Tom Hegermann zur Arbeit von Politiker:innen in Krisenzeiten

Politik hat mehr Respekt verdient

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Es ist leicht über „die“ Politik zu schimpfen, Politiker:innen zu kritisieren. Dabei ist ihr Job gerade in Krisen- und Kriegszeiten extrem herausfordernd. Deshalb täte mehr Respekt ihnen gegenüber gut, sagt Journalist Tom Hegermann in seinem Gast-Kommentar.

Was bin ich gerade froh, kein Politiker zu sein. Schon ich Normalbürger schlafe oft schlecht. Schon ich weiß angesichts des Krieges in der Ukraine nicht, wohin mit meiner Angst. Und immer wieder frage ich mich: Wie schaffen die das eigentlich?

Oder konkreter: Wie findet der Bundeskanzler derzeit Schlaf? Wann kommt die Außenministerin mal zur Ruhe? Wie schaffen die das, in Zeiten, in denen niemand wirklich weiß, was die richtigen Entscheidungen sind, einen, wie es Baerbock selbst formuliert hat, kühlen Kopf zu bewahren, obwohl es einem das Herz zerreißt?

Grundhaltung der Verachtung

Neulich schrieb mir jemand, wer sich politisch bis an die Spitze empor gearbeitet habe, der oder die habe sich auch die notwendige Skrupellosigkeit erarbeitet. Ich halte das für falsch. Ich erlebe Politiker:innen auch sehr selten so, von Putin und Co. jetzt mal abgesehen.

Trotzdem ist in unserer Gesellschaft eine ganz schreckliche Grundhaltung gegenüber der Politik gewachsen: die der Verachtung. Und von der ist es nicht weit bis zum Hass. Und vom Hass nicht weit bis zur Gewalt. Ich kenne Bürgermeister:innen, deren Kinder im Kindergarten angepöbelt werden, weil ihre Eltern was entschieden haben, was deren Eltern nicht passt.

Politiker:innen engagieren sich

Der Autor
Tom Hegermann hat als Journalist unter anderem 25 Jahre lang im Radioprogramm von WDR 2 moderiert. Heute arbeitet er vor allem als Moderator von Veranstaltungen, auch in seiner katholischen Kirchengemeinde St. Chrysanthus und Daria in Haan, und als Trainer rund um das Thema „Kommunikation in der Öffentlichkeit“.

Und ja, auch wir Journalist:innen haben zu dieser Haltung beigetragen. Wenn wir über Politik nur noch aus dem Blickwinkel des Versagens, des Versäumens und des Eigennutzes berichten, dann dürfen wir uns nicht wundern, wenn ein Teil der Leute diesen Unfug auch glaubt.

Politiker:innen sind um nichts schlechter als die Bürger:innen, die sie vertreten. Sie unterscheiden sich nur in einem Punkt: sie sind engagierter. Sie tun was. Auch für die, die sie anschließend kritisieren.

Verachtung mit Folgen für die Demokratie

Diese Verachtung hat schlimme Folgen. Immer weniger Menschen trauen sich den Weg in die Politik. Und die, die ihn sich trauen, werden aufgerieben.

Am Ende leidet unsere Demokratie. Am Ende leiden wir alle. Das heißt nicht, Politik nicht zu kritisieren, wenn sie Fehler macht. Aber das heißt anzuerkennen, dass auch viele Fehler nur im redlichen Bemühen geschehen, das Richtige zu tun.

Was ich Politiker:innen in diesen Tagen wünsche? Ein wenig Ruhe, ein bisschen Schlaf, gelegentlich etwas Respekt und die Kraft, mit der eigenen Angst fertig zu werden.

In unseren Gast-Kommentaren schildern die Autor:innen ihre persönliche Meinung zu einem selbst gewählten Thema. Sie sind Teil der Kultur von Meinungsvielfalt in unserem Medium und ein Beitrag zu einer Kirche, deren Anliegen es ist, die Zeichen der Zeit zu erkennen.

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