Karl Weber fürchtet um lösungsorientierten Pragmatismus

Selbstradikalisierung der Mitte-Parteien macht Sozialpolitik heimatlos

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Die immer radikaler werdenden Positionen der Mitte-Parteien schrecken viele auf. Caritas-Experte Karl Weber befürchtet im Gast-Kommentar dramatische Folgen für die Sozialpolitik. Lassen sie sich noch verhindern?

Für sozial engagierte Demokratinnen und Demokraten sind die gegenwärtigen Debatten in Deutschland eine Qual. Monokausalitäten produzieren eine absurde Endzeitstimmung und führen in eine gesellschaftliche Atemlosigkeit mit hohem Suchtpotenzial: Schon jetzt absehbar uneinlösbare Versprechen müssen durch weiteren Aktionismus überboten werden. Erschöpfung ist programmiert.

Politik-Bashing ist aber unangebracht. Gerade Sozialpolitikerinnen und Sozialpolitiker der demokratischen Mitte verdeutlichen in vielen Gesprächen, wie ernsthaft sie Wege in unübersichtlichen Gemengelagen suchen. Wertschätzung für ihre permanenten Reformbemühungen erhalten sie selten. Eine wichtige Einsicht wäre: Gegenläufige Interessen können im besten Fall befriedet, aber nicht in Gänze befriedigt werden. Komplizierte Lebenslagen bedingen komplexe Antworten.

Politik der kleinen Schritte

Der Autor
Karl Weber, Theologe und Historiker, ist Vorstand im Caritasverband für das Bistum Limburg.

Kann diese oft unterschätzte Politik der kleinen Schritte, des lösungsorientieren Pragmatismus in aufgewühlten Zeiten wieder Akzeptanz finden? Ein mögliches Szenario basiert auf der derzeitigen Selbstradikalisierung der Mitte-Parteien. Diese drängt die Vertreter des sozialen Ausgleichs innerparteilich zunehmend an den Rand. Je stärker die Heimatlosigkeit ihrer Positionen wird, umso dringender werden sie Bündnispartner aus dem Sozialbereich brauchen. 

Diese wiederum sind ihrerseits gefordert, sich politischer im Sinne einer Prioritätensetzung zu positionieren. Georg Cremer, der ehemalige Generalsekretär des Deutschen Caritasverbandes, wird seit Jahren nicht müde zu betonen, dass sozialpolitische Akteure, die alles für alle fordern, ebenfalls an einer destruktiven Erwartungsspirale mitdrehen. Das ist kein Aufruf zum selbstgenügsamen Forderungsverzicht. Natürlich geht es um Finanzen. Gleichrangig geht es aber auch um Zugang zu Bildung und – immer noch unterschätzt – um die Verteilung gerecht bezahlter, aber auch zukünftig nur eingeschränkt vorhandener personeller Ressourcen.

Zwei Hoffnungen

Eine Hoffnung ist: Vielleicht treffen sich in absehbarer Zeit die Richtigen, die sich bei der Prioritätensetzung nicht wegducken. Wenn zumindest punktuell das Verständnis dafür wächst, warum zum Beispiel die besten Kräfte bei den Bedürftigsten arbeiten müssen und warum der Personalschlüssel im Brennpunkt ohne Kompensation an anderer Stelle ein höherer sein muss, wäre viel gewonnen. 

Zugleich ist es ein lohnendes Betätigungsfeld für alle, die sich aus christlicher oder humanistischer Verantwortung in diese Debatten einbringen. Und das ist eine zweite Hoffnung gegen den allgegenwärtigen Defätismus: Das sind immer noch sehr viele.

In unseren Gastkommentaren schildern die Autor:innen ihre persönliche Meinung zu einem selbst gewählten Thema. Sie sind Teil der Kultur von Meinungsvielfalt in unserem Medium und ein Beitrag zu einer Kirche, deren Anliegen es ist, die Zeichen der Zeit zu erkennen.

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