KAB-Frau Heike Honauer: So gelingt das Sabbatical

Sabbatzeit: Fünf Monate mit dem Rad quer durch Nordeuropa

Heike Honauer, Regional-Sekretärin der Katholischen Arbeitnehmerbewegung für Coesfeld, hat sich fünf Sabbat-Monate gegönnt. Sie fuhr mit dem Rad über Dänemark, Südschweden, Lettland und Litauen nach Estland. Warum sie empfiehlt, das Experiment selbst zu wagen.

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Fünf Monate frei – reisen, fremde Länder kennenlernen, Zeit im Überfluss. Was junge Menschen sich nach Schule oder Studium gönnen, hat sich Heike Honauer mitten im Berufsleben freigeschaufelt. Die 53-Jährige hat sich im vergangenen Jahr fünf Sabbat-Monate genommen und ist über Dänemark und Schweden nach Litauen, Lettland und Estland geradelt, um über Finnland nach Deutschland zurückzukehren. Alles mit ihrem 22 Jahre alten, 21-gängigen Tourenrad. 4.500 Kilometer. 

Zwei Hosen, ein Sweatshirt, eine Fleece-Jacke, Topf, Teller, Becher, den Spiritus-Kocher, die Isomatte, das Zelt, Karten und Proviant hat sie in die Packtaschen am Vorder- und Hinterrad verstaut. Übernachtet hat sie an einsamen Ostseestränden, Seen, in Parks, unter Eichen und Birken am Waldrand, auf Zeltplätzen ohne fließendes Wasser, mit Plumpsklo. Allein. „Das waren unbezahlbare Erlebnisse“, sagt sie. 

22 Jahre alt, 21 Gänge, vollgepackt: Heike Honauers Fahrrad. | Foto: Heike Honauer
22 Jahre alt, 21 Gänge, vollgepackt: Heike Honauers Fahrrad. | Foto: Heike Honauer

Sehnsucht nach Freiheit und Zeit 

Ab und zu schlief sie auch  im Acht-Bett-Zimmer im Hostel. „Seit den Neunzigerjahren habe ich immer Vollzeit gearbeitet“, sagt sie. Vor sieben Jahren sei sie zudem ernsthaft erkrankt. Damals ist ihr klar geworden: „Das Leben ist zeitlich begrenzt.“ Viele Freunde haben sie vor der Tour gefragt. „Was suchst du?“ Es sei ihr aber nicht um eine Suche gegangen, obgleich sie viel gefunden hat: „Ich hatte einfach Sehnsucht nach unverplanter Zeit.“ 

Auf der Reise sei sie sich selbst näher gekommen. „Ich habe mich der guten Version von mir ähnlicher gefühlt“, beschreibt sie es. Im anstrengenden Alltag agiere sie zuweilen anders, funktioniere eher. 

Vollzeit arbeiten bei halbem Gehalt

Das Vorhaben hat lange in ihr rumort. Eines Tages habe sie im Radio Arbeitsministerin Andrea Nahles (SPD) gehört. „Sie hat über die Idee einer befristeten Teilzeit für alle und das Rückkehrrecht in den Beruf gesprochen.“ Sobald das Gesetz da ist, fährst du los, habe sie sich damals gedacht und dann: Warum willst du so lange warten? 

Estland: Heike Honauer hat ihr Zelt an einem See aufgeschlagen. | Foto: Heike Honauer
Estland: Heike Honauer hat ihr Zelt an einem See aufgeschlagen. | Foto: Heike Honauer

Da war die Entscheidung gefallen. Der nächste Schritt sei gewesen, ihren Arbeitgeber zu informieren. Honauer ist Regionalsekretärin für den Bezirk Coesfeld bei der Katholischen Arbeitnehmerbewegung (KAB), Referentin für Öffentlichkeitsarbeit im Diözesanverband der KAB Münster und  Leiterin der Zweigstelle Coesfeld des KAB-Bildungswerks.

Trotz Schotter nur eine Fahrrad-Panne 

Ihre Vorgesetzten hätten offen und respektvoll auf ihr Anliegen reagiert und sie gebeten, einen Vorschlag zu machen: Honauer schloss mit der KAB den Vertrag für eine befristete Halbtagsstelle von Januar bis Oktober 2018 ab. Fünf Monate arbeitete sie Vollzeit, bekam aber nur das halbe Gehalt. Fünf Monate nahm sie sich den Arbeitszeitausgleich dafür. Das halbe Gehalt lief weiter. Sie musste aber auch Ersparnisse investieren. „Wegen der Miete und anderer Verbindlichkeiten.“ Drei Wochen im Juni bereitete sie die Reise vor. Dann stieg sie mit ihrem Rad in den Zug nach Berlin. Von der Wohnung einer Freundin aus wollte sie ihr Abenteuer starten. 

Sie hatte weder einen detaillierten Plan, noch zuvor gezielt ihre körperliche Kondition trainiert. „Ich wusste nur, dass es von Berlin aus losgehen sollte und ich über Dänemark und Schweden nach Tallinn wollte.“ Über Brandenburg  radelte sie zur Insel Rügen. In Sassnitz nimmt sie die Fähre nach Bornholm. Dort hat sie ihre einzige Panne während der Tour. Der Fahrradständer bricht. Er muss erneuert werden.  Den Rest der Strecke wird sie von Pannen und Platten verschont, obgleich sie Hunderte von Kilometern auf Schotterwegen fahren muss. Nachdem sie die Bornholmer Insel umrundet hat, setzt Honauer mit der Fähre ins südschwedische Ystad über. Einige Zeit später kommt sie in Karlshamn an und nimmt die Fähre in die litauische Hafenstadt Klaipėda.

Behütet bis nach Estland

Ab da „schottert“ sie – so nennt sie das Radeln auf den gerölligen Wegen – an der Ostseeküste entlang, bis sie Lettland erreicht. Sie besucht Riga, den Gauja-Nationalpark, wo sie ein paar Tage das Fahrrad gegen ein Paddelboot tauscht. Dann geht es weiter nach Estland. Erst die Küste entlang über Pärnu und die Saaremaa-Insel, dann nach Tallinn und den Lahemaa-Nationalpark bis fast an die russische Grenze. 

Geschafft: Heike Honauer in der estländischen Hauptstadt Tallinn. | Foto: Heike Honauer
Geschafft: Heike Honauer in der estländischen Hauptstadt Tallinn.
| Foto: Heike Honauer

Um Strecken-Leistungen sei es ihr nicht gegangen, betont sie. An manchen Tagen fährt sie zwei, an anderen 120 Kilometern. Jeden Morgen oder den Abend zuvor schmiedet sie den Plan für den Tag. Dreimal sei sie aufgebrochen und wieder an den ursprünglichen Ort zurückgekehrt, „weil es dort so schön war“. Sich frei fühlen, aus dem Moment entscheiden, was sie tun will und was nicht, bei der Zeit aus dem Vollen schöpfen – das sei das Beste an den Sabbat-Monaten gewesen.

Geröll, Gluthitze, Glück

Die ersten Tage fährt Honauer durch vertraute Landschaften in Dänemark und Schweden, die sie von früheren Radtouren kennt. Bald fühlt sie sich körperlich immer fitter. „Die Gegenden sind dünn besiedelt, aber völlig flach“, sagt sie. Doch eines Tages beginnen die unbekannten Gebiete. Zu Anfang sei sie schon etwas unruhig gewesen und habe sich selbst gesagt: Wenn du das willst, musst du dich auch trauen. „Ich habe mich aber immer behütet gefühlt“, berichtet sie. „Ich will das nicht mit Gott  beschreiben, aber wenn sich eine Frage ergab, war die Lösung stets nah. Das Gefühl der Ruhe, der Zuversicht und des Vertrauens wuchs in mir.“

Über ihre Eindrücke hat Heike Honauer Tagebuch geführt. Neun Hefte hat sie gefüllt. „Das Schreiben ist für mich Reflektieren, Nacherleben, Nachsinnen. Es setzt das Außen mit meinem Innern in Beziehung.“ Die meiste Zeit sei sie glücklich gewesen. „Natürlich habe ich auch geschimpft: über den Schotter, die Mücken, die Gluthitze.“ Aber als sie von den Einheimischen erfuhr, dass es in den letzten drei Sommern fast ununterbrochen geregnet hatte, sei sie still geworden.

Der wahre Reichtum

Immer wieder trifft Honauer Radler und Abenteurer, die wie sie unterwegs sind. Einige – oft Männer – wollen sich mit riesigen Entfernungs-Strecken täglich körperlich und mental auspowern. Andere wundern sich, dass sie als ältere Frau allein unterwegs ist und sogar wild zeltet. Diese kurzen Begegnungen mit Fremden seien intensiv und oft anrührend gewesen. 

Endlose Straßen in Estland mit ungewöhnlichem Verkehrsschild. | Foto: Heike Honauer
Endlose Straßen in Estland mit ungewöhnlichem Verkehrsschild.
| Foto: Heike Honauer

Drei Radler bereiten auf ihren Camping-Kochern luxuriöse Speisen zu und laden sie zum Essen ein. Das hat sie genossen. Sie selbst lebt jedoch eher spartanisch: morgens Müsli mit Obst, tagsüber geschmierte Brote oder einen preiswerten Imbiss vom Stand, abends Nudeln mit Gemüse-Soße aus dem Camping-Topf. „Ich brauche nicht viel, wenn ich unterwegs bin“, sagt sie. Auch sei sie Vegetarierin.

Menschen, Steine und Geschichten

Wie ein natürlicher Flussverlauf sei sie mit dem Rad durch das Innenland und an den Küsten des Baltikums entlang „mäandert“. Oft habe sie sich wie ein streunendes Kind gefühlt, das ohne Ziel und Zweck unterwegs ist. „Wenn man streunt, findet man auch andere Streuner“, sagt sie. Oder sie hat Steine, See-Glas-Scherben und Fotos von Steinmännchen gesammelt. Von all dem sei sie beglückt und angefüllt gewesen. „Ich weiß gar nicht mehr, wohin mit der ganzen Schönheit“, hat sie gespürt. „Inmitten des Spartanischen habe ich die größte Fülle erfahren.“ 

Als sie später zurück in Münster vor ihrem gefüllten Kleiderschrank steht, kann sie mit all den Klamotten gar nichts anfangen. Das Zuviel an Besitz erdrückt sie. „Ich habe eine Wohnung, ein Auto, Kleidung. Ich bin nicht reich“, sagt sie, aber wirklich reich sei sie mit den wenigen Dingen, dem inzwischen undichten Zelt, der schönen Natur, den Begegnungen und der überfließenden Zeit gewesen.

Von den Balten lernen

Das Leben im Baltikum sei langsam. „Neben vielen Behausungen liegen Gärten und Gewächshäuser. Die Lebenshaltungskosten sind für die Einheimischen hoch, deswegen versorgen sich viele selbst.“ Im estländischen Tallinn lebten wohlhabende und aufstrebende junge Künstler neben älteren Menschen, die in der Sowjet­zeit zwar viel gearbeitet haben, nun aber von 300 Euro Rente leben müssten.

Sonnenuntergang mit Zelt am Strand von Tsitre in Estland. | Foto: Heike Honauer
Sonnenuntergang mit Zelt am Strand von Tsitre in Estland. | Foto: Heike Honauer

Überall begegnet sie auch der deutschen Geschichte: am Strand, wo Juden eines Dorfes von Nazis exekutiert wurden, oder an zahlreichen Holocaust-Mahnmalen. Sie habe die fröhlichen 100-Jahr-Feiern zur estländischen Unabhängigkeit erlebt und sei erstaunt da­rüber gewesen, wie fortgeschritten die Balten bei der Digitalisierung sind. „Zur Sowjetzeit gab es kaum Telefon-Festnetze. Die Menschen sind sofort mit Handys und Smartphones eingestiegen.“ 

Zuviel ist Zuviel 

Im Juni und Juli ist es im Norden bis Mitternacht hell. Mitte August ändert sich das: „Es wird dunkler, feuchter.“ Honauer macht sich auf den Rückweg. Von Tallinn nimmt sie die Fähre ins finnische Helsinki, fährt an der Küste entlang, nimmt eine Zeit später das Fährschiff nach Travemünde.

Über Hamburg, das Alte Land und den Elbe-Lübeck-Kanal radelt sie langsam Richtung Münster. Zuhause angekommen fängt sie an, Überflüssiges auszumisten.

Wege zum Sabbatical
Die Auszeit kann von wenigen Monate bis zu einem Jahr dauern. Der Arbeitnehmer sollte mit dem Arbeitgeber einen Vertrag abschließen.
Möglichkeit 1: Unbezahlten Urlaub nehmen. Die Rückkehr in den Job bleibt erhalten, Lohn und Sozialversicherungsleistungen fallen aber weg. Man muss sich selbst krankenversichern.
Möglichkeit 2: Auf Langzeit- und Lebenszeitkonten Überstunden und Urlaub ansparen. Gehalt und Sozialversicherung laufen weiter. 
Möglichkeit 3: Verzicht auf Lohn. Über einen Zeitraum lässt sich der Arbeitnehmer nur einen Teil des Gehalts auszahlen. 
Wichtig: Schließen Sie einen individuellen Vertrag mit dem Arbeitgeber ab (Rückkehr an den alten Arbeitsplatz, Anspruch auf Weihnachts- und Urlaubsgeld klären). Zudem sollte man eigene Ersparnisse haben.

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