Der neue Generalvikar des Erzbistums Berlin

Porträt: Manfred Kollig, der Hier-und-heute-Mann

Was ist dem neuen Generalvikar des Erzbistum Berlin wichtig? Wie denkt er? Was prägt seinen Glauben? Ein Porträt von Pater Manfred Kollig, das anlässlich seiner Berufung zum Leiter der Hauptabteilung Seelsorger im Bischöflichen Generalvikariat 2010 entstand, hat an Aktualität nichts eingebüßt.

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Was ist dem neuen Generalvikar des Erzbistum Berlin wichtig? Wie denkt er? Was prägt seinen Glauben? Ein Porträt von Pater Manfred Kollig von Markus Nolte. Der Text entstand aus Anlass von Kolligs Berufung zum Leiter der Hauptabteilung Seelsorge im Bischöflichen Generalvikariat Münster im Oktober 2010. An Aktualität eingebüßt hat der Text nichts.

Treffpunkt: Münster Hauptbahnhof, früher Montagmorgen. „Da am Blumenladen am Eingang“, hatte er gesagt. Es ist empfindlich frisch, Temperaturen im einstelligen Bereich trotz stahlblauen Himmels und satter Sonnenstrahlen. Ein Blumenladen allein macht aus dem tristen Hallenschmuddel noch keine Oase. Der größte Schwung Berufspendler ist schon durch, auf der großen Anzeigetafel tut sich nichts. Zug gibt's einzig und kräftig in der Wartehalle. Vereinzelt schlurfen Jugendliche mit Kaffee in Pappbechern vorbei. Drei Beamte der Bundespolizei klappen synchron ihre Krägen hoch.

Pater Manfred legt seinen Rucksack beiseite und zieht die Jacke aus. „Fürs Foto“, sagt er. Er wollte es so: draußen, Treffpunkt Hauptbahnhof. Mittendrin nun also der künftige Leiter des Seelsorgeamts im Bistum Münster: ein Mann im grauen Sakko, mit weißem Hemd, schwarzem Pullover und kleinem Kreuz am linken Revers, mit wachen Augen hinter randloser Brille. Über ihm wirbt von hoch oben an der Hallenwand ein gewaltiges Plakat für Sportfunktionskleidung, die auch bei Wind und Wetter Lust auf „Draußen zu Hause“ machen soll. Pater Manfred findet das gut: „Draußen zu Hause – das passt doch“, sagt er schmunzelnd und wischt die putzige Einsicht schnell beiseite: „Aber man muss es auch nicht übertreiben mit den Doppeldeutigkeiten.“

 

„Mysterien finden im Hauptbahnhof statt“

 

„Draußen“ ist Pater Manfred Kollig dennoch gern und im allumfassenden Sinn; irgendwie wird man den Verdacht nicht los, dass „draußen“ für ihn das ist, wo Christen dringend und grundsätzlich hingehören. Darum gefällt ihm der Satz von Joseph Beuys so gut: „Die Mysterien finden im Hauptbahnhof statt.“ Er zitiert ihn gern und oft, und so finden die „Mysterien“, die tiefen Geheimnisse von Menschsein, Leben und Glauben, auch schon einmal in der Fußgängerzone statt; unlängst eröffnete Pater Manfred als Leiter der Abteilung Schulpastoral der Diözese die „Bistumsschulwoche“ in einem schicken Einkaufszentrum mitten in Münsters Innenstadt. Und er erinnerte daran, dass schon der Apostel Paulus die Frohe Botschaft „auf dem Markt“ verkündet habe, dass sowohl der benachbarte St.-Paulus-Dom als auch das Einkaufszentrum „durchlässig“ seien: „Der Dom für die Welt und die Arkaden für den Himmel, für Licht und Sonne, Angebot und Nachfrage, der Menschen Geld und Gottes Liebe, Geruch und Ritus, Verliebtheit und Sehnsucht.“

„Das Geheimnis der Anwesenheit Gottes lebt überall“, sagt er in Münsters Hauptbahnhof, „das ist uns zugesagt. An uns ist es, das zu entdecken: Alltagserfahrungen, die an Gott und seine Beziehung zum Menschen und allen Geschöpfen erinnern.“ So schön und groß Paulus-Dom und Peters-Basilika seien – „solche Orte haben zwar eine eigene Bedeutung, weil hier Weltkirche ins Bild gebracht wird. Aber Gott ist nicht weniger gegenwärtig an jedem anderen Ort“. Pater Manfred denkt groß, Kleinkariertes ist seine Sache nicht, Kleinbürgerliches auch nicht, Kleingläubiges schon gar nicht. „Es gilt“, sagt er, „sich an Jesus zu orientieren und nicht immer beim Vorletzten stehen zu bleiben“. Groß denken!

 

Zu den Menschen gehen

 

Und vor allem: zu den Menschen gehen. Pater Manfred ist Ordenspriester – ungewöhnlich genug für den Leiter der Hauptabteilung Seelsorge im Bischöflichen Generalvikariat, denn er wird auch weiterhin nicht zum Klerus des Bistums gehören. Die Spiritualität seines Ordens aber sagt viel darüber, was denn „Seelsorge“ überhaupt ist. Pater Manfred gehört zur „Ordensgemeinschaft von den Heiligsten Herzen Jesu und Mariens und der ewigen Anbetung des Allerheiligsten Altarsakramentes“, eher bekannt als die „Arnsteiner Patres“ oder die „Picpus“-Patres. Und so hat der Volksmund aus dem offiziellen, hochtheologischen und tiefspirituellen Namen eine Bezeichnung gemacht, die sich am Ort, am Lebensort der Menschen orientiert: an Arnstein an der Lahn (Bistum Limburg), der ersten Niederlassung der Gemeinschaft in Deutschland, und an der „rue de Picpus“ in Paris, wo das ursprüngliche Mutterhaus des Ordens stand.

„Wir wollen uns begeistern lassen von der Liebe Christi zu seinem Vater und zur Welt“, erklären die Arnsteiner Patres, „insbesondere zu den Armen, den Bedrückten, zu den Menschen am Rande der Gesellschaft und zu jenen, die die Frohe Botschaft nicht kennen.“ Und: „Wir sind offen und verfügbar für die Nöte der Kirche und sind bereit, unseren apostolischen Dienst dort auszuüben, wohin wir gesandt werden.“ Daran wird sich auch dann nichts für einen Arnsteiner ändern, wenn er Leiter des Seelsorgeamts des Bistums Münster ist.

 

In Koblenz geboren

 

Pater Manfred, 1956 in Koblenz geboren, ging in Lahnstein bereits auf eine Schule der Gemeinschaft, trat unmittelbar nach dem Abitur mit 18 Jahren schließlich selber ein, studierte zunächst an der ordenseigenen Hochschule im niederländischen Simpelveld und schloss nach seiner Priesterweihe 1981 ein weiteres Studium, nämlich das der Pastoraltheologie bei Professor Dr. Dieter Emeis in Münster an, das er mit dem Licenziat abschloss. Zugleich war er als Seelsorger in der münsterschen Innenstadtpfarrei St. Martini tätig. Von 1983 an leitete er vier Jahre lang die Jugendbegegnungsstätte seiner Gemeinschaft in Arnstein und wechselte schließlich wiederum ins Bistum Münster: Ab 1987 gehörte Pater Manfred der Kommunität in Werne an, arbeitete als Schulseelsorger am Gymnasium St. Christophorus und als Referent im Generalvikariat Münster.

Unerwartet wird er 1994 vom Generalkapitel seiner Gemeinschaft zum Mitglied der Generalleitung mit Sitz in Rom gewählt. Im Jahr 2000 kehrt er zurück nach Werne, ist Leiter der dortigen Kommunität und Schulseelsorger, bis er im Herbst 2003 gebeten wird, die Verantwortung für die Liturgie des Weltjugendtags 2005 in Köln zu übernehmen.

 

Liturgie-Chef beim Kölner Weltjugendtag

 

„Wir sind gekommen, um ihn anzubeten“ lautete das Leitwort im Zeichen der Kölner Heiligen Drei Könige; Höhepunkte waren eine Vigil und eine Eucharistiefeier mit Papst Benedikt XVI. unter einer als weiße Wolke gestalteten Überdachung auf dem Marienfeld. „Wenn auch die Bilder der Liturgie des Weltjugendtags einmalig waren, so bleibt doch das Wesentliche nicht einmalig“, schreibt Pater Manfred in seinem Buch „Überall Wolke“. „Nur das konkrete Aussehen der Wolke über dem Hügel, dem Chorraum auf dem Marienfeld, ist einmalig. In anderer Gestalt zieht sie überall auf der Welt vorüber. Es ist die Wolke, aus der Gott an allen Orten zu den Menschen spricht: 'Dies ist mein geliebter Sohn.'“ Unter der Wolke muss die Freiheit wohl grenzenlos sein.

Darum geht es ihm, immer und immer wieder: „Gott, mich und den Nächsten zu lieben. Vom Fünftklässler bis zum Hausmeister. Wie können wir ihnen zeigen, dass sie geliebt sind?“ Pater Manfred steht für diesen grundsätzlichen Stil in der Kirche: „einladend, wertschätzend, wahrnehmend“. Auf einmal erzählt er von Jesus, der zu einem sterbenden Kind eilt, unterwegs von einer „blutflüssigen Frau“ berührt wird, sie so heilt und dann fragt: „Wer hat mich berührt?“ Pater Manfred erklärt: „Obwohl er doch zu einem sterbenden Kind gerufen ist, will Jesus diese Frau sehen, mit ihr sprechen.“ Pater Manfred nennt das „pure Präsenz“: „Jesus ist der, der immer ganz da ist, wo auch immer er ist.“ Und: Allein der Mensch, der jeweilige Mensch zählt, nicht seine Herkunft, nicht sein Glaube. Für die Kirche und ihre Seelsorge bedeute das, „mehr situationsabhängig zu denken und nicht immer zu vereinheitlichen, wo nichts zu vereinheitlichen ist“. Die unterschiedlichen Erfahrungen der Menschen mit der Kirche „erlauben nicht nur eine Form des Umgangs mit ihnen“.

 

Wache Präsenz als Anliegen

 

„Was ist das Zentrale für Jesus?“, fragt er und antwortet: „Sein Da-Sein, sein Für-Sein. Jesus ist nie gegen jemanden. Selbst wo er Kritik übt, tut er es im Dienst für den Menschen, für das Gute.“ Wache, wohlwollende Präsenz – das ist Pater Manfreds Grundanliegen für sich selber, für Christen, für die Kirche und ihre Seelsorge: „Heute, wenn Ihr seine Stimme hört“, zitiert er aus Psalmenbuch und Hebräerbrief, „verhärtet nicht euer Herz!“ Und setzt nach: „Heute' steht da! Nicht 'irgendwann' oder an einem bestimmten Ort, nein, hier und heute gilt es, seine Stimme zu hören – und dann das Herz nicht hart zu machen.“

In einem Beitrag über Schulseelsorge hat er jüngst geschrieben: „Die Qualität der (Schul-)Pastoral besteht darin, zur Kontemplation einzuladen, das heißt die Gegenwart Gottes im 'Hier und Heute' zu entdecken, statt sie durch Veranstaltungen zu inszenieren und herstellen zu wollen.“ Wäre noch zu ergänzen, dass die Armbanduhr des Paters zwar Stunden-, Minuten- und Sekundenzeiger hat, aber gänzlich ohne Zahlen auskommt. Stattdessen steht im Zentrum nur ein einziges Wort in schlichter Schrift: „Jetzt.“

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