Professor für Ostkirchenkunde und Friedensforschung aus Münster im Interview

Schwere Waffen in die Ukraine – warum ist das richtig, Thomas Bremer?

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Thomas Bremer (64) ist seit 1999 Professor für Ökumenik, Ostkirchenkunde und Friedensforschung an der Katholisch-Theologischen Fakultät der Universität Münster. Im Interview mit „Kirche-und-Leben.de“ sagt er, warum die deutsche Lieferung schwerer Waffen an die Ukraine richtig ist, was er an Papst Franziskus kritisiert – und welche Chancen Initiativen zur Amtsenthebung des russisch-orthodoxen Patriarchen Kyrill haben.

Herr Professor Bremer, die Regierungsparteien SPD, Grüne und FDP und die Union als größte Oppositionsfraktion haben beschlossen, dass aus Deutschland nun doch sogenannte schwere Waffen in die von Russland angegriffene Ukraine geliefert werden. Können Waffen Frieden schaffen?

Kriegerische Situationen sind komplex, wir kommen mit einfachen Antworten und Slogans nicht weiter. Auch für die christliche und katholische Friedensethik gilt allerdings: Wenn eine dritte Macht wie die Nato nicht selbst eingreifen will, dann sollte sie dem Angegriffenen helfen, sich zu verteidigen. Denn die Alternative wäre, dass sich der militärisch Stärkere durchsetzt. Und das dürfte in diesem Fall trotz allem der Angreifer sein, Russland.

Warum halten Sie die Lieferung schwerer Waffen für richtig?

Aus zwei Gründen. Ethisch gibt es das Recht auf Selbstverteidigung und die Verpflichtung, einem Angegriffenen – zumal einem Schwächeren – beizustehen. Politisch ist die Lieferung auch deswegen richtig, weil nicht absehbar ist, was geschieht, wenn Russland das Recht des Stärkeren durchsetzt. Wie steht es dann um die Sicherheit der Republik Moldau, der baltischen Staaten und von Georgien?

Die Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland, Präses Annette Kurschus, hat erklärt, den neuen deutschen Kurs der Lieferung auch schwerer Waffen zu unterstützen. Aus der katholischen Kirche war in den vergangenen Tagen kaum mehr als ein Werben für Diplomatie zu hören. Wie deuten Sie das?

Ich würde mit der Bischofskonferenz nicht so streng sein. Die katholischen Bischöfe haben schon ziemlich zu Beginn des Krieges erklärt, Waffenlieferungen seien grundsätzlich legitim, um das Recht auf Selbstverteidigung wahrzunehmen. Und die Bischöfe äußern sich konkreter als Papst Franziskus, der bisher nicht einmal Russland als Angreifer benennt. Zu Ostern hat er gesagt, die Ukraine sei in den Krieg hineingezogen worden – aber nicht, von wem.

Wie bewerten Sie die Aussagen des Papstes?

Ich halte sie für problematisch, weil ich bezweifle, dass es eine Vermittlung des Vatikans und eine Verhandlungslösung mit dem russischen Präsidenten Wladimir Putin geben kann. Putin hat sich vor aller Welt diskreditiert. Und der Papst diskreditiert sich und die katholische Kirche, wenn er den Angreifer nicht benennt. Gleiches gilt für die Aussagen von Franziskus zum russisch-orthodoxen Patriarchen Kyrill. Wer sich so eindeutig auf die Seite des Aggressors stellt, mit dem sollte es keine Gespräche auf kirchlicher Ebene geben. Worüber will Franziskus denn im Moment mit Kyrill reden – über ökumenische Fragen?

Also belastet der Ukraine-Krieg auch das katholisch-orthodoxe Verhältnis?

Zumindest die Beziehungen zu Patriarch Kyrill, nicht zur gesamten Kirche. Wenn Kyrill auf die Kritik aus der ihm unterstehenden Ukrainischen Orthodoxen Kirche hören und erklären würde, er habe die Lage in der Ukraine falsch eingeschätzt, sähe das anders aus. Aber die Kritik aus der Ukraine wird in Russland ja unterdrückt.

Es gibt Initiativen aus der Russischen Orthodoxen Kirche, Kyrill des Amtes zu entheben. Haben sie Ihrer Ansicht nach Aussicht auf Erfolg?

Nein. Es gibt zwar eine kleinere Gruppe orthodoxer Priester in Russland und eine größere Gruppe in der Ukraine, die das wollen. Aber bisher hat sich nach meiner Kenntnis noch kein orthodoxer Bischof in Russland gegen Kyrill gestellt. Von dieser Seite ist nichts zu erwarten. Und die Idee, sich an die Patriarchen der antiken orthodoxen Kirchen – gemeint sind Konstantinopel, Alexandria, Antiochien und Jerusalem – zu wenden, wird auch nichts bringen. Dazu müsste Kyrill selbst zustimmen, dass diese Patriarchen über ihn befinden.

Der russische Angriff auf die Ukraine hat nicht nur in Deutschland neue Schritte zur Aufrüstung ausgelöst. Wie bedrohlich schätzen Sie das ein?

Die Bedrohung ist meiner Ansicht nach nicht die Aufrüstung, sondern, dass Russland sich nicht mehr an die internationalen Spielregeln hält, das Recht des Stärkeren durchsetzen und Interessenssphären definieren will. Darauf muss die Welt reagieren. Man kann bedauern, dass deshalb aufgerüstet wird. Diese Aufrüstung ist aber die Reaktion auf eine Bedrohung und nicht selbst die Bedrohung.

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