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Es war ein Intellektueller, der da mit seinen Möbeln und Büchern als neuer Pfarrer anrückte. Für manche Bauern von Marienthal am Niederrhein war er ein Sonderling. Aber Augustinus Winkelmann hatte einen Plan – und beste Kontakte nach Berlin.
Marienthal im Kreis Wesel. Heute knapp 500 Einwohner; eine jahrhundertealte Klosterkirche, ein paar schöne Handwerksgeschäfte und ein Martinsmarkt. Vor 100 Jahren waren der Einwohner deutlich weniger. Die Geschäfte gab es nicht; dafür eine Mühle an der Issel, an der die Landwirte der Umgebung ihr Korn ablieferten. Doch der Sommer 1924 bringt einen großen Wandel in den bäuerlichen Alltag.
Ein großer Karren schafft die Möbel und Habseligkeiten des neuen Pastors heran. Und Augustinus Winkelmann hat große Pläne im Gepäck: Er will, hier in der Abgeschiedenheit und in Einklang mit der Natur, ein Zentrum der katholischen Jugendbewegung und der zeitgenössischen Kirchenkunst aufbauen.
Pfarrer Winkelmann bietet Künstlern Kost und Unterkunft
Die Bauern wundern sich – aber der Plan geht auf: In der Weimarer Zeit herrscht wirtschaftliche Not, und in der Nazi-Zeit haben es Künstler noch schwerer. Pfarrer Winkelmann bietet ihnen Kost und Unterkunft. Im Gegenzug erhält er: Kunst und Geist.
Winkelmann steht der Liturgischen Bewegung nahe, einer damals starken Rückbesinnung auf die gottesdienstlichen Traditionen der katholischen Kirche. Zugleich ging es um eine geistliche Erneuerung des Einzelnen und der kirchlichen Gemeinschaft von innen her. Der 1881 in Amelsbüren bei Münster Geborene studiert Philosophie und Theologie in Innsbruck, Paris und Würzburg, korrespondiert schon früh mit der modernistischen katholischen Zeitschrift „Hochland“.
Kanzler Brüning im Exil in Marienthal
Durch Netzwerken unterhält Winkelmann bald auch beste Kontakt nach Berlin und zu den preußischen Kultusbehörden. Zu seinen Freunden zählen der Sozialpriester Carl Sonnenschein (1876-1929) und sein Schulkamerad aus Münster, der Zentrumspolitiker und spätere Reichskanzler Heinrich Brüning (1885-1970), dem er vor dessen Exil 1934 auch Zuflucht in Marienthal (Stadt Hamminkeln) bietet. Ein spätes Foto von 1953 zeigt die beiden noch einmal zusammen vor der Dorfkirche.
1920 arbeitet Winkelmann als Kaplan im niederrheinischen Nieukerk bei Geldern. Das bringt ihn in Kontakt zur Handwerker- und Kunstgewerbeschule Krefeld, für deren Künstlernachwuchs er in der Notzeit der Nachkriegsjahre Freizeiten auf Bauernhöfen organisiert.
Altes Augustiner-Kloster wird zur Herberge
Dieses Konzept macht er sich auch für seine ländliche Pfarrei Marienthal zu eigen. Er lässt die Überreste des mittelalterlichen Augustiner-Klosters im Dorf renovieren und zu einer Herberge auch für temporäre Gäste umbauen. Über die Jahre entsteht hier eine Atmosphäre wie auf einer Bauhütte, wie Zeitzeugen von damals berichten.
Die Entschlossenheit für all das bringt er allemal mit. Schon bei Winkelmanns Einführung warnt dessen Bruder den Kirchenvorstand: „Wenn mein Bruder einen Wunsch hat, so helfen Sie ihm am besten sofort – denn er bekommt doch immer, was er haben will.“
Jugendbewegung oft zu Gast in Marienthal