Offener Brief Betroffener sexuellen Missbrauchs an den Bundespräsidenten

Protest gegen Bundesverdienstkreuz für Kardinal Marx

  • Betroffene sexuellen Missbrauchs in der Kirche haben gegen die Verleihung des Bundesverdienstkreuzes an Kardinal Marx protestiert.
  • Sie schrieben einen offenen Brief an Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier.
  • Marx wird kritisiert, Fällen sexualisierter Gewalt in seinem früheren Bistum Trier nicht konsequent nachgegangen zu sein.

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Gegen die geplante Verleihung des Bundesverdienstkreuzes an den Münchner Kardinal Reinhard Marx haben Betroffene sexuellen Missbrauchs in der katholischen Kirche protestiert. In einem Offenen Brief an Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier forderte der Betroffenenbeirat des Erzbistums Köln ihn auf, die Ehrung des Kardinals nicht vorzunehmen.

Die angekündigte Ehrung stelle "alles in Frage, wofür wir kämpfen und arbeiten", heißt es in dem Schreiben, das Peter Bringmann-Henselder für den Betroffenenbeirat unterzeichnet hat und das nach seinen Angaben von den übrigen Mitgliedern abgezeichnet wurde. Die Verleihung des Bundesverdienstkreuzes an Marx, der von 2014 bis 2020 Vorsitzender der Deutschen Bischofskonferenz war, ist für Freitag geplant. Zu dem Offenen Brief gab der Sprecher von Kardinal Marx auf Anfrage keinen Kommentar ab.

 

Verleihung „nicht verständlich“

 

"Wir setzen uns für die Betroffenen sexualisierter Gewalt durch Mitglieder der katholischen Kirche ein, für die Aufklärung der Vertuschung durch hohe geistliche Würdenträger und für die Anerkennung des Leids, was den Betroffenen widerfahren ist", heißt es in dem Brief. "In diesem Zusammenhang wird die Verleihung des Bundesverdienstkreuzes an Pater Mertes und Matthias Katsch, die erst vor kurzem erfolgte, ad absurdum geführt. Diesen beiden wurde zu Recht die Ehrung zuteil, weil sie sich seit Jahren für die Betroffenen sexualisierter Gewalt einsetzen."

Es sei "nicht verständlich", dass Marx die Ehrung erhalten solle, weil dieser "nach wie vor in der Kritik steht, Fällen sexualisierter Gewalt in seinem früheren Bistum Trier nicht konsequent nachgegangen zu sein und dem man in diesem Zusammenhang Vertuschung vorwirft". Darüber hinaus wird Marx in dem Brief vorgeworfen, er halte ein Gutachten zu Fällen sexualisierter Gewalt im Erzbistum München und Freising, das 2010 habe veröffentlicht werden sollen, unter Verschluss.

 

Rückgabe aus Protest?

 

Der Betroffenenbeirat bittet das Staatsoberhaupt darum, Marx das Bundesverdienstkreuz nicht zu verleihen. "Andernfalls sollten alle, die für ihre Verdienste um die Opfer sexualisierter Gewalt bereits das Bundesverdienstkreuz verliehen bekommen haben, dieses zurückgeben, da es seinen eigentlichen Wert, die Ehrung einer verdienstvollen Tätigkeit, mit der Verleihung an Kardinal Marx verlieren wird." Bringmann-Henselder verwies darauf, dass er ebenfalls Träger des Bundesverdienstkreuzes ist. Er werde diesen Orden zurückgeben, sollte es zur Verleihung an Marx kommen.

Erst vor wenigen Wochen hatte Steinmeier zwei bundesweit bekannte Missbrauchsaufklärer mit dem Bundesverdienstkreuz ausgezeichnet, namentlich Jesuitenpater Klaus Mertes sowie den Betroffenen-Vertreter Matthias Katsch.

 

Aufarbeitung in Kirche läuft unterschiedlich

 

Um frühere Fälle von sexuellem Missbrauch durch Kleriker nachträglich aufzuarbeiten und herauszufinden, wie kirchliche Verantwortliche seinerzeit mit Tätern und Opfern umgingen, haben mehrere katholische Bistümer Aufarbeitungs-Gutachten in Auftrag gegeben. Ob und wie die Namen früherer Verantwortlicher in solchen Gutachten veröffentlicht werden dürfen, ist immer wieder Gegenstand juristischer Debatten.

Zuletzt hatte das Erzbistum Köln ein solches Gutachten veröffentlicht und ein weiteres den Medien zugänglich gemacht. In beiden wurden die Namen früherer Verantwortlicher und der Umfang ihrer Verletzung der Aufsichtspflichten explizit benannt. In den meisten Bistümern gibt es noch keine vergleichbaren Veröffentlichungen.

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