Viele Pfade führten die Dominikanerin nach Vechta

Schwester Kerstin-Marie: Berufungscoach vom Fahrrad aus

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Dominikanerin, Religionslehrerin und Berufungscoach: Das ist Schwester Kerstin-Marie. Sie fragt sich: „Wie bringen wir das Wort Gottes in die Welt?“ Dazu macht sie einen praktischen Abschluss in Predigen in Amerika. In Vechta erzählt sie von Jesus in der Füchteler Klosterkirche – oder auch gerne vom Rad aus.

Der erste Anlauf, in den Norden zu kommen, war gar nicht so einfach: Im Sommer 2020 wollte Schwester Kerstin-Marie Berretz eine ihrer längeren Radtouren antreten. Von ihrem Konvent in Oberhausen sollte es mit Zelt und Kochausrüstung über die Niederlande nach Vechta gehen. Schonmal Landluft schnuppern, an ihrem neuen Einsatzort. Allerdings fuhr der Zug nicht. Diese Radferien musste Schwester Kerstin-Marie anders planen.

Mittlerweile hat sich die 41-Jährige nach einem halben Jahr in der Kreisstadt gut eingelebt – coronabedingt auf Distanz: „Neulich sagte mir ein Kind: 'Ich weiß gar nicht mehr, wo ich in der Klasse sitze‘“, erzählt Schwester Kerstin-Marie. Sie unterrichtet Religion in einer fünften, elften und zwölften Klasse am Kolleg St. Thomas, einem Gymnasium der Dominikaner. Sie selber gehört zu den Arenberger Dominikanerinnen in Koblenz. In Vechta ist momentan noch Online-Unterricht angesagt: „Mir fehlen die vielen Seitengespräche mit den Schülern“, bekennt Schwester Kerstin-Marie, die auch auf dem Gelände des Kollegs lebt und mit den Patres das Seelsorge-Team um die Füchteler Klosterkirche bildet.

 

Ein Dominikanerinnen-Konvent in Vechta?

 

Aufgewachsen in einer „gut katholischen Familie“ im südlichen Ruhrgebiet, mit Pfadfinderlagerfeuer, Jugendarbeit und Reisen nach Taizé, studierte sie nach dem Abitur in Bochum und München katholische Theologie: „Damit ist man nie fertig“, sagt sie über die Faszination für dieses Fach. Im Bistum Trier arbeitete sie zunächst als Pastoralreferentin, bevor sie in den Dominikanerinnenorden eintrat und 2015 ihre Ewige Profess ablegte.

Für ihren Orden hat sie derzeit im Blick, ob mit Vechta der nördlichste Dominikanerinnen-Konvent Deutschlands entstehen könnte: „Für das nächste Jahr sieht es ganz gut aus, dass eine Schwester hier zumindest für eine Zeit mit einzieht“, glaubt die Ordensfrau. Die Dominikanerinnen seien in der glücklichen Lage, dass sich weiterhin junge Frauen für diese Lebensform interessieren.

 

„Was kann ich vom Leben noch erwarten?“

 

„Das eine tun, heißt nicht, das andere lassen“: Schwester Kerstin-Marie zusätzlich vier Jahre unter anderem an dem Österreicher Institut „ WaVe – Zentrum für Wachstum und Veränderung“ zum Berufungs- und systemischen Coach ausbilden: „Als Berufungscoach unterstütze ich Menschen, ihrer ganz eigenen Berufung auf die Spur zu kommen. Interessanterweise sind es vor allem Frauen in der Lebensmitte, die ich begleite“, sagt Schwester Kerstin-Marie.

„Beratung“ könne man ihre Arbeit nicht nennen. In sieben Abschnitten werden die Kunden über einen unterschiedlich langen Zeitraum in Gesprächen begleitet. Für die Teilnehmer stünden oft Fragen am Anfang wie „Was kann ich vom Leben noch erwarten?“ Themen seien die berufliche Routine, eine Neuorientierung nachdem die Kinder aus dem Haus sind, oder Beziehungen in der Krise: „Lebenswendezeit“, nennt Schwester Kerstin-Marie diese Punkte.

 

Die Frage nach dem Sinn des Lebens

 

„Was will ich wirklich, wirklich vom Leben?“- In dieser Frage steht sie auch Studierenden am Karlsruher Institut für Technologie zur Seite. Dort hat sie einen Lehrauftrag für Berufungscoaching. „Es gab schon mal eine Teilnehmerin, die ging nach der ersten Stunde, weil sie mit Kirche nichts zu tun haben wollte“, sagt Schwester Kerstin-Marie, die erkennbar im Habit unterwegs ist.

Das Berufungscoaching könne man auch machen, wenn man gar nicht christlich orientiert ist. Für ihre Arbeit bekommt Schwester Kerstin-Marie ein Honorar von ihren Klienten: „Das ist mein Beitrag für den Lebensunterhalt unserer Gemeinschaft“, sagt sie. Wobei sich auch für Menschen, die sich das Coaching finanziell nicht leisten könnten, eine Lösung findet. „Grundsätzlich muss ich auch zusehen, dass wir unser Knäckebrot kaufen können“, sagt sie.

 

Über Kirchendenken in Dekaden und die Geduld der Ordensfrauen

 

Schwester Kerstin-Marie im Internet:
www.op-schreibt.de, www.ordensleben.org, www.suchen-finden-gehen.com

Eine Frau als professioneller Coach, mit beiden Beinen in der Kirche - tut sich was in Sachen Gleichstellung von Frau und Mann in der katholischen Institution? „Die Kirche denkt in Dekaden“, lautet das Fazit von Schwester Kerstin-Marie, aber auch ihr Blutdruck steige angesichts der Tatsache, dass sie zwar in der Gottesdienstordnung der Klosterkirche Füchtel als Predigerin aufgeführt ist und die Patres auf Anfrage hin auch unterstützt, dies aber nach Kirchenrecht so nicht gestattet ist.

„Es geht die Geduld verloren, auch bei uns Ordensfrauen“, sagt sie. „Wir als Schwestern tun das, was möglich ist. Wir leben nach den evangelischen Räten Armut, Ehelosigkeit und Gehorsam, wir beten um Berufungen: Das können wir als Frauen tun, mehr nicht. Also muss der Vatikan dafür sorgen, dass auch wir die Sakramente feiern können!“

 

Predigen über Instagram

 

In Zeiten, in denen die Zahlen beim Gottesdienstbesuch weiter zurückgehen, „müssen wir über neue Formen nachdenken. Wie viele Leute kommen denn nach Corona noch zurück?“, fragt sich Schwester Kerstin-Marie. Abgesehen von mehr Unterstützung durch Frauen, sieht sie auch in der Nutzung neuer Medien eine große Chance.

Predigen über Instagram sieht sie als eine Möglichkeit, aber noch lieber will sie das Gespräch von Menschen direkt, in deren Umfeld suchen: „Der heilige Dominikus soll mal eine Nacht lang mit einem Gastwirt gesprochen haben“, berichtet sie aus der Gründungslegende ihres Ordens.

 

Beliebtes Fotomotiv

 

Diese „Geh-Hin-Pastoral“ müsste im Fall von Schwester Kerstin-Marie eher „Fahr-Hin“ lauten. Denn ein Schlüsselerlebnis hatte sie mit ihrem Fahrrad vor einem Supermarkt: „Ich bin ja immer im Habit unterwegs, und da stürzte jemand auf mich zu und rief: Sie sind eine Botschaft!‘.“

Es ist ihr auch schon öfter passiert, dass Passanten ein Foto mit ihr machen möchten. Solche Situationen nutzt die Ordensfrau für Gespräche, aus denen sich manchmal echte Seelsorge entwickele. „Wie bringen wir das Wort Gottes in die Welt?“ Bewegt von dieser Grundfrage ihres Ordens, kommt es nicht überraschend, dass die 41-Jährige eine kleine Abzweigung gen Amerika eingeschlagen hat: Am Aquinas Institute der Dominikaner in St. Louis, Missouri, macht sie gerade einen „Doctor of Ministry in Preaching“, einen Abschluss im Predigtdienst. Thema ihrer Arbeit ist unter anderem, wie Verkündigung mit dem Fahrrad gelingen kann.

 

Reifenflicken und der Heilige Geist

 

Auf ihren unterschiedlichen Pfaden helfe ihr die Frohe Botschaft, sich auf ein Ziel auszurichten: „Wenn ich begeistert bin vom Evangelium, strahle ich das auch aus, sodass auch andere Menschen danach fragen“, ist sie überzeugt. Dafür steigt die Theologin gerne aufs Fahrrad und trifft die Leute unterwegs - manchmal mit ungeahnten Schwierigkeiten: „Wenn ich einen Platten habe, dann flicke ich den“, sagt sie mit einem Lachen, auch wenn es manchmal lange dauert. Wie neulich im Bushäuschen bei Brockdorf: „Ich habe mich angestellt wie der erste Mensch, aber ich habe es geschafft“, sagt die Pfadfindern lachend, die sich nicht scheut, an einem 320 Kilometer-Distanz-Radrennen durch Norddeutschland teilzunehmen.

Eine besondere Erfahrung hat sie auch hier mitgenommen, wie sie inm Ordensblog schreibt. Das Radrennen habe sie an die Kirche erinnern: „Hier wie da gibt es Regeln, aber innerhalb der Regeln sind alle herzlich willkommen und dürfen ihren Stil ausleben, weil uns alle etwas miteinander verbindet. Und ob man dann die 320 Kilometer in 20 oder 15 Stunden fährt, ist nicht so wichtig. Hauptsache, man fährt und hat Freude. Würde das nicht für uns bedeuten, dass es nicht so wichtig ist, wie man seinen Glauben lebt, Hauptsache, man ist erfüllt vom Heiligen Geist und will mit Jesus Christus unterwegs sein?“

Wer sind die Dominikanerinnen und Dominikaner?
Der Dominikanerorden besteht seit über 800 Jahren. Der eigentliche Name lautet „Orden der Predigerbrüder“ und wurde 1216 vom heiligen Dominikus gegründet. Den Grundstein für den weiblichen Zweig legte eine Gemeinschaft von Frauen in Südfrankreich, die bereits 1205 von Dominikus ins Leben gerufen wurde. 
Heute gehören zur Dominikanischen Familie klösterliche Gemeinschaften, kleinere Hausgemeinschaften, Klöster mit Klausur oder die dominikanische Laiengemeinschaft mit Familie und Beruf. Angesiedelt sind die Dominikaner in der Provinz Teutonia mit der Zentrale in Köln sowie in der Provinz Süddeutschland/Österreich und der Provinz der Schweiz. Weltweit umfasst der Orden 38 Provinzen und  drei Vizeprovinzen mit rund 6.000 Brüdern, 3.000 Nonnen und 30.000 Schwestern weltweit.
Das Kolleg St. Thomas in Vechta entstand ab 1902 und wird heute von knapp 700 Schülern besucht. www.dominikanerorden.de

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