Einschätzungen von Fachleuten aus dem Bistum Münster

Retten ausländische Fachkräfte die deutsche Pflege?

Ohne ausländische Pflegekräfte werden deutsche Krankenhäuser nicht einsatzfähig bleiben, sagt Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU). Pflegefachleute aus dem Bistum Münster, darunter eine indische Krankenschwester, nehmen dazu Stellung.

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Können ausländische Pflegekräfte den Notstand in deutschen Krankenhäusern beheben? Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) jedenfalls ist überzeugt, dass es kaum mehr möglich ist, ein Hospital ohne Fachpersonal aus dem Ausland zu betreiben.  Insbesondere im Kosovo und in Albanien sieht Spahn ein hohes Potenzial an Fachkräften.

Das Uniklinikum Münster hat gerade 35 Mitarbeiter aus Brasilien angeworben. Klaus Schoch, Justitiar beim Caritasverband für die Diözese Münster (DiCV) und Leiter der Abteilung Gesundheit, Recht und Wirtschaft, sieht „Massenanwerbung“ jedoch skeptisch. „Wir dürfen nicht Ländern, die ärmer sind als wir, die teurer ausgebildeten Kräfte entziehen.“

Kein Allheilmittel

Der Personalmangel an den 58 katholischen Krankenhäusern im nordrhein-westfälischen Teil des Bistums Münster ist aber nicht so gravierend wie in anderen Kliniken, erläutert Jörn Suermann, Referent für Pflege und Pflegeausbildung beim DiCV. Es gebe Bettenschließungen, 2015 dauerte die Besetzung einer freien Stelle im Bundesdurchschnitt 121 Tage. „Damit liegt die Suchdauer um 51 Prozent über dem Durchschnitt aller Berufe“, sagt Suermann. Eine schnelle und nachhaltige Lösung des Problems sehen Schoch und Suermann dennoch nicht im Ausland.

Im Gegenteil. Die Integration der Arbeitskräfte sei oft schwierig und werde zuweilen unterschätzt. Klaus Schoch spricht aus Erfahrung. Von 17 in Spanien durch die Caritas angeworbenen jungen Leuten für die Altenpflege seien nur noch drei in Deutschland tätig. Der Rest ist nach Spanien zurückgekehrt. Heimweh, Sprachschwierigkeiten, die  traditionell starke Bindung an das Elternhaus und unterschiedliche Berufsauffassungen hätten die Arbeit belastet. Suermann nennt ein Beispiel: „Waschen, Kleiden, Rasieren gehören bei uns zur Grundpflege. In anderen Ländern übernehmen das die Angehörigen oder Hilfskräfte.“

Persönliche Kontakte helfen

Leonhard Decker, Pflegedirektor am münsterschen St.-Franziskus-Hospital, kennt diese Probleme. Dennoch sucht er nach Unterstützung im Ausland. „Über persönliche Kontakte“, berichtet er.

„Wir stehen personell nicht mit dem Rücken an der Wand wie andere Kliniken. Wir wollen aber für die Zukunft vorsorgen und Erfahrungen auf dem Gebiet sammeln.“ Mit Hilfe einer pensionierten indischen Krankenschwester aus der St.-Barbara-Klinik in Hamm-Hee­ssen hat Decker fünf Pflegekräfte angeworben. Eine davon ist Ash­na Sebastian aus Kerala.

Bürokratische und fachliche Hürden

Ashna Sebastian, Krankenschwester aus Indien.
Ashna Sebastian, Krankenschwester aus Indien. | Foto: Karin Weglage

Sie hat in Indien einen Bachelor in Krankenpflege erworben, einen akademischen Abschluss mit viel Theorie und moderater Praxiserfahrung.  Deutsch hat sie an der dortigen Sprachschule gelernt. Im November 2016 kam die heute 26-Jährige mit drei weiteren Inderinnen nach Münster. „Bereits die Ausstellung der Visa kostete viel Zeit“, erläutert Decker die bürokratischen Hindernisse.  

Ursprünglich hatte der Pflegedirektor die Unterbringung der jungen Frauen in deutschen Familien geplant. Nach vielen Unwägbarkeiten zogen sie schließlich ins Krankenhauswohnheim. Die nächste Hürde bildete die Gleichwertigkeitsprüfung. Für sie ist das Landesprüfungsamt für Medizin, Psychotherapie und Pharmazie bei der Bezirksregierung in Düsseldorf zuständig.

Sprachfähig sein

In 600 bis 800 Arbeitsstunden mussten die Fachkräfte aus Indien zunächst ihren Kenntnisstand so auffrischen, dass er dem deutschen Berufsbild entspricht. Dafür stellte Decker sie auch frei. Den Inderinnen fehlten Erfahrungen in der ambulanten Pflege und in der Psychiatrie. Ashna Sebastian hat die Gleichwertigkeitsprüfung in Düsseldorf bestanden, doch damit nicht genug.

Im April dieses Jahres musste sie zudem eine mündliche Prüfung beim Gesundheitsamt in Münster ablegen. Jetzt darf sie sich Krankenschwester nennen und wird auch so bezahlt. Zuvor arbeitete sie als Krankenpflegehelferin. Zusätzlich ermöglichte das Hospital seinen indischen Fachkräften zweimal wöchentlich Schulungen in medizinischer Fachsprache. „Was nützt es, wenn sie den Oesophagus kennen, der Patient aber über Probleme mit seiner Speiseröhre klagt?“, fragt Decker.

Keine Kompromisse bei der Qualität

Im St.-Franziskus-Hospital kümmert sich inzwischen eine Mitarbeiterin um die Ausländer. Decker hat zudem drei Pflegekräfte aus Albanien angeworben – über den Kontakt zu einem albanischen Krankenpfleger, der früher im Haus gearbeitet hat. Außerdem streckt er seine Fühler nach Italien aus. Der Pflegedirektor hofft, mit den EU-Bürgern weniger bürokratische Barrieren überwinden zu müssen.

Jörn Suermann, Referent für Pflege und Pflegausbildung.
Jörn Suermann, Referent für Pflege und Pflegausbildung. | Foto: Karin Weglage

Jörn Suermann vom DiCV weiß, dass die Anerkennungsverfahren und die Einarbeitung der Pflegekräfte aus Nicht-EU-Staaten bis zu zwei Jahre dauern können. „Nur weil wir einen Mangel haben, können wir aber nicht die Qualität absenken“, sagt er. Pflege sei ein höchst kommunikativer Beruf. Es bringe rein gar nichts, wenn der Patient nicht verstanden wird.

Image der Pflegeberufe verbessern

Wenn sich das Image der Pflegeberufe verbessere, könne man auch mit mehr Interessenten rechnen, sagt Klaus Schoch. In Nordrhein-Westfalen gebe es 22 000 Ausbildungsplätze in der Krankenpflege. Die Caritas bilde allein im nordrhein-westfälischen Teil des Bistums in ihren 17 Schulen rund 2500 junge Leute aus.

Der DiCV-Justitiar sieht auch die politische Diskussion um die Anwerbung von Geflüchteten kritisch. „Menschen aus dem Nahen und Mittleren Osten haben ein anderes Menschenbild“, gibt er zu bedenken. Der erste Schritt müsse die erfolgreiche Integration sein. Sie sei die Grundvo­raussetzung für eine erfolgreiche Arbeit am Krankenbett.

Pfleger sind Menschen

Leonhard Decker ist sehr zufrieden mit dem Integrationswillen seiner indischen und albanischen Kräfte. Manchmal wünsche er sich von ihnen „etwas mehr eigenverantwortliches und selbstbewusstes Auftreten“. Dem Pflegedirektor ist es wichtig, „dass sich die ausländischen Kräfte bei uns wohlfühlen“. Das bedeute auch, „dass sie heiraten, ihren Partner nach Münster holen und hier mit ihrer Familie leben“.

Vertragsmäßig auf Jahre verpflichten kann und will er sie aber nicht, auch wenn das St.-Franziskus-Hospital einige Ressourcen in seine ausländischen Mitarbeiter investiert hat. Beruflicher Einsatz gründe auf Freiwilligkeit, sagt er.

Ashna will bleiben

Krankenschwester Ashna  sagt, sie sei nicht wegen des Geldes oder beruflicher Perspektiven nach Deutschland gekommen. „Ich wollte schon immer außerhalb Indiens arbeiten.“ Deswegen wolle sie auch lange bleiben. „95 Prozent der Patienten sind begeistert, dass wir hier sind.“ Sie habe aber auch schon den Satz gehört: „Von Ihnen lasse ich mich nicht behandeln.“

Das verzweifelte Suchen der Politik nach schnellen Lösungen sehen die Fachleute im DiCV und der Fachmann im Hospital mit Sorge. „Der Pflegemangel schreit nach einfachen Lösungen. Die gibt es aber nicht“, sagt Decker.

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