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Schwarz gekleidete Schülerinnen mit weißen Masken schleichen ohne Mimik durch die düster beleuchtete evangelische „Klosterkirche“. Sie halten sich die Augen zu, den Mund oder die Ohren. Die Maskierten sind die Schatten der Vergangenheit. Die mehreren Hundert Anwesenden bei der Gedenkfeier zum 79. Jahrestag der Pogromnacht, darunter viele Schüler und Firmbewerber, sollen darin die zahlreichen Bürger und Vorfahren erkennen, die durch Schweigen, Wegsehen und Weghören die Gräueltaten des NS-Regimes unterstützten und so zu Tätern wurden.
Katholische und evangelische Kirchengemeinde hatten zu der Gedenkfeier eingeladen, die Schüler der Berufsbildenden Schule Marienhain (BBS) waren für die inhaltliche und musikalische Gestaltung verantwortlich.
Die Schüler zitierten aus Biographien von Überlebenden des Holocaust. Hinter einer hell erleuchteten Wand aus Papier stellten sich die Schatten der Vergangenheit auf, schweigend, blind und taub. Schließlich folgte ein Knall. Die Schatten durchbrachen die Wand und durch das Loch erstrahlte Licht. „Erinnern heißt wachsam bleiben“, erklärte Kaplan Albert Lüken, „wir haben den Durchbruch der Schatten der Vergangenheit erlebt, sie kamen ins Licht der Gegenwart.“
„Nichts hören, nichts sehen, nichts sagen“
Die BBS-Marienhain bilde junge Menschen aus, die mit Kindern arbeiten, die vielleicht noch nie vom Holocaust gehört hätten. Und sie bilde Pfleger aus, die mit Senioren arbeiten, die sich vielleicht noch selbst erinnern, stellte Lüken fest. „Ihr jungen Menschen erinnert uns daran, dass wir ein Erbe haben. „Nichts hören, nichts sehen, nichts sagen, das geht heute nicht mehr“, legte er nahe.
„Lassen sie uns heute vor allem der Menschen gedenken, denen vor 79 Jahren durch ein menschenverachtendes Regime, eine verbrecherische Diktatur Leid angetan wurde“, eröffnete BBS-Schulleiter Hartmut Pille die Gedenkstunde. „Lassen sie uns aber auch nicht vergessen, dass auch in Vechta Menschen gelebt haben, die das System unterstützt haben“, mahnte er an. Als Vollstrecker oder als solche, die sich nicht genug dagegen aufgelehnt hätten.
„Die Schatten der Vergangenheit fordern heraus“
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Es gehe bei der Gedenkfeier nicht darum, Vergangenes zu bewältigen, das funktioniere nicht. „Wer vor der Vergangenheit die Augen verschließt, wird blind für die Gegenwart“, betonte Pille. „Die Schatten der Vergangenheit fordern uns heraus, genau hinzusehen, was geschehen ist und was heute geschieht“, unterstrich auch Pastorin Wiebke Range. Zum Gedenken an die Pogromnacht werde durch die Gemeinden auch eingeladen, weil christliche Kirchen es 1938 geschehen ließen, machte sie deutlich .
Nach dem Gedenken in der Klosterkirche gingen die Teilnehmenden schweigend durch die Innenstadt zum Gedenkstein in die Juttastraße, der an die Synagoge erinnert, die dort bis 1938 gestanden hatte.