In der Legende vom Soldaten und Bettler geht es um mehr als eine gute Tat

Sankt Martin – geteilter Mantel, halbe Geschichte

Rabimmel, rabammel, rabumm: An die Sankt-Martins-Lieder von früher erinnert sich jeder. Das ist nur ein Grund dafür, warum all die wunderbaren Umzüge weitaus nachhaltiger sind als „religionsbereinigte“ Sonne-, Mond- und Sternenfeste.

Anzeige

Rabimmel, rabammel, rabumm: An die Sankt-Martins-Lieder von früher erinnert sich jeder. Das ist nur ein Grund dafür, warum all die wunderbaren Umzüge weitaus nachhaltiger sind als „religionsbereinigte“ Sonne-, Mond- und Sternenfeste.

Die Geschichte ist einfach, schnell erzählt und geht zu Herzen: Ehrenvoller Soldat hoch zu Ross trifft auf armen, halbnackten Mann im Schnee, hat Mitleid und teilt seinen Mantel mit ihm. Nächstenliebe pur.

Doch das ist nur die halbe Geschichte, auch wenn dem Erfrierenden an dieser Stelle schon mit dem Nötigsten geholfen ist. Nüchtern gesagt: Dem Mann wird wieder warm, die gröbste Not ist gelindert, was will man mehr?

Die ganze Wahrheit kommt in der nächsten Szene der Legende von Sankt Martin. Denn in der folgenden Nacht erscheint ihm Christus im Traum, der den halben Mantel trägt, den der Soldat dem Armen gegeben hatte.

 

Gott scheint durch

 

Kurzum: Die Martinsgeschichte ist nicht nur eine Vorbild- und Nachahmgeschichte in Sachen Nächstenliebe, sondern ein recht konkretes Beispiel dafür, wie man Gott erfahren kann.

Der biblische Hintergrund dazu steht im Matthäus-Evangelium: „Ich bin nackt gewesen, und ihr habt mir Kleidung gegeben.“ Schließlich gilt: „Was ihr für einen meiner geringsten Brüder getan habt, das habt ihr mir getan.“

Der christliche Glaube ist so kühn, dass er in diesem Satz keinen Interpretations-Spielraum lässt. Er ist genauso gemeint, wie er da steht. Wer barmherzig ist, der tut nicht einfach ein gutes Werk, wie es sich für Christen nun einmal gehört, sondern: Da scheint Gott durch. Nichts anderes ist damit gesagt, wenn sich Jesus selber mit jenen gleichsetzt, denen ein solches „Werk der Barmherzigkeit“ widerfährt. Es geht eben nicht simpel und einfach darum, dass „Gott sich freut“, wenn ein Mensch dem anderen Gutes tut. Es ist viel gewaltiger: Da ist Gott! Weil da Liebe ist.

 

Eine Frage der Grundhaltung

 

Entsprechend mag vordergründig das Tun, das Werk der Barmherzigkeit wichtig und sinnvoll sein und seine Wirkung haben. Das Entscheidende aber ist etwas anderes: das Leben aus einer Grundhaltung, die mit Gott in dieser Welt rechnet. Genau das meint das alte Wort „Gottesfurcht“: mit und aus dem beinahe unglaublichen Glauben zu leben, dass in dieser Welt Gott existiert – trotz allem.

Wo ein Mensch einen der Barmherzigkeit bedürfenden, einen „erbärmlichen“, „erbarmungs-würdigen“ Menschen wahrnimmt, da scheint Gott durch. Noch einmal: Nicht erst durch die Tat! Sondern vielmehr darin, dass auch der Barmherzige im Notleidenden erkennt, wie sehr er selber auf Erbarmen angewiesen ist: Ich bin ein Mensch, der von einem anderen sein Leben hat, von Gott; ein Mensch, dessen Leben von anderem her seinen Sinn hat, von Gottes Liebe. Wie jeder Mensch. Darum ist Barmherzigkeit mehr als Gerechtigkeit. Sie ist die sichtbare Ausprägung der Liebe Gottes.

 

Nachhaltig weit über die Kinderzeit hinaus

 

Und so hat das Sankt-Martins-Fest mit all seinen wunderbaren Umzügen und -Spielen einen weitaus tieferen und wichtigeren Kern als es „religionsbereinigte“ Sonne-, Mond- und Sternenfeste je haben können. Vor allem sind all die schönen Martinslieder und -bräuche nachhaltig: Sie erzählen schon den Kleinen tief beeindruckend vom armen, liebevollen Gott. Ich weiß, wovon ich rede.

Anzeige