Katholische Realschule arbeitet mit Künstlerin Laula Plassmann

Schülerinnen in Xanten geben Holocaust-Opfern ein Gesicht

Schülerinnen der katholischen Marienschule in Xanten erarbeiten mit der Künstlerin Laula Plassmann Stelen für jüdische Bürger. Auch aus Israel kam dazu Unterstützung. Am 9. November, dem Gedenktag der Reichspogromnacht 1938, werden die ersten Stelen gezeigt.

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Sally Bruckmann war einer von sechs Millionen Juden, die von den Nationalsozialisten ermordet wurden. Einer von unfassbar vielen. Bisher war er ein anonymer Mann in der Statistik. Nur Archive wie die Gedenkstätte Yad Vashem in Israel halten sein Leben in Erinnerung. Nun bekommt dieser Xantener wieder ein Gesicht. Denn das Schicksal von Sally Bruckmann wird durch die Gedenkstele, an der Annabell und Anna gerade arbeiten, anschaulich. So wie die beiden arbeiten auch 30 andere Zehntklässlerinnen der Marienschule an Holzsäulen. Jede ist einem anderen jüdischen Bürger gewidmet.

Die Schülerinnen der katholischen Mädchenrealschule werden von der Künstlerin Laula Plaßmann angeleitet. Sie hat solche Erinnerungsstelen bereits mit Schulklassen in Recklinghausen erarbeitet. Anhand der Stelen möchte sie den Schülerinnen jüdische Traditionen aufzeigen und den Holocaust am Beispiel der jüdischen Einwohner von Xanten aufarbeiten. Ihr Ziel ist es, ein Leben ohne Rassismus und Antisemitismus zu ermöglichen. „Es geht um Einzelschicksale“, sagt die Künstlerin.

 

Kritik an der Stadt Xanten

 

Es war nicht leicht, Informationen über das Leben und Wirken des damaligen jüdischen Lehrers Bruckmann zu recherchieren. Annabell und Anna wurden im Internet fündig. Weitere Hintergründe erfuhren sie in der Auschwitz-Arbeitsgemeinschaft der Schule und durch die Stolpersteine, die überall in der Stadt ins Pflaster eingelassen sind.

Änderungen bei der Schreibweise, zum Beispiel beim Vor- und Nachnamen oder bei der Übertragung von Daten, erschwerten die Suche. „Wir waren hartnäckig“, erklärt Annabell. Erschwerend kam hinzu, dass in Xanten kaum Angaben über jüdische Bürger zu finden sind. „Die Stadt schmückt sich zwar damit, dass von hier keine Juden deportiert wurden“, meint Laula Plaßmann. Doch dabei werde verschwiegen, dass diese Menschen schon früh in andere Städte geflohen seien. „Dort wurden sie dann aufgegriffen und in die Konzentrationslager gebracht.“

 

Hilfe aus der Gedenkstätte Yad Vashem

 

Mit den Schülerinnen der Xantener Marienschule erarbeitet die Künstlerin Laula Plassmann (Mitte) Grab­steleln, um an das Schicksal jüdischer Mitbürger zu erinnern.Mit den Schülerinnen der Xantener Marienschule erarbeitet die Künstlerin Laula Plassmann (Mitte) Grab­stelen, um an das Schicksal jüdischer Mitbürger zu erinnern. | Foto: Fischer

Allmählich nahm Sally Bruckmann Gestalt an, erhielt sogar ein Gesicht durch ein Foto, das Yad Vashem, die weltbekannte Holocaust-Gedenkstätte in Israel, beisteuerte. Kunstlehrerin Eva Mesmann skizzierte es mit Bleistift nach, die Mädchen flämmten anschließend das Papier an einigen Ecken leicht an. Nicht nur, damit es alt aussieht. Auf diese Weise symbolisiert das Bild zugleich das spätere Schicksal des Xanteners, dessen Leichnam die Nationalsozialisten vermutlich in einem der Verbrennungsöfen in den Konzentrationslagern beseitigten.

Vieles bleibt jedoch im Dunkeln, selbst ein Dokument aus Israel enthält nur rudimentäre Angaben. Das genaue Sterbedatum fehlt, irgendwann 1942 oder 1943. „Die Stele soll so etwas wie seinen Grabstein darstellen“, erläutert Anna. Die Schwarz-Weiß-Skizze werden die beiden Jugendlichen daran anbringen, ebenso eine kleine Tafel und ein Stück Kreide als Hinweis auf den Lehrerberuf des Toten und wahrscheinlich auch das DIN- A4-Blatt aus Yad Vashem.

 

Auftakt am 9. November im Rathaus

 

Präsentiert werden alle Stelen im Januar kommenden Jahres. „Es ist ein Friedhof en miniature“, betont Plaßmann. Doch schon am 9. November, am Gedenktag der Reichspogromnacht 1938, wird eine größere Stele im Xantener Ratssaal aufgestellt, auf der vier ehemaligen jüdischen Marienschülerinnen gedacht wird.

„So etwas wie damals darf sich nicht wiederholen“, sagt Plassmann. Indem die Jugendlichen Einzelschicksale aus der Anonymität herausschälen und sich intensiv damit beschäftigen, „entsteht für alle eine Betroffenheit, Toleranz, Mitgefühl und eine friedliche und kritische Grundhaltung“. Empathie werde geweckt, historische Zusammenhänge greifbar.

Schulleiter Michael Lemkens und das Kollegium haben schon zahlreiche Projekte aufgelegt, um den Schülerinnen die furchtbare Zeit der NS-Herrschaft zu vermitteln. Im vergangenen Jahr fuhren Mädchen erstmals nach Auschwitz. Eine solche Erinnerungsfahrt wird wiederholt. Man werde sich immer an dem Gedenken an diese Opfer beteiligen, sagt Lemkens.

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