Biologe Thomas Kantermann fordert, mehr auf die innere Uhr zu achten

Schulbeginn um 10 Uhr lässt besser lernen

Für einen späteren Schulbeginn besonders für Jugendliche plädiert der Chronobiologe Thomas Kantermann. Er ist überzeugt, dass dadurch Lernfreude und Lernerfolg steigen. Der Wissenschaftler aus Bochum ist Experte für die innere Uhr des Menschen.

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Für einen späteren Schulbeginn besonders für Jugendliche plädiert der Chronobiologe Thomas Kantermann. Er ist überzeugt, dass dadurch Lernfreude und Lernerfolg steigen. Der Wissenschaftler aus Bochum ist Experte für die innere Uhr des Menschen.

Vielen Jugendlichen fällt morgens das Aufstehen sehr schwer. Warum?

In der Pubertät passiert viel: Abnabelung vom Elternhaus, flügge werden. Auch ist die Reifung des Gehirns erst mit Mitte 20 abgeschlossen, sodass die eigene Verhaltenskontrolle noch nicht richtig funktioniert. Natürlich will man als Heranwach­sender alles mitmachen. Man ist an allem interessiert. Und man muss ganz viel lernen – das ist auch gut so. Man muss sich zudem von den Älteren abkapseln. Nicht zuletzt  geht es darum, einen Partner, eine Partnerin zu finden. Das alles passiert heute in einer Umwelt mit viel künstlichem Licht. Das heißt, es gibt bei den Teen­agern eine Spätverschiebung, und die wird extremer durch das Kunstlicht am Abend.

Sie plädieren in dem Zusammenhang für einen späteren Schulbeginn ...

Thomas Kantermann arbeitet als freischaffender Wissenschaftler in Bochum. Darüber hinaus ist er Dozent an der FOM - die Hochschule für Berufstätige. Kantermann hat an der Ludwig-Maximilians-Universität promoviert und hat sich dort auch habilitiert. Eines seiner Forschungsgebiete ist die Chrono-City in Bad Kissingen. Ziel ist es, bei Bildung, Beruf und Freizeit die innere Uhr verstärkt zu berücksichtigen.

Ein späterer Schulanfang ist eine schicke Lösung, weil wir damit viele Probleme auf einmal in den Griff bekommen können. Das kann natürlich nicht die Ursache beheben. Was man aber weltweit sieht, von welcher Forschergruppe auch immer, ist: Jugendliche verschieben ihren Schlaf in die Nacht hinein. Sie sind später als der Rest der Bevölkerung. Im Kindergarten und in der Grundschule klappt das frühe Aufstehen noch ganz gut. Mit Eintritt in die Pubertät verschiebt es sich aber um Stunden nach hinten. Mit 19, 20 Jahren werden die Menschen dann wieder früher. Warum genau das so ist, wissen wir nicht wirklich. Dem kann man aber begegnen, indem man die Schule später anfangen lässt. Das ist wesentlich einfacher als zu versuchen, bei jedem einzelnen Schüler die innere Uhr zu beeinflussen.

Wie wirkt sich ein späterer Schulbeginn konkret aus?

Es gilt zu überlegen: Was möchten wir als Schule erreichen? Möchten wir eine Lernumgebung haben, die es allen ermöglicht zu wachsen? Schlafmangel gehört da nicht hinein. Er gefährdet nicht nur die Gesundheit, sondern auch den Lernerfolg. Da ist die Ergebnislage seit Jahrzehnten eindeutig. Ausgeschlafen zu sein, ist die Grundvoraussetzung für fruchtbares Lernen – was der Hauptantrieb jeder Bildungseinrichtung sein sollte. Es ist sinnvoll, darüber nachzudenken, die Schulzeiten anzupassen. Aber das heißt nicht, den Tag einfach später anfangen und später enden zu lassen. Man sollte auch darüber nachdenken, die Lehrpläne etwas zu entschlacken und mehr Spaß am Lernen zu ermöglichen.

Und was sagen nach Ihren Erkenntnissen die Lehrer zu einem späteren Schulbeginn?

Nicht nur Schüler, auch viele Lehrer wären froh und dankbar, wenn die Schule ein bisschen später anfangen würde. Auch die Lehrerinnen und Lehrer haben ja Anfahrtswege. Zudem müssen sie morgens die Familie koordinieren. Man könnte mehrere Fliegen mit einer Klappe schlagen, wenn man die Schule später beginnen ließe.

Was wäre aus Ihrer Sicht eine gute Zeit für den Schulbeginn?

Für die Kleinen in der Grundschule ist acht Uhr in Ordnung, da sind auch die Anfahrtswege nicht so lang. Der Unterricht in der Mittelstufe sollte nicht vor neun Uhr beginnen. Es kann auch halb zehn, zehn Uhr sein. Und für die Oberstufe halte ich zehn, elf Uhr für passend.

Das sind schon beträchtliche Unterschiede zum Gewohnten. Sind die Vorteile denn so gravierend?

Die Aufmerksamkeit ist einfach höher. Wenn die Schule nicht später beginnen kann, sollte man zumindest dafür sorgen, dass in den ersten Stunden keine Mathe- oder Physikklausur angesetzt ist, sondern Sport. Oder Dinge die man draußen machen kann, sodass man Licht zum Wachwerden hat. Wir wissen: Wenn regelmäßig morgens Sport stattfindet, hilft das auch, die innere Uhr auf etwas früher zu verschieben.

Führt ein späterer Schulbeginn möglicherweise sogar zu besseren Noten?

Das ist noch ein recht junges Forschungsfeld. Doch die Ergebnisse deuten in die Richtung, dass tatsächlich die Leistungen besser werden. Der Effekt schlägt allerdings nicht so stark durch, wie man sich das vorstellt. Es werden nicht alle Schüler zu Einser-Kandidaten, aber die Lernleistung wird besser. Vor allem die Lernfreude und der Entdeckergeist lassen sich wecken. Und es kommt eine wirkliche Lernatmosphäre zustande, die allen zugute kommt.

Sehen Sie weitere Vorteile?

Morgens auf dem Weg zur Schule gibt es weniger Unfälle – einfach dadurch, dass die Schülerinnen und Schüler wacher sind. Auch der Zigaretten- und Kaffeekonsum nimmt ab. Und tatsächlich gehen auch Verhaltensauffälligkeiten zurück.

Warum wird so wenig daran gearbeitet, den Zustand zu verbessern – wenn sich doch sogar Unfälle verringern lassen?

Der Mensch ist halt ein Gewohnheitstier. Es hat immer schon funktioniert, und wir haben es ja alle überlebt, also machen wir das mal so weiter. Es kostet ja auch ein bisschen Geld, das zu ändern. Es ist aus meiner Sicht ein ganz schlimmes Argument, wenn etwas, das dem Wohl von Heranwachsenden dient, aus finanziellen Gründen nicht umgesetzt wird.

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