EHRENAMT

Rikscha-Fahrten durch Kamp-Lintfort: Schubkraft für Leib und Seele

Anzeige

Warum ein kostenfreier Rikscha-Fahrdienst nicht nur dessen Fahrgästen, sondern auch den Fahrerinnen und Fahrern guttut – zu Besuch in Kamp-Lintfort.

In der ehemaligen Bergbaustadt Kamp-Lintfort am Niederrhein ist die Caritas mittendrin im Zentrum der 39.000 Einwohner zählenden Stadt, von denen 11.000 zur katholischen Pfarrgemeinde St. Josef gehören. Zwischen Rathaus, Sparkasse und Caritas-Treffpunkt, macht sich der nach einem ehemaligen Bürgermeister benannte Karl-Flügel-Platz breit. Hier hat zuletzt der pensionierte Polizeibeamte Werner Kluttig trainiert, wie man möglichst elegant, effektiv und unfallfrei eine Fahrradrikscha steuert, vor allem dann, wenn man ein Hindernis um- oder eine Hürde überfahren will.

Werner Kluttig ist der dienstjüngste der insgesamt 51 Männer und Frauen, die im Rahmen des Projektes „Young Caritas“ einen Rikscha-Führerschein gemacht haben, um ehrenamtlich mit inzwischen sieben Fahrradrikschas vor allem alte, kranke, beeinträchtigte und immobile Menschen durch Kamp-Lintfort und seine Umgebung zu fahren. 

4.000 Kilometer mit 300 Fahrgästen

Zur Stadt gehören auch das Kloster Kamp und das ehemalige Zechengelände Friedrich-Heinrich. Letzteres wurde 2020 als Landesgartenschaugelände von der Industriebrache zur blühenden Landschaft. Seit August 2023 haben die Rikschafahrerinnen und -fahrer, die zwischen Mai und Oktober insgesamt rund 4.000 Kilometer zurücklegen, bisher 300 Fahrgäste befördert. Für ihre Fahrgäste ist ein solcher Ausflug keine Alltäglichkeit, sondern ein ganz besonderes Erlebnis, das ihnen oft unverhofft, etwa als Geburtstagsüberraschung, pure Lebensfreude schenkt.

„Die jungen Leute müssen nach der Corona-Pandemie mal wieder raus an die frische Luft!“ So beschreiben die drei Pensionäre Maria Dalsing, Peter Niedwiedz und Christoph Kämmerling ihre Gründungsidee, mit der sie die „Young Caritas“ 2022 aus der Taufe gehoben haben. Doch wer am Samstagvormittag den Rikscha-Biker-Treff in einem leerstehenden Ladenlokal an der Markgrafenstraße besucht, wird überrascht. Die Jüngsten sind hier Mitte 30 und die Ältesten Mitte 70. „Daran, junge Menschen für unser Projekt zu gewinnen, müssen wir noch arbeiten“, gibt der pensionierte Pastoralreferent und Mitinitiator Peter Niedwiedz freimütig zu.

Wie leicht Menschen glücklich gemacht werden

„Wir bewegen Menschen und haben deshalb auch in diesem Jahr wieder eine bewegende Saison erlebt“, bringt es sein ebenfalls pensionierter Berufs- und Ehrenamtskollege Christoph Kämmerling auf den Punkt. Seine Mitfahrer und Mitfahrerinnen und er strampeln sich gerne für ihre Mitmenschen ab, wenn sie selbst erleben können, wie vergleichsweise leicht es sein kann, Menschen glücklich zu machen und ihnen ein dankbares Lächeln ins Gesicht zu zaubern. 

Peter Niedwiedz bezeichnet die ehrenamtlichen Fahrerinnen und Fahrer als „gute Seelsorger, die aus einer guten Idee ein gutes Werk gemacht und ein soziales Netzwerk geschaffen haben.“ Er betont: „Da, wo aus einem, wie auch immer gearteten kirchlichen Raum, eine Initiative entsteht, die Menschen etwas Gutes tut und die für unsere Gesellschaft lebensnotwendigen Begegnungsräume schafft, wird damit als eine dienende und damit karitative Kirche erlebbar und glaubwürdig.“ Dabei stört es ihn nicht, dass nicht alle Rikscha-Pilotinnen und -Piloten katholische Kirchenmitglieder sind. Ihm geht es „jenseits der hohen Theologie um eine Kirche, die als Netzwerkerin im Sinne Jesu, Menschen guten Willens, für eine gute Sache zusammenbringt und damit die frohe Botschaft des Evangeliums erlebbar macht“.

Rikschas immer in der Gruppe unterwegs

Warum investieren Menschen Zeit und unentgeltliche Arbeit, um ihren Mitmenschen eine Freude zu machen? „Das macht süchtig, für die Menschen da zu sein und ihre Freude zu spüren, wenn man sie durch die Stadt fährt. Und wir fahren bei unseren monatlich sechs bis sieben Touren immer in einer Gruppe. Dabei lernen sich Fahrer und ältere Leute besser kennen. Wir nehmen uns bei unseren Stadtrundfahrten auch Zeit für eine Kaffee- oder eine Eispause. So erleben unsere Fahrgäste und wir eine positive Gruppendynamik“, erklärt die pensionierte Versicherungskauffrau Maria Dalsing ihre Motivation zum Mitfahren und Mitmachen.

Der 33-jährige islamische Buchhalter Muaz Vakitsayan, radelt als Rikscha-Chauffeur bei der Caritas „gerne mit, weil es mich glücklich macht, wenn ich alten Menschen helfen und ihnen eine Freude machen kann.“ Die Landesbeamtin Sigrid Solabier und ihr Ehemann Jörg lieben die sozialen Kontakte und die von Fahrgästen erzählten Geschichten, die sie bei ihren Rikscha-Stadttouren gerne knüpfen und hören. Unvergessen bleibt ihnen zum Beispiel ein ehemaliger Bergmann, der sich gar nicht genug darüber wundern und freuen konnte, seinen ehemaligen Arbeitsplatz als der frischen Luft als blühende Landschaft zu erleben.

Mit bis zu sieben Rikschas unterwegs

Positiv fällt ihnen bei ihren Touren, die sie immer in einer Kolonne mit bis zu sieben Rikschas fahren, auf, „dass uns die anderen Verkehrsteilnehmer rücksichtsvoll akzeptieren und uns freundlich zuwinken.“ Ulrich Richter, der sich schon mal in seinem Plüschkostüm als Landesgartenschau-Maskottchen Kalli zu Kranken- und Geburtstagsbesuchen chauffieren lässt, bekommt jetzt noch eine Gänsehaut, wenn er an die syrische Familie zurückdenkt, die ihr Picknick unterbrach, um ihr Baby dem Plüsch-Erdmännchen Kalli in die Arme zu legen, um sie gemeinsam zu fotografieren.

Zum Projekt in Kamp-Lintfort
Eine E-Bike-Rikscha, wie sie von den Ehrenamtlern der „Young Caritas“ auf den in der Regel 25 Kilometer langen Stadttouren, gefahren werden, kostet bis zu 8.000 Euro. Die Akkus, die für die elektrische Schubkraft sorgen, schlagen mit 800 Euro pro Stück zu Buche. Um ihren für alte, kranke, behinderte und immobile Menschen kostenlosen, aber unbezahlbaren Fahrdienst mit frischer Luft und guter Aussicht für Leib und Seele anzubieten, ist das Projekt Young Caritas auf volljährige und ehrenamtliche Rikscha-Fahrerinnen und -Fahrer sowie auf Sponsoren und Spenden angewiesen. Die derzeit sieben Rikschas, zu denen auch eine rollstuhlgerechte Rikscha gehört, konnten mithilfe der Sparkasse Kamp-Lintfort, der Gunda-Höhn-Stiftung, mithilfe des örtlichen Sanitätshauses Hodey, des St.-Bernhard-Hospitals sowie mithilfe der örtlichen Rotarier und Lions finanziert werden. Weitere Informationen zu den Rikschatouren findet man im Internet unter: www.youngcaritaskali.de sowie im Pfarrbüro St. Josef an der Königstraße 1, 47475 Kamp-Lintfort. Die Reservierungshotline für Rikschatouren mit der „Young Caritas“ ist unter der Rufnummer: 0151/40269149 erreichbar.

Anzeige