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Bis heute gibt es vom Kölner Kardinal Rainer Maria Woelki keinerlei Reaktion auf die Enthüllungen der PR-Strategie zum Umgang mit Missbrauchs-Betroffenen. Stattdessen äußerte sich in der vergangenen Woche sein Generalvikar Guido Assmann. Doch auf Worte kommt es jetzt ohnehin nicht an, sagt Jochen Sautermeister, Moraltheologe in Bonn, in seinem Gast-Kommentar. Es braucht Taten.
Die Enthüllungen des Kölner Stadtanzeigers zur PR-Strategie des Erzbistums Köln im Umgang mit dem Betroffenenbeirat haben ein neues, besonders schmerzhaftes Kapitel der Fehltritte zur Aufarbeitung sexualisierter Gewalt in der katholischen Kirche aufgeschlagen. Die Unabhängige Beauftragte der Bundesregierung für Fragen des sexuellen Kindesmissbrauchs, Kerstin Claus, die jüngst der Evangelischen Kirche in Deutschland attestierte, dass diese in der Aufarbeitung der katholischen Kirche hinterherhinke, fand Worte, die nichts an Klarheit zu wünschen übriglassen: „Betroffene im Kontext von Aufarbeitungsprozessen zur Verfügungsmasse zu degradieren und massivster Machtmanipulation zu eigenem Nutzen zu unterwerfen, ist anmaßend und empörend.“
Der Ruf nach Aufklärung und Stellungnahme seitens der Bistumsleitung zu den Enthüllungen, wie er von mehreren Stadtdechanten und Betroffenen erhoben wurde, macht deutlich, worum es geht: um die Glaubwürdigkeit und Echtheit der Aufarbeitungsbemühungen im Erzbistum Köln insgesamt.
Transparenz ist keine Verfahrensfrage
Gerade bei der Aufarbeitung von sexuellem Missbrauch und dessen systemischer Vertuschung ist Transparenz nicht einfach eine Verfahrensfrage, sondern eine notwendige Haltung gegen die Vertuschung. Transparenz ist jedoch kein Selbstzweck. Diskretion ist geboten, um etwa berechtigte Schutzinteressen von Betroffenen zu wahren. Es gilt aber ebenso: Vertraulichkeit ist kein Selbstzweck. Vielmehr bedarf es guter Gründe, um Vertraulichkeit einzufordern. Andernfalls ließe sich der Verdacht, es werde weiter vertuscht beziehungsweise der Wille zur Aufarbeitung sei nicht ernst gemeint, nur schwer entkräften.
Die Stellungnahme des Erzbistums Köln durch dessen Generalvikar, der selbst an den Vorgängen im Herbst 2020 nicht beteiligt war, erfolgte in Form eines Briefs an die Mitarbeitenden des Erzbistums. Doch anstatt einen entlastenden Beitrag zur Aufarbeitung zu leisten, zeigen die öffentlichen Reaktionen: der Brief hat – vorsichtig formuliert – die Fragezeichen nur noch vergrößert.
Inszenierte Authentizität ist fragwürdig
Aufarbeitung zu leisten und verlorenes Vertrauen wiederzugewinnen, kann nur gelingen, wenn die Bemühungen aufrichtig sind und wenn sie kompetent umgesetzt werden. Andernfalls ist eine glaubwürdige und zielführende Aufarbeitung nicht möglich. Die Letztverantwortung hierfür hat die Bistumsleitung, sprich der Erzbischof.
Die Enthüllungen zur PR-Strategie des Erzbistums zeigen nun ein Lehrstück des sogenannten Authentizitätsparadoxes: Die Aufarbeitungsbemühungen müssen ernsthaft und echt, also authentisch sein, um glaubwürdig sein zu können. Authentizität, deren Inszenierung jedoch empfohlen wird, wird fragwürdig. Werden die Regieanweisungen bekannt, hat dies unweigerlich eine fundamentale kommunikative Verunsicherung zur Folge: Meint die Person es wirklich ernst – und zwar nicht nur in diesem Fall, sondern auch in anderen Situationen?
Klarstellung lässt sich nicht delegieren
Der Autor:
Jochen Sautermeister ist Professor für Moraltheologie an der Katholisch-Theologischen Fakultät der Universität Bonn und forscht unter anderem zu Themen sexualisierter Gewalt, Macht und Ohnmacht in der Kirche.
Ob in einem solchen Fall Echtheit aber nur simuliert wird oder unterstrichen werden soll, kann letztlich niemand anderes als die Person selbst wissen. So infrage gestellt, liegt die Beweislast hinsichtlich der Aufrichtigkeit der Aufarbeitungsbemühungen bei dieser, nicht bei anderen. Eine entsprechende Klarstellung lässt sich nicht delegieren, erst recht nicht an Personen, die an den damaligen Ereignissen nicht beteiligt waren.
Für diejenigen, die sich vorgeführt sehen, trägt gerade dies nicht zur Wiederherstellung der Glaubwürdigkeit bei, ganz im Gegenteil. Denn kommunikative Verunsicherung lässt sich nicht durch kommunikative Vermeidung auffangen – erst recht nicht, wenn man die Opfer sexualisierter Gewalt zu Subjekten machen möchte, was ja ein zentrales Anliegen der Beteiligung von Betroffenen bei der Aufarbeitung ist.
Vorsicht vor Retraumatisierung!
Aus den Erfahrungsberichten Betroffener wie auch aus der medizinischen Forschung und Praxis ist bekannt, dass das Erleiden sexualisierter Gewalt mit gravierenden Traumafolgestörungen und einer massiven Verunsicherung in das Vertrauen zwischenmenschlicher Beziehungen einhergeht. Die Verletzung der leibseelischen und sexuellen Integrität durch sexualisierte Gewalt ist eine kriminelle Form der Instrumentalisierung von Menschen durch Missbrauch.
Die Glaubwürdigkeit und der Erfolg von Aufarbeitungsbemühungen hängt also maßgeblich davon ab, dass dabei die Betroffenen nicht instrumentalisiert werden und sich auch nicht entsprechend erleben. Abgesehen von ethischen Erwägungen gebietet das allein schon die Vorsicht vor Retraumatisierung. Es sollte daher auch jeglicher Anschein von Instrumentalisierung für eigene Zwecke vermieden werden.
Was spricht gegen Veröffentlichung des PR-Papiers?
Wenn sich aus den veröffentlichten Auszügen des internen PR-Strategiepapiers mit der Überschrift „Wie ‚überlebt‘ der Kardinal bis März 2021“ aber zeigt, dass die Mitglieder des Betroffenenbeirats zu einer Entscheidung im Sinne des bereits beschlossenen Vorgehens des Erzbistums bewegt werden sollten – bei Bedarf auch mit entsprechenden Anreizen („Jokern“) –, dann wiegt die Beweislast noch schwerer: Die Diskrepanz zum Anliegen einer glaubwürdigen und kompetenten Aufarbeitung kleinreden zu wollen, käme einer hermeneutischen Waghalsigkeit gleich.
Und dies umso mehr, als Betroffene schon früh geäußert haben, sich in der besagten Beiratssitzung als für Interessen des Erzbistums beziehungsweise der Bistumsleitung benutzt zu erleben. Was spräche also unter der Maxime, dass immer und ausschließlich die Betroffenenperspektive handlungsleitend ist, dagegen, das interne PR-Strategiepapier zu veröffentlichen, um „Missverständnisse“ auszuräumen und um verspieltes Vertrauen zu werben?
Verantwortung an Opfer zurückgespielt?
Vor diesem Hintergrund weiterhin zu behaupten, dass die Betroffenen ja die Chance gehabt hätten, sich anders zu verhalten und anders zu entscheiden, lässt nun gerade aber jene kommunikative Kompetenz und Sensibilität vermissen, die lernen zu wollen im Schreiben an die Mitarbeitenden des Erzbistums eingeräumt wurde. Wird auf diese Weise nicht erneut die Verantwortung an die Opfer zurückgespielt?
Dieser performative Widerspruch macht deutlich: Die Bekundung der Absicht umfassender Aufarbeitung ist kein Sprechakt. Allein die wiederholte Willensäußerung schafft noch keine glaubwürdige und kompetente Aufarbeitung. Sie hat sich vielmehr im Handeln zu erweisen – im aufrichtigen und kompetenten Handeln derjenigen, die die Verantwortung dafür tragen.
Wer jedoch die Deutungsmacht über das Geschehene zurückgewinnen will – nicht nur gegen die Medienberichterstattung, sondern auch gegen die Erfahrung von beteiligten Betroffenen und gegen die Einschätzung der Unabhängigen Missbrauchsbeauftragten und vieler anderer innerhalb und außerhalb der Kirche –, der hat eigentlich schon verloren und gefährdet das Anliegen einer glaubwürdigen und umfassenden Aufarbeitung.
In unseren Gast-Kommentaren schildern die Autor:innen ihre persönliche Meinung zu einem selbst gewählten Thema. Sie sind Teil der Kultur von Meinungsvielfalt in unserem Medium und ein Beitrag zu einer Kirche, deren Anliegen es ist, die Zeichen der Zeit zu erkennen.