Strukturprozess und Missbrauchsaufklärung im Zentrum des "Tags der Seelsorgenden"

Seelsorgende im Bistum Münster: Bereit für eine veränderte Kirche

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Weniger Geld, weniger Personal und die Missbrauchskrise: Wie verändert das die Seelsorge – und was bedeutet das für die Seelsorgenden? 300 Priester, Pastoralreferent:innen und Diakone haben darüber beim "Tag der Seelsorgenden" in Emsdetten (Kreis Steinfurt) mit der Bistumsleitung nachgedacht.

„Manager“, „Konkursverwalter“, „Dienstleister“: Am Anfang liest sich ziemlich nüchtern und desillusioniert, was auf der großen Leinwand in der Wortwolke eines „Mentimeters“ durcheinanderwirbelt: Antworten auf die Frage, welche Rollenbilder sie bei der Gestaltung der künftigen pastoralen Räume prägen. Digital haben 300 Priester, Pastoralreferentinnen und -referenten, Diakone und Ordensleute per Smartphones ihre Begriffe eingeben können. Dann aber ändert sich das Bild, schnell und eindeutig. Je größer, desto wichtiger, und das Bedeutsamste im Zentrum: „Seelsorgerin, „Seelsorger“, „Begleiter“, „Koordinatorin, „Ermöglicher“.

Es ist bei allen auch selbst gestellten Anfragen an ihren Beruf, ihre Berufung, ihren Auftrag und ihre Möglichkeiten zugleich so etwas wie ein entschlossener Realismus zu spüren: Die katholische Kirche auch im Bistum Münster steht vor gewaltigen Veränderungen – und die wollen und sollen gestaltet sein.

Respekt vom Bischof

An diesem „Tag der Seelsorgenden“, der nach langer Pause durch die Corona-Pandemie wieder in Präsenz, in der Emshalle in Emsdetten stattfinden konnte, stehen deshalb der Strukturprozess zur Entwicklung neuer pastoraler Räume und der Stand der Missbrauchs-Aufklärung im Mittelpunkt.

Bischof Felix Genn äußert bewegt Respekt: „Danke, dass Sie sich auf den Umbruch in der Struktur unseres Bistums einlassen.“ Das erfordere viel Kraft, das ermüde, das drohe zu überfordern. Um auch zukünftig gemeinsam Kirche zu sein, sei es ihm umso wichtiger, auf das einzugehen, was aus den Beratungen über die pastoralen Räume zurückgemeldet wird. Erneut versicherte er: „Wir wollen keine weiteren Fusionen, auch keine versteckten.“ Zugleich warnte er vor „kurzatmigen Entscheidungen“.

Verzögerungen durch Corona

Einmal mehr hat Corona die Planung des Strukturprozesses durcheinander gebracht, erklärt Generalvikar Klaus Winterkamp. Ursprünglich sollten die Beratungen in den Dekanaten schon im März abgeschlossen sein, bislang hätten aber erst knapp die Hälfte der Veranstaltungen stattgefunden, er hoffe auf einen ersten Abschluss bis Ende Oktober. Möglichst im Frühjahr 2023 sollen die territorialen Zuschnitte der Pastoralen Räume stehen.

Inzwischen, berichtet Winterkamp, hätten sich weitere Themengruppen gebildet, etwa zu liturgischen Fragen von Trauungen und Taufen durch Laien-Seelsorgende sowie zu pastoralen Kriterien für die Immobilienentwicklung.

Bei all dem, sagt Winterkamp, sei es besonders wichtig, über die Rollen und Aufgaben der verschiedenen Berufsgruppen in der Seelsorge zu sprechen. Auch dazu solle der „Tag der Seelsorgenden“ dienen – sich ehrlich diesen Fragen zu stellen: „Was macht das alles mit mir als Pastoralreferentin, als Pfarrer oder Pastor, als Diakon? Was macht das auch mit den ehrenamtliche Engagierten in den Pfarreien, in den Verbänden? Welche Sorgen, Befürchtungen und Hoffnungen habe ich?“ Winterkamp warnte davor, schnelle Entscheidungen zu erwarten: „Das geht alles nicht im Hauruckverfahren.“

Innovative Seelsorge

Hörende Nachdenklichkeit wechselte in der Emshalle mit intensiven und engagierten Diskussionen in kleineren Gruppen – ergänzt von der Vorstellung dreier „innovativer Pas­toralprojekte“:

Nadine Leygraf, Birgitta Naß und Martin Wichert erzählten von der „Palette 2.0“ in Moers – einer aus einer Kleiderkammer im Pfarrkeller entstandenen Boutique mit Beratung, Upcyclingkursen und Klamottentauschpartys.

Hendrik Drüing stellte vor, wie er „Virtual Reality“ mit entsprechenden Brillen in der Schulseelsorge des Münsteraner Mauritz-Gymnasiums einsetzt – „verbunden mit dem angenehmen Gefühl, als Kirche mal vorneweg zu sein“.

Und Mariele Reppenhorst und Markus Gehling aus Voerde präsentierten die „Rote rollende Kirche“, einen Bauwagen für Gottesdienste oder andere Projekten an allen möglichen Plätzen. „Damit habe ich sofort die Aufmerksamkeit der Leute – und sei es wegen meiner schlechten Rangierkünste mit dem Bauwagen“, erzählte Gehling launig.

Wieder galt es im Anschluss für die Seelsorgerinnen und Seelsorger, sich zu fragen: „Wofür brenne ich? An welcher Stelle und mit wem möchte ich etwas entwickeln?“

Vor dem Münsteraner Gutachten 

Ehrliche Auseinandersetzung prägte auch den zweiten Themenkomplex: die für den 13. Juni angekündigte Veröffentlichung des Missbrauchs-Gutachtens für das Bistum, das von einer unabhängigen Historikerkommission der Universität Münster erstellt wurde. Damit unterscheidet sich die Aufarbeitung im Bistum Münster von der etwa in den Erzbistümern Köln und München-Freising, die juristische Gutachten in Auftrag gegeben hatten. Deren Ergebnisse waren Anfang dieses Jahres veröffentlicht worden.

Gleichwohl beklagte Genn, dass in Deutschland nun ein Bistum nach dem anderen seine Gutachten präsentiere und so der Missbrauchs­skandal stückweise aufgeklärt werde. „Es war nicht möglich, alle 27 Bistümer dazu zu bewegen, mit denselben Standards zu arbeiten und Ergebnisse zurselben Zeit zu veröffentlichen“, erklräte er. „Das wäre besser gewesen, aber es ging nicht.“

Der Zeitplan

Sowohl der Bischof als auch Generalvikar Winterkamp betonten erneut, den Forschenden sämtliche Akten zur Verfügung gestellt zu haben – und deren Erkenntnisse selber erst an dem besagten 13. Juni zu erfahren. Nachdem er das Gutachten gelesen haben werde, wolle sich Genn am 17. Juni in einer Pressekonferenz zu den Ergebnissen äußern.

Winterkamp kündigte überdies an, dass die drei Stationsaltäre der Münsteraner Fronleichnamsprozession am 16. Juni den Ukraine-Krieg, den Klimawandel und den Missbrauchsskandal thematisieren werden.

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