Eine Grundschullehrerin gibt Tipps

Schulbeginn: So starten Erstklässler entspannt

Am 29. August ist an den meisten Schulen in Nordrhein-Westfalen der Beginn für die Erstklässler. Was müssen die Kinder schon können? Was kommt auf sie im ersten Jahr zu? Wie können Eltern sie unterstützen? Eine Grundschullehrerin gibt Tipps.

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Am 29. August ist an den meisten Schulen in Nordrhein-Westfalen der Beginn für die Erstklässler. Für Kinder und Eltern ist er Startpunkt in eine neue Lebensphase. Im vergangenen Jahr zählte das Netz-Portal „Statista“ im Bundesland 159.500 i-Dötzchen. Claudia Hundehege von der Theresienschule Münster bekommt in diesem Jahr 24 Mädchen und Jungen in die Klasse. Kennen gelernt hat die Grundschullehrerin an der katholischen Bekenntnisschule Kinder und Eltern bereits vor Wochen – bei einem Schnuppertag.

Hundehege hat ihnen die Klasse gezeigt und erklärt, was im ersten Schuljahr auf sie zukommt. „90 Prozent der Kinder freuen sich auf die Schule“, sagt sie. Aufgabe von Lehrern und Eltern sei es nun, diese Freude möglichst lange zu erhalten.

Claudia Hundehege ist Grundschullehrerin an der Theresienschule in Münster. | Foto: Karin Weglage
Claudia Hundehege ist Grundschullehrerin an der Theresienschule in Münster. | Foto: Karin Weglage

 

Freude der Kinder – Sorge der Eltern

 

Während die Kinder mit froher Erwartung auf das Neue zusteuern, seien Väter und Mütter oft verunsichert. Schafft mein Sohn die Umstellung von der Kita in den Unterricht? Kann meine Tochter beim Lernen mithalten? Das seien typische Elternfragen.

Hundehege versucht dann, die besorgten Eltern zu beruhigen. „Das Wichtigste ist, dass Ihr Kind mit Freude und Neugierde in die Schule kommt. Sprechen Sie ihm Mut zu, stärken Sie sein Selbstvertrauen. Und sagen Sie ihm nicht: Jetzt beginnt der Ernst des Lebens.“

 

Neuer Tagesrhythmus

 

Doch tatsächlich ändert sich mit dem ersten Schultag so einiges. Konnten Eltern ihren Nachwuchs zu verschiedenen Zeiten in der Kita abgeben, beginnt die Schule pünktlich. „Bei uns können die Kinder ab 7.45 Uhr kommen, aber um 8 Uhr müssen sie spätestens da sein“, sagt Hundehege.

Den neuen Rhythmus müssten viele Familien erst einüben. Zudem stünden Eltern auch vor der Frage, ob sie das Nachmittags-Angebot der Schule wahrnehmen wollten oder nicht.

 

Nachmittagsbetreuung? Ja oder nein?

 

Die zweizügige Theresienschule hat 180 Schüler. Sie bietet als Offene Ganztagsschule eine Weiterbetreuung bis 16 Uhr an. „Von der Möglichkeit machen Eltern in den letzten Jahren auch bei den Erstklässlern mehr Gebrauch“, sagt Hundehege. Unterricht findet am Nachmittag aber nicht statt. Dann können die Kinder Hausaufgaben machen, kochen, häkeln oder Sport treiben. Apropos Hausaufgaben – bekommen i-Dötzchen die schon auf? „Klar“, sagt Hundehege. Das Einüben von Hausaufgaben sei wichtig. „Damit werden die Kinder ihr ganzes Schulleben zu tun haben.“

Besorgte Eltern fragen sich oft, wie sie ihre Kinder gut auf das erste Schuljahr vorbereiten können. Sollen die Kleinen schon das Lesen beherrschen? Die Grundschullehrerin winkt ab: „Die Kinder brauchen weder die Buchstaben zu kennen noch lesen oder rechnen zu können.“ Von Vorschulheften rät sie ab.

 

Eltern können ihre Kinder praktisch und mental unterstützen

 

Wie hält man einen Stift richtig? Das können Eltern mit ihren Kindern üben. | Foto: pixabay.com
Wie hält man einen Stift richtig? Das können Eltern mit ihren Kindern üben. | Foto: pixabay.com

Eltern sollten stattdessen ihr Kind auf eine andere Weise unterstützen: „Nämlich mental“, sagt sie. „Sie können ihm zeigen, wie man einen Stift richtig hält – nämlich mit Daumen, Zeige- und Mittelfinger. Sie können ihm beibringen, sich morgens selbstständig und zügig anzuziehen und die Schuhe mit einer Schleife zu binden. Und sie sollten mit ihm den Schulweg ausprobieren, damit das Kind ihn allein oder mit einem Freund gehen kann.“ Manchmal sei der kürzeste nicht der sicherste Weg.

Auch das Einüben eines ritualisierten Tagesablaufs sei wichtig – „morgens aufstehen, frühstücken, mittags Pause einlegen, abends ohne viel Fernsehen ins Bett“. Zudem sollten Eltern ihrem Kind ein gesundes Frühstück mit in die Schule gegeben.

 

Erst die Gruppenbildung, dann das Lernen

 

„Aber bitte keine Süßigkeiten!“, sagt Hundehege. „Nach zwei Stunden Unterricht legen wir eine Pause ein. Erst frühstücken wir gemeinsam, dann spielen die Kinder 20 Minuten draußen.“ Hudeheges Schule hat einen Spiel- und Bolzplatz, Rollerflächen und einen Schulgarten. Bewegung zwischen den Lerneinheiten sei wichtig.

Auch mit dem ABC startet die Klasse nicht sogleich. Zunächst sei es notwendig, dass die 24 kleinen Individualisten zu einer Gruppe zusammenwachsen. „In den ersten Schulwochen geht es vor allem um das Sozialverhalten. Wir wollen eine Gemeinschaft bilden“, sagt Hundehege. Oft müsse sie Eltern erklären, dass dies eine wertvolle Zeit ist. „Denn die Kinder sollen sich in der Schule wohlfühlen und hier nicht nur lernen, sondern leben.“ Hundehege nennt einen Leitspruch aus ihrer 30-jährigen Grundschul-Praxis: „Kinder sind keine Fässer, die gefüllt werden wollen, sondern sie sind Feuer, die entzündet werden wollen.“

 

Die Grundschullehrerin ist eine wichtige Bezugsperson

 

„Die erste Lehrerin ist zudem eine wichtige Bezugsperson. Wir sehen die Kinder oft länger am Tag als ihre berufstätigen Eltern.“ Da sei es gut, dass die Pädagogen die kindlichen Bedürfnisse und Erlebnisse kennen.

Manche elterliche Erwartung an das Lerntempo ihres Sprösslings muss Hundehege abbremsen. Lesen lernen sei eine komplexe Angelegenheit. Erst müssten die Kinder jeden Buchstaben des Alphabets kennen und behalten, dann müssten sie die Buchstaben zu einem Wort oder Satz zusammenfügen und schließlich noch den Sinn der Wörter verstehen. Das brauche Zeit. „Eltern sage ich dann: Stellen Sie sich vor, Sie müssten ab jetzt Hebräisch lernen. Jeder Buchstabe ist für Sie neu. Die Zusammensetzung der Wörter ist Ihnen unbekannt. Die Bedeutung der Wörter ist fremd. Genau das aber müssen Ihre Kinder jetzt leisten.“

 

Das ABC zu lernen ist so schwierig wie Hebräisch

 

Für Kinder sei das Lernen des Alphabets so schwer wie für Erwachsene das Lernen der hebräischen Schrift, meint Grundschullehrerin Claudia Hundehege. | Foto: pixabay.com
Für Kinder sei das Lernen des Alphabets so schwer wie für Erwachsene das Lernen der hebräischen Schrift, meint Grundschullehrerin Claudia Hundehege. | Foto: pixabay.com

Mit solchen Vergleichen könne sie Vätern und Müttern verständlich machen, dass die Kinder zum Beispiel eine ganze Woche den Buchstaben A üben. „Sie schreiben und malen ihn auf Papier, formen ihn mit Buchstabenknete und biegen ihn mit einem Pfeifenputzer. Sie singen einen Anlaut-Rap, hören ihn und erkennen ihn wieder.“

Und nach dem A kommt das B, das C, das D ... – wobei der bereits gelernte Stoff stets wiederholt werden muss. Die Kinder sollen nämlich alles im Kurz- und Langzeitspeicher ihres Gehirns deponieren. Ziel sei, dass sie das Alphabet möglichst nach dem ersten Schuljahr beherrschen. „Im Lernplan steht, dass sie es am Ende der zweiten Klasse können sollen.“ Das heiße aber nicht, dass sie schon fließend lesen, geschweige schreiben müssten.

 

Manche Kinder brauchen mehr Zeit

 

Das Fach Deutsch ist nur eine Herausforderung von vielen. Hinzu kommen Mathe, Sport, Musik, Kunst und Religion. Im zweiten Halbjahr des ersten Schuljahrs starten die Kleinen spielerisch mit Englisch. Deswegen sei es wichtig, dass in vielen Grundschulen – wie in der Theresienschule – die Schul-Eingangsphase von den ersten beiden Jahren auf das dritte Schuljahr ausgedehnt werden könne. „Manche Kinder brauchen mehr Zeit. Es gibt unterschiedliche Lerntypen“, sagt sie. Oft seien Jungen anfangs verspielter als Mädchen, holten die Entwicklung aber schnell wieder auf.

Eltern können ihre Kinder von Anfang an in ihrer Lernfreude und Neugierde stützen, betont Hundehege. Indem sie ihnen täglich vorlesen und selber zum Buch greifen. „Durch das Imitieren von Vorbildern gewinnen Kinder Freude am Lesen.“

 

„Pflichtfach“ für Väter und Mütter

 

Lob sei wichtig. Je näher Vater und Mutter bei ihrem Kind sind und sich interessieren, umso mehr können sie kleine und große Lernschritte wahrnehmen. Deswegen sieht Hundehege die Elternabende zwei Mal im Jahr als „Pflichtfach“ für Väter und Mütter an.

Zudem sollten sie regelmäßig zu den Elternsprechtagen kommen. Mit einem individuellen Förderplan in Form eines Ampel-Systems zeigt Hundehege dann, wo es bei ihrem Kind gut läuft oder hakt. Auch Klassenbär Bruno bekommt einen Förderplan. Claudia Hundehege: „Er lernt eben jedes Jahr aufs Neue das ABC.“

In „Kirche+Leben“ finden Sie mehr Informationen: „Was kommt in die Schultüte?“ und den Kommentar „Mutti, reiß dich doch mal zusammen“. Einzelbestellungen auch als E-Paper sind auf der Seite des Vertriebs möglich.

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