Seit 40 Jahren unterstützt die "Brasilien-Cooparative" in Haltern

Seit er zwölf war, engagiert sich Bernd Kemper für Brasilien

In der sechsten Klasse hörte Bernd Kemper erstmals von Brasilien. Einige Jahre später baute er dort mit Freunden ein halbes Kinderdorf auf. Und das ist längst nicht alles, was die „Brasilien-Cooperative“ in Haltern in 40 Jahren auf die Beine gestellt hat.

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Bernd Kemper war zwölf Jahre alt, als er als Schüler der sechsten Klasse des Gymnasiums in Haltern einen Vortrag von Pater Beda hörte. Der Franziskaner vom Kloster Bardel bei Gronau sprach von den vielen sozialen Projekten seines Ordens in Brasilien. Das war vor 46 Jahren. „Für mich war damals als Junge schon klar: Ich wollte nach Brasilien. Pater Beda hatte mich gepackt“, sagt Bernd Kemper heute.

Brasilien wurde für den 58-Jährigen das Land, das ihn bis heute nicht loslässt. Seit fast 40 Jahren unterstützt er leidenschaftlich Projekte in den Elendsvierteln, den Favelas im Nordosten des Landes. 1982 war Kemper als Abiturient das erste Mal in Brasilien, lernte Land und Leute kennen und viele Franziskaner, die das lebten, was die damaligen Befreiungstheologen als die „Option für die Armen“ beschrieben.

 

Studenten bauen Kinderdorf auf

 

1983 machten sich Kemper mit Michael Brinkhoff und Ludger Backmann auf den Weg nach Brasilien, um dort mehrere Monate beim Aufbau eines Kinderdorfes mitzuhelfen. Nach ihrer Rückkehr gründeten sie die bis heute bestehende Brasilien-Cooperative, die unbürokratisch zusammen mit anderen Halterner Gruppen und dem Kloster Bardel an der Verbesserung der Lebenssituation der Menschen in den Favelas zu arbeitet.

Im Kinderdorf entstanden damals zwölf Häuser für 120 Straßen- und Waisenkinder. Jedes Haus hatte eine „Sozialmutter“. „Wir fingen damals an, Geld zu sammeln. Das war der Beginn unserer Brasilien-Cooperative“, sagt Kemper. Mit seinen Freunden organisierte er Altpapier- und Altkleidersammlungen, hielt in Pfarrheimen und Kirchen Vorträge über die Armut in Lateinamerika.

 

Landjugend-Partys für die Eine Welt

 

Die örtliche Katholische Landjugend-Bewegung (KLJB) organisierte Scheunenfeten und spendierte den Erlös für die Brasilien-Hilfe. „Es waren tolle Feiern“, erinnert sich die 53-jährige Ulla Bergemann, die damals als 16-Jährige auf die Projekte aufmerksam wurde und seit vielen Jahren in der Brasilien-Cooperative mitmacht. Die KLJB verkaufte nach den Erntedank-Gottesdiensten Mini-Brote zugunsten der kirchlichen Sozialarbeit.

Am Ende hatten die damaligen Studenten mit ihrem Verein mit über einer halben Millionen D-Mark das Kinderdorf gut zur Hälfte miterbaut. 1994/95 wurden noch eine Schreinerei und eine Bäckerei gebaut, die das Kinderdorf finanziell absichern und Ausbildungsplätze schaffen sollten.

 

Ein Altar wurde in die Luft gejagt

 

Brasilien-Hilfe Haltern
Engagieren sich seit vielen Jahren für soziale Projekte in Brasilien (von links): Jutta Nolte, Ludger Backmann, Ulla Bergemann und Bernd Kemper. | Foto: Johannes Bernard

Im Lauf der Jahre kümmerte sich die Brasilien-Cooperative nicht nur um mehrere Schulprojekte und Gesundheitsstationen. Von 1987 bis 1999 unterstützte der Verein den Bau eines Menschenrechtszentrums in der Millionenstadt Nova Iguacu, wie Ludger Backmann erklärt.

Die Gründung des Zentrums ging von Bischof Adriano Hypólito (1918-1996) aus. „Zeit seines Lebens hat sich dieser Bischof für die Entrechteten und Unterdrückten seines Landes eingesetzt. Weil er die extremen Auswüchse des Kapitalismus und die soziale Ausgrenzung beim Namen nannte, wurde er für die herrschenden Eliten zunehmend unbequemer. Sein Leben wurde mehrfach bedroht, sein Altar in die Luft gejagt. 1976 wurde entführt, gefoltert, mit Farbe übergossen und als roter Bischof tituliert“, sagt Backmann.

 

Backmann: Arme kennen ihre Rechte nicht

 

Wie Kemper kannte er Bischof Adriano Hypólito von den vielen Brasilien-Aufenthalten her gut. In Haltern war der 60-Jährige auch Gastgeber des Bischofs, als dieser in den Gottesdiensten der Pfarrei und anderer Gemeinden des Kreises Recklinghausen über die Hilfen der Brasilien-Cooperative sprach und sich bei den vielen Spendern bedankte.

Bis heute beraten im von Priestern geleiteten Menschenrechtszentrum mehrere Rechtsanwälte die Opfer von Gewalt und Ungerechtigkeit in allen Rechtsfragen kostenlos und vertreten diese vor Gericht. Alle Gewaltverbrechen werden dokumentiert. „Das Zentrum leistet wertvolle Arbeit, weil die Armen ihre Rechte nicht kennen und ohne Hilfe keine Chance hätten, vor Gericht Rechte durchsetzen zu können“, sagt Backmann.

 

60.000 Euro für die Selbsthilfe

 

Heute zählt die Brasilien-Cooperative rund 30 Mitglieder. Im Durchschnitt 60.000 Euro jährlich sammelt der Verein an Spenden, die zu 100 Prozent die Bedürftigen erreichen. Zu den jüngeren Projekten gehört der Aufbau von „Emaús Novos Alagados“, das die Halterner seit acht Jahren fördern. Nach dem Prinzip „Hilfe zur Selbsthilfe“ entsteht dort eine Second-Hand- und Recycling-Werkstatt, mit deren Erlös bedürftige Kinder und Jugendliche gefördert werden.

Wie Kemper erklärt, gibt es in Brasilien eine Mittel- und Oberschicht, die viel konsumiert und Möbel, Haushaltsgeräte, Fernseher und viele andere Dinge durch Neuanschaffungen ersetzt, ohne dass diese Dinge wirklich kaputt sind. Mitarbeiter von „Emaús“ holen die gebrauchten Dinge als Spende ab, reparieren sie in projekteigenen Werkstätten und verkaufen die Gegenstände dann als Second-Hand-Waren zu günstigen Preisen.

 

100 Familien leben von der Emaús-Arbeit

 

„So bündelt dieses Projekt mehrere sinnvolle Projekte: die Wiederverwertung gebrauchter Gegenstände, die Ausbildung von Jugendlichen und die Versorgung der armen Bevölkerung mit günstigen Waren täglichen Bedarfs“, sagt Kemper. In einem bereits vor 20 Jahren aufgebauten Projekt in Fortaleza leben mittlerweile 100 Familien von der Emaús-Arbeit, viele Tausende profitieren von den erschwinglichen Angeboten.

In den vergangenen fast 40 Jahren hat die Brasilien-Cooperative eine Menge erreicht und viele Menschen bewegt. Vor 16 Jahren ist in Haltern ein zweiter Verein entstanden, um die Eine-Welt-Arbeit weiter auszubauen: „Ajuda – Hilfe für Kinder in Brasilien“. Dieser Verein mit seinen 80 Förderern hat zwei Kindertagesstätten errichtet und organisiert ein Patenschaftsprogramm.

 

Projekten zeigen Erfolge

 

Die von Bernd Kemper und seinen Freunden in 1983 mitaufgebauten Kinderdörfer gibt es nach wie vor. Im Vordergrund stehen inzwischen die schulische Ausbildung, Arbeitsvermittlung, die Betreuung der Jugendlichen in den Firmen und eine sozial orientierte Arbeit für ihre Familien.

Über sein jahrzehntelanges Engagement sagt Backmann: „Es ist schön zu sehen, wenn Projekte Erfolge zeigen. In Brasilien habe ich eine engagierte Kirche erlebt, die an der Seite der Armen steht.“ Dass der Einsatz für eine gerechte Welt nicht aufhören darf, findet auch Jutta Nolte. Die 49-Jährige hilft im Verein mit, „weil schulische und berufliche Ausbildung der wichtigste Schritt ist, um jungen Menschen langfristig eine Perspektive zu geben.“

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