RECHTSRADIKALISMUS

Resozialisierung durch Pastoralrefenten gescheitert: Neonazi tötet Frau

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Der hessische Seelsorger Joachim Schaefer wollte junge Rechtsradikale von ihrem Weg abbringen. Warum einer von diesen zum Mörder wurde.

Von KNA

Der Pastoralreferent Joachim Schaefer aus dem hessischen Wetzlar ist seit Jahren engagiert im Kampf gegen Rechtsextremismus. Er versuchte auch den früheren Neonazi Francesco M. zu läutern, der Anfang April zuerst eine 17-Jährige erschoss und dann sich selbst. „Es kann doch nicht sein, dass er jetzt wirklich zugeschlagen hat“, erklärt Schaefer seine ersten Gedanken, als er von dem Femizid hörte, gegenüber der Katholischen Nachrichten-Agentur.

Der 32-jährige Francesco M. hatte nicht akzeptieren können, dass sich die 17-Jährige nach einer kurzen Liebesbeziehung von ihm getrennt hatte, wie die „Frankfurter Rundschau“ die zuständige Staatsanwaltschaft zitiert. Das Mädchen erlag ihren Verletzungen noch am selben Tag im Krankenhaus, der Täter verstarb einige Tage später. Die Schusswaffe besaß der Mann demnach illegal.

15 Jahre zuvor, 2010, hatte der damalige Neonazi M. im Alter von 17 Jahren mit drei weiteren Rechtsradikalen der Gruppierung „Anti Antifa Wetzlar“ einen Brandanschlag auf das Haus von Schaefer verübt. Seine damalige Frau und drei seiner fünf Kinder schliefen dort. Das Feuer wurde von Nachbarn bemerkt, sodass niemand verletzt wurde. Der spätere Mörder M. erhielt 2011 eine Haftstrafe von fünf Jahren und neun Monaten. Eine Tochter der Familie sagte Schaefer zufolge, als sie von dem Mord erfuhr: „Wir haben damals Glück gehabt und überlebt.“

Experte: Verbindung zwischen rechtsradikaler Gewalt und Hass gegen Frauen

Schaefer ist es nach eigenen Worten ein Anliegen, dass öffentlich wird, dass der Täter nicht irgendjemand war – sondern ein vorbestrafter früherer Neonazi. Vor dem Brandanschlag damals wurde das Haus des Kirchenmanns zweimal mit Hakenkreuzen und SS-Zeichen beschmiert, berichtet er. „Er war zuletzt kein Neonazi mehr, aber sicher auch kein Aussteiger. Er suchte weiter nach Macht, war ausländerfeindlich, hat sich aufgepumpt trainiert und voll tätowiert gezeigt“, berichtet der Diplom-Theologe und -Pädagoge.

Zur Schau gestellte Männlichkeit gehört laut Andreas Speit, Experte für Rechtsextremismus, zur Ideologie des Rechtsextremismus dazu: „Das Stählen des Körpers, das soldatische und heroische Auftreten sind zentrale Elemente.“ Genauso sei in der rechtsradikalen Weltanschauung anti-feministisches und anti-emanzipatorisches Gedankengut verankert. Zwar müsse in jedem Einzelfall – also auch in Wetzlar – geschaut werden, was Ideologie sei, was Persönlichkeitsstruktur, was Beziehungsdynamik. „Die Grenzen sind manchmal fließend.“ Dennoch sieht Speit einen klaren Zusammenhang zwischen Rechtsradikalität und Gewalt – auch gegen Frauen.

Pastoralreferent: Vernichtungsfantasien und Komplexe spielen eine Rolle

Schaefer betont, dass der Brandanschlag auf sein Haus damals und der Mord an der Ex-Freundin des Täters jetzt eine „ganz andere Motivlage“ hätten. Dennoch sieht auch er Parallelen in Bezug auf das Weltbild und das Wahnhafte des Täters. „Da spielen Vernichtungsfantasien eine Rolle und sicher auch Minderwertigkeitskomplexe.“

Der Pastoralreferent macht in der Domgemeinde Wetzlar eigenen Angabe zufolge seit rund 25 Jahren Medienarbeit mit Jugendlichen. So kam er schon 2008 mit den Neonazis vor Ort in Kontakt. „Ich hab mit ihnen auch Interviews gemacht, aber irgendwann hatten sie mich dann auf dem Kieker“, erinnert sich Schaefer. Er habe die jungen Neonazis einerseits von einer Abkehr des Extremismus überzeugen wollen, andererseits habe er der Öffentlichkeit auch zeigen wollen: „Schaut her, was hier passiert.“ Während er mit den meisten von ihnen gut ins Gespräch gekommen sei, habe Francesco M. ihm von Anfang an ablehnend gegenüber gestanden.

Entsteht eine neue rechte Jugendbewegung?

Der Pastoralreferent beobachtet den derzeitigen Rechtsruck in Deutschland mit Sorge. „Ich habe das Gefühl, dass sich eine neue rechte Jugendbewegung formiert.“ Wenn er in andere Städte fahre, um dort Naziaufmärsche zu filmen – zuletzt in Aschaffenburg und Frankfurt – gewinne er den Eindruck, dass die AfD gerne Straßengangs mobilisiert. „Diese Leute fantasieren vom Tag X, wenn sie keiner mehr halten wird“, so Schaefer. Zuletzt fuhr er mit dem Rad von Bornhagen im thüringischen Eichsfeld, dem Wohnort des AfD-Politikers Björn Höcke, bis nach Gotha und befragte auf seinem Weg immer wieder Menschen, junge wie alte AfD-Wähler.

Sie schätzten das Gefühl, wieder wer zu sein, wollten stolz auf Deutschland sein und das zeigen dürfen, sagt der Wetzlarer. Er will den Menschen zuhören: „Wir haben es in der Politik und auch in der Kirche vernachlässigt zu fragen: Wo drückt der Schuh? Was sind eure Probleme? Wir müssen Menschen zum Reden bringen, sie fragen und beteiligen“, erklärt er. Gleichzeitig will er die Menschen auch entlarven, wenn er nachhakt: Und wen wollt ihr abschieben? Warum genau ist die AfD keine Nazi-Partei? Schaefer: „Ich bin für alle da als Seelsorger, aber ich thematisiere auch ihre Sünden, ihren Hass.“

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