Gedenkgottesdienst am 29. Januar

Recklinghäuser Katholiken erinnern an drei Opfer der Nazi-Diktatur

  • Anlässlich des Gedenktages für die Opfer der nationalsozialistischen Diktatur am 27. Januar erinnern die Pfarreien in Recklinghausen an die Verfolgungen in ihrer Stadt.
  • Ein Gedenkgottesdienst zwei Tage später am 29. Januar stellt beispielhaft drei „fast vergessene Frauen“ vor.
  • Propst Karl-Hermann Kemper wertet die Erinnerungskultur in Recklinghausen als vorbildlich.

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Im Mittelpunkt des diesjährigen Gedenkgottesdienstes der Opfer der nationalsozialistischen Diktatur in Recklinghausen werden die Lebenswege und Lebensschicksale von drei Frauen stehen. Beispielhaft soll so gezeigt werden, wie in der Diktatur Menschen verfolgt und ermordet, schikaniert und drangsaliert wurden.

„Die Erinnerung an die Lebensschicksale soll zeigen, wie in Recklinghausen die Nazi-Diktatur Menschenleben auf unterschiedliche Weise zerstört hat“, sagt Hildegard Stein von der Katholischen Frauengemeinschaft (KFD) in Recklinghausen. Die KFD hatte bereits vor einigen Jahren eine Ausstellung über „fast vergessene Frauen“ in der Stadt mit vorbereitet, die jetzt wieder im Gedenkgottesdienst am 29. Januar 2023 um 11 Uhr in der Propsteikirche St. Peter präsentiert wird.

Erinnerung an drei Frauen

Den Gottesdienst bereiten Propst Karl-Hermann Kemper, Hildegard Stein, Georg Möllers vom Stadtkomitee der Katholiken und Pfarreiratsmitglied Isabell Hils vor. Gedacht wird besonders an Luise Löwenfels (1915-1942), Martha de Vries (1911-1988) und Ottilie Küchenhoff (1887-1971).

Als Tochter jüdischer Eltern konvertierte Luise Löwenfels zur katholischen Kirche. Die Recklinghäuser Paulus-Gemeinde half ihr, in ein Kloster nach Mönchengladbach zu fliehen. Obwohl sie sich taufen ließ, wurde sie weiterhin verfolgt. 1937 floh sie in die Niederlande und trat in die Ordensgemeinschaft der „Armen Dienstmägde“ ein.

Deportation in das KZ Auschwitz

Martha de Vries überlebte die NS-Verfolgung. Sie zählte nach 1945 zu den Wiederbegründern der Jüdischen Gemeinde in Recklinghausen. | Foto: Archiv
Martha de Vries überlebte die NS-Verfolgung. Sie zählte nach 1945 zu den Wiederbegründern der Jüdischen Gemeinde in Recklinghausen. | Foto: Archiv

Nach der Besetzung der Niederlande 1940 verfolgten die Nationalsozialisten auch dort Juden und die geflohenen Emigranten. Schwester Maria Aloysia – so der Ordensname von Luise Löwenfels – wurde 1942 untersagt, als Kindergärtnerin zu arbeiten, und sie musste den Judenstern tragen. Als Reaktion auf den Protest der niederländischen Bischöfe gegen die Deportationen wurde sie mit Edith Stein und anderen am 7. August 1942 nach Auschwitz verschleppt und dort zwei Tage später mit Giftgas ermordet.

Die Jüdin Martha de Vries, geborene Markus, wurde am 27. Januar 1942 in das Ghetto von Riga deportiert. Sie überlebte das Ghetto, die Konzentrationslager Kaiserwald und Stutthoff sowie den Todesmarsch. Wieder nach Recklinghausen zurückgekehrt, versuchte sie mit einem Obst- und Gemüsehandel eine berufliche Existenz zu schaffen.

Schikanen alter NS-Seilschaften

Der Zustimmung und Hilfe beim Aufbau eines neuen Lebens in Recklinghausen standen aber auch Hass und Schikanen alter NS-Seilschaften gegenüber. Martha de Vries meinte dazu: „Ich habe geglaubt, wenn ich wiederkomme, würde ich behandelt wie andere auch, aber ihr Hass gegen mich war immer noch wie vorher. Es tat ihnen leid, dass ich wiedergekommen bin.“

Ottilie Küchenhoff war Schulleiterin einer staatlichen Aufbauschule in Coesfeld. Die überzeugte Katholikin wurde 1933 ihres Amtes enthoben und später an das Oberlyzeum in Recklinghausen versetzt, wo sie Schikanen, Auseinandersetzungen und Beschwerden durch die NSDAP und Elternkreise erlebte, weil sie Nazi-Rituale ablehnte.

Gebetsbrücke nach Berlin und Riga

Für Georg Möllers, der die Biografien der NS-Verfolgten in Recklinghausen maßgeblich erforscht hat, zeigen die Lebenswege exemplarisch, wie die Nazi-Diktatur ihre Verfolgungen vollzog.

Über die besondere Gebetsbrücke zum Gedenken an die NS-Opfer in Recklinghausen und die historische Einordnung sagt Möllers: „Wir gedenken der Ermordung unserer jüdischen Mitbürgerinnen und Mitbürger, die am 24. Januar 1942 aus Recklinghausen deportiert und in das Ghetto Riga verschleppt wurden. Der Großteil von ihnen verhungerte, wurde in den Wäldern von Riga erschossen oder weiter zur Ermordung nach Auschwitz gebracht. Im Kloster Ikskile bei Riga gedenken wie im Kloster in Berlin Karmelitinnen der Ermordeten.“

Aufarbeitung der NS-Geschichte

Den Gedenkgottesdienst, den das Stadtkomitee der Katholiken zum zwölften Mal vorbereitet, wertet Propst Karl-Hermann Kemper als vorbildliche Erinnerungskultur. Kemper, der erst seit wenigen Monaten als Seelsorger in Recklinghausen wirkt, wird diesen Gedenkgottesdienst erstmals leiten.

„Die gute Aufarbeitung der Stadtgeschichte verdanken wir historisch interessierten Menschen. Die Schicksale dürfen nicht in Vergessenheit geraten“, sagt Kemper. Auch wenn der 27. Januar zunächst ein staatlicher Gedenktag sei, habe die Kirche die Aufgabe, sich der historischen Verantwortung zu stellen und aller Opfer der Terrorherrschaft zu gedenken.

Neue Publikation zum Kirchenkampf

Vorgestellt wird im Gottesdienst eine neue Publikation zum „Kirchenkampf in Recklinghausen 1933 bis 1945“. Die 160 Seiten umfassende Schrift wird gegen eine Schutzgebühr abgegeben.

Gedenkgottesdienst in Recklinghausen
Zum bundesweiten Gedenktag an die Opfer der NS-Diktatur (27. Januar) lädt das Stadtkomitee der Katholiken in Recklinghausen mit den Gemeinden alljährlich zum Gottesdienst ein. Durch die Weihe von zwei Kerzen wird symbolisch eine „Gebets- und Gedenkbrücke“ hergestellt. Die Kerzen werden in den Karmelitinnen-Klöstern in Berlin-Plötzensee und Riga aufgestellt. In der Krypta in Berlin ist die Asche des 1934 von der SS erschossenen Katholikenführers und Zentrumspolitikers Erich Klausener begraben, der von 1919 bis 1924 Landrat in Recklinghausen war. In Ikskile bei Riga gedenkt die Gemeinschaft der dorthin deportierten Recklinghäuser Jüdinnen und Juden.

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