind für Peters klar: Der Ärztemangel habe dazu geführt, dass ein Hausarzt nicht mehr so einfach wie früher nach Hause kommt, wenn man ihn ruft. Und der ärztliche Bereitschaftsdienst? „Nur 25 Prozent kennen überhaupt seine Nummer“, berichtet Peters. Dann setze sich bei vielen Patienten das Gefühl fest: 112 wählen – das löst alle meine Probleme. Genau da wolle das Projekt gegensteuern.

In USA schon Wirklichkeit

Gemeinde-Notfallsanitäter Lukas Lukoschus hat die Ausrüstung eines Rettungswagens in seinem Einsatzwagen. | Foto: Franz Josef Scheeben
Gemeinde-Notfallsanitäter Lukas Lukoschus hat die Ausrüstung eines Rettungswagens in seinem Einsatzwagen. | Foto: Franz Josef Scheeben

Der Gemeinde-Notfallsanitäter ist eine bundesweit einmalige, in den USA und Großbritannien aber schon lange erprobte Idee. Ob sie in Deutschland Zukunft hat, soll die wissenschaftliche Begleitung zeigen.

Es wäre im Interesse der Patienten, ist Peters sicher. „Zwei Drittel der Menschen, die der Gemeinde-Notfallsanitäter behandelt, waren früher mit dem gleichen Befund schon mal in der Notaufnahme. Jetzt aber nicht mehr, und dafür sind sie dankbar.“ Eindeutiges Fazit für ihn deshalb: „Das System ist gut.“

Die Malteser im Oldenburger Land sind im Kreis Vechta allein für den Rettungsdienst verantwortlich; in der Stadt Oldenburg teilen sie ihn sich mit Berufsfeuerwehr, Johannitern und dem Deutschen Roten Kreuz. In Oldenburg verzeichnen sie 3.000 Rettungseinsätze im Jahr, im Kreis Vechta 12.000.

Der Gemeinde-Notfallsanitäter übernimmt im Kreis Vechta inzwischen 1.500 Einsätze, in Oldenburg 2.100. Von den 110 Notfallsanitätern im Kreis Vechta haben sich 65 zum Gemeinde-Notfallsanitäter weiterbilden lassen, in Oldenburg fünf von zwölf. Sie stehen in zwei Schichten 24 Stunden zur Verfügung.

Diese Idee haben die Malteser im Oldenburger Land entwickelt und gemeinsam mit regionalen Rettungsdiensten wie dem Roten Kreuz und der Berufsfeuerwehr verwirklicht. Im praktischen Einsatz bieten allerdings bisher nur die Malteser den Gemeinde-Notfallsanitäter an. (fjs)

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