Gabriele Haubner schlüpft in die Rolle des nachdenklichen Pierrots

Sie ist der Clown, der in der Kirche auftritt

  • Gabriele Haubner spielt in Kirchen und Kapellen den Pierrot, einen nachdenklich humorvollen Clown.
  • Diese Figur hat viel von ihrer eigenen Persönlichkeit, ihr Programm wird zur Andacht.
  • Sie sagt, dass sie dann „betend spielt“ oder „spielend betet“.

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Sie betet, sagt sie. So wie sie da steht: Das Gesicht weiß geschminkt, das weiße Hemd mit den schwarzen Bommeln dran, die schwarze Kappe auf dem Kopf. Als Clown, genauer als Pierrot, dem „Peterchen“, der nachdenklich und still daherkommt, mit einfachen Bewegungen, pantomimengleich. Der auf viel Farbe und lautes Getöse verzichtet, mit markanter Mimik und Gestik auskommt, seine Worte poetisch wählt, nur wenige Requisiten benötigt. Dann betet sie, sagt Gabriele Haubner.

Sie könnte gar nicht anders. Die 57-Jährige kann in der Figur des Pierrots nicht spielen, ohne dass sie ihm mit ihrer Persönlichkeit Leben einhaucht. „Das ist der Unterschied zu einem Schauspieler“, sagt sie. „Er spielt vor den Menschen, schlüpft in andere Charaktere – ich spiele mit meiner ganzen Person im Kontakt mit den Menschen.“ Wenn sie vor ihr Publikum tritt, ist sie keine andere. Sie ist sie selbst. Und dazu gehört eben auch ihr Gebet.

 

Sie spielt Andachten

 

Deshalb ist dieser ruhige, zurückhaltende und doch ausdrucksstarke Pierrot der ihre geworden. Denn die kaufmännische Angestellte der Stadt Münster liebt die Kontemplation, sie hat sie eingebettet in ihren Alltag, betet jeden Tag ein bis zwei Stunden in Stille. Haubner engagiert sich in der geistlichen Gemeinschaft Emanuel und ist ehrenamtlich für das Rote Kreuz im Einsatz. Als Bühne für ihren Pierrot hat sie den kirchlichen Raum gewählt. Ihr Programm als „Pierrot für Christus“ spielt sie am liebsten zwischen Altar, Ambo und Tabernakel. „Es sind Andachten“, sagt sie.

„Gott ist ein Punkt, der Mittelpunkt“, heißen diese zum Beispiel. „Du bist der Punkt, der springt. Du bist der Punkt, der am Ende meines Lebenssatzes winkt. Du bist der Punkt, auf den du selber alles bringst. Du bist der Punkt, der mich umhüllt, der mich umgibt, mein Mittelpunkt, der mich bis zum äußersten liebt“, singt sie dann zu ihrer Gitarre. Vorher hat sie sich vor ihren Zuschauern ein Messdienergewand übergezogen. „Größe 60 – das kleinste, das es gibt.“ Sie hat ihnen gestanden, dass sie manchmal an der Welt verzweifle. Sie hat mit einer Feder einen Brief an Gott geschrieben. Und sie hat aus dem Brief an die Galater zitiert und sich dabei verwundert über den Bauch gestrichen: „Christus lebt in mir.“ (Galater 2.20)

 

Bibel hat Schmunzelpotential

 

Die schwebende Seifenblase: Dem Pierrot reichen in seinen „Andachten“ wenige Requisiten. | Foto: Michael Bönte
Die schwebende Seifenblase: Dem Pierrot reichen in seinen „Andachten“ wenige Requisiten. | Foto: Michael Bönte

Darf sie das? Immerhin steht sie in einem sakralen Raum, sie spielt mit Worten aus der heiligen Schrift. „Es gibt viele Szenen in der Bibel, die durchaus das Potential haben, uns zum Schmunzeln zu bringen“, sagt Haubner. „Man stelle sich zum Beispiel vor, wie das Kamel durch das Nadelöhr geht.“ Es sind ähnliche Bilder, mit denen sie spielt. Sie sind nicht nur lustig. Sie dürfen, dem Charakter des Pierrots eigen, auch zu Tränen rühren. Nicht selten tupft sie sich mit ihrem großen, roten Tuch eine solche aus dem Augenwinkel. Sie fragt eben nicht nur, wer sie in der Verzweiflung trägt, sondern auch, was sie verzweifeln lässt.

Genau das beschreibt sie und ihre Lebensgeschichte ziemlich gut. „Es waren oft die schlimmen Phasen meines Lebens, die mich so berührt haben, dass daraus Ideen und Texte entstanden.“ Krisen, die sie „nah an Christus heranrücken ließen“. Sie denkt dabei etwa an den frühen Tod ihres Bruders vor einigen Jahren. „Einmal saß ich auf einer Treppe im Sonnenschein, es kitzelte in meiner Nase, ich musste niesen.“ Das hatte etwas Befreiendes, „wie ein kleiner Hinweis auf die große Erlösung“, erinnert sich Haubner. Wie so oft ging sie damit sofort ins Zwiegespräch mit Gott. „Herr, jetzt nicht“, betete sie damals. „Es ist gerade ernst.“

 

Die Geschichte des Niesers

 

Wie so viele ähnliche Erlebnisse verarbeitete sie diesen Moment dann doch sofort in einem ihrer „Schmunzelgebetsgedichte“, die sie im Programm hat. „Oh Herr, dass du mir so viel Leben jetzt so eben mal gegeben – du weißt schon welches ich da meine, dieses kleine, reine, sinnlich, feine, komplett und ganz und gar vollkommene Sein in diesem Augenblick so klein“, beschreibt sie ihren Nieser vor den Zuschauern. Die Schwere ihrer Lebenserfahrungen hat damit jene wunderbare Leichtigkeit gefunden, wie sie so oft in ihrem Programm gefühlt werden kann.

Es ist aber nicht immer so, dass diese Worte und Ideen ihr fertig zufliegen. Quasi mit einem Nieser schon auf dem Papier stehen. Auch dafür braucht sie das Gebet, sagt sie. „Letztlich wird mir auch das geschenkt.“ In Stille an ihrem Sekretär in ihrer Wohnung in Münster, immer mit einer Tasse Tee. Ihre ersten Aufzeichnungen sind handschriftlich, der Weg zur fertigen Komposition dann noch lang. „Alles, was ich mache, ist dann ein weiteres Geschenk, aber auch Arbeit.“

 

Rheinländerin und Diakon-Tochter

 

Buntes in der Kirche: Gabriele Haubner bringt als Pierrot Farbe in die Kirchen. | Foto: Michael Bönte
Buntes in der Kirche: Gabriele Haubner bringt als Pierrot Farbe in die Kirchen. | Foto: Michael Bönte

Ihre Verbindung von humoristischer Leichtigkeit und tiefgehender Glaubensinspiration bleibt für den Betrachter überraschend. Sie hat eine Erklärung dafür, die sie selbst zum Lachen bringt: „Ich bin im Rheinland groß geworden – als Tochter eines Diakons.“ Das Frohgemüt aus ihren Wohnorten zwischen Köln und Düsseldorf gepaart mit jener Nähe zur katholischen Gemeinde, die ihre Familie als Bewohnter des Pfarrhauses erlebte. „Das erklärt doch einiges, oder?“

Das katholische Leben nahm sie mit in weitere Lebensstationen, war ehrenamtlich in Pfarrgemeinden aktiv, engagierte sich in der Liturgie, saß in Gremien, auch einige Jahr im Diözesanrat des Bistums Münster. „Gut katholisch“ kann das überschrieben werden. Eine besondere Tiefe bekam dies aber noch einmal, als sie vor etwa fünf Jahren die Idee hatte, sich als Clown ausbilden zu lassen. Von einer ehemaligen evangelischen Pfarrerin – das passte zu ihrem christlichen Hintergrund. „Fast ein Jahr mit intensiven Wochenenden“, beschreibt sie das. „Da lernte ich das Handwerkszeug kennen.“

 

Eine Ahnung vom großen Thema

 

Zu ihrem Pierrot gehört vor allem die Reduktion. Bei aller Poesie: Gestik, Mimik und Worte werden auf das Wesentliche konzentriert. Genauso die Requisiten: Eine Rose, Seifenblasen oder ein buntes Band reichen ihr, um ihre tiefen Gedanken zu transportieren. „Jesus hat uns Einfachheit gelehrt“, sagt Haubner. „Seine Gleichnisse haben komplexe Dinge anschaulich und verständlich gemacht.“ Sie will keine theologische Auseinandersetzung, keine bibelwissenschaftliche Betrachtung. „Nicht das Intellektuelle, sondern Gefühl.“ Wie eine Ahnung von dem großen Glaubensthema dahinter.

Dass ihr das gelingt, hat sie schon viele Male erlebt. Die Tränen im Publikum während der Darstellung zeigen das oder Rückmeldungen wie diese, die sie erreichte: „Pierrot, du hast es für mich auf den Punkt gebracht – die Liebe Gottes.“ Ins Seichte gleitet sie damit nicht ab. Eher ins Fokussierte, unterstützt durch die darstellerischen Möglichkeiten. Sie nennt es „Handpuppen-Effekt“. „Das kleine Kind glaubt eher der Handpuppe als dem Vater, der ihm damit vorspielt.“ Ihre Zuhörer hören auf das, was sie als Pierrot sagt, wenngleich es das gleiche ist, was sie auch ohne Kostüm sagen würde.

 

Schwere Kost wird konsumierbar

 

So kommt es, dass auch schwere theologische Kost plötzlich leichter konsumierbar wird. „Ich habe mich lange Zeit gefragt, was es mit der realen Gegenwart Jesu in eurer Eucharistie auf sich hat,“ schrieb ihr einmal ein evangelischer Christ. „Als du vor dem Tabernakel getanzt hast, habe ich es verstanden.“

Haubner will damit keine Kritik an der Liturgie äußern. Das ist ihr wichtig: „Sie ist die zentrale und höchste Form des Gottesdienstes, die Raum und Zeit umspannt.“ Das Gebet, das sie an den gleichen Orten in Kapellen und Kirchen spielt, sieht sie als Möglichkeit, die Geheimnisse der Liturgie „anders zum Leuchten zu bringen“. Die Künstlerin sieht dabei zwei Zielgruppen: „Jene, die in der Liturgie zuhause sind, finden neue Inspiration – für jene, die auf der Suche sind, kann es ein Einstieg zur Auseinandersetzung sein.“

 

Würdevolle Freude

 

Es klingt nicht wie ein Missionsauftrag, wenn sie so etwas sagt: „Der Pierrot für Christus als Einstieg für Christen, so auf Jesus zu hören“. Es geht um das „so“. Denn genau „so“ ist sie selbst. Auch sie hat ihren Weg darin gefunden, in Stille Fragen zu stellen und Antworten zu bekommen. Sie als Pierrot nimmt diese Stille und bringt sie zu ihren Zuhörern – nicht stumm, aber in Ruhe. Es entsteht eine „würdevolle Freude“, wie ein Zuhörer ihr einmal bestätigte. Haubner selbst nennt es „spielend beten“ oder „betend spielen“.

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