Inquisition, Hexen, Kreuzzüge: War es nur eine Kriminalgeschichte?

Sieben Vorurteile zur Kirchengeschichte - Was ist da dran?

Abgestempelt, in Schubladen gesteckt: das ist bequem, schadet aber dem Miteinander. In unserer Serie gehen wir Vorurteilen auf den Grund und konfrontieren Betroffene damit. Heute mit Kirchenhistoriker Norbert Köster.

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Abgestempelt, in Schubladen gesteckt: das ist bequem, schadet aber dem Miteinander. In unserer Serie gehen wir Vorurteilen auf den Grund und konfrontieren Betroffene damit. Heute mit Kirchenhistoriker Norbert Köster.

Vorurteil 1: Die katholische Kirche hat durch die Inquisition Andersdenkende als Ketzer bezeichnet, sie unterdrückt, gefoltert und zu Hunderttausenden hingerichtet.

Es gibt drei unterschiedliche Inquisitionen. In der mittelalterlichen Inquisition des 12. und 13. Jahrhunderts, die sich gegen religiöse Bewegungen wie die Katharer richtete, und der spanischen Inquisition des 15. und 16. Jahrhunderts, die sich vor allem gegen Juden und Muslime richtete, verbanden sich staatliche und religiöse Interessen. Religiöse Differenz stellte nicht nur die Kirche in Frage, sondern war auch der staatlichen Macht gefährlich. Deshalb vollstreckten weltliche Herrscher kirchliche Urteile. Dies führte tatsächlich auch zu grausamen Exzessen. Die römische Inquisition, die nach der Reformation entstand, entwickelte sich demgegenüber zu einem modernen System der Urteilsfindung.

Vorurteil 2: Zur Kriminalgeschichte der katholischen Kirche gehört, dass Millionen von Frauen als Hexen verbrannt wurden.

Die Hexenverbrennungen sind heute bestens erforscht. Es hat sich gezeigt, dass die Anklagen in der Regel aus Streitigkeiten im dörflichen oder städtischen Umfeld entstanden sind. Für schlechte Ernten, erkrankte Tiere oder anderes Unglück wurden Menschen aus der Nachbarschaft verantwortlich gemacht. Verheerend wirkte sich die staatliche Gesetzgebung Kaiser Karls V. aus, die angeklagten Frauen und Männern keine Chance ließ. Zwar gab die Idee der Hexensekte und der damit verbundenen Ketzerei einen ideologischen Hintergrund für die staatlichen Verfahren, am Ausmaß der Verfolgungen war aber im Wesentlichen die Verfahrensordnung Schuld. Im Kirchenstaat, wo die sehr moderne Rechtsordnung der römischen Inquisition galt, wurde keine Hexe verbrannt, sondern alle Anklagen gestoppt.

Vorurteil 3: Im Mittelalter haben christliche Kreuzfahrer Muslime und Juden ohne Rücksicht niedergemetzelt.

In den Kreuzzügen mischten sich religiöse und sehr weltliche Ideen. Sie waren heiliger Krieg und Wallfahrt, für manche aber auch einfach ein Abenteuer und Hoffnung auf materiellen Gewinn. Im Rahmen der Kreuzzüge kam es zu unentschuldbaren fürchterlichen Pogromen an Juden. Allerdings darf man nicht übersehen, dass die Kreuzfahrer sich im Recht glaubten, weil die Muslime 637 Jerusalem und das ganze Heilige Land erobert hatten und im Begriff waren, auch das christliche byzantinische Reich zu erobern. Zur Idee des gerechten Krieges gehörte es, dass man Geraubtes zurückerobern darf.

Vorurteil 4: Durch die Mission gab es in Lateinamerika einen Völkermord an Ureinwohnern. Die Indios wurden zum christlichen Glauben gezwungen.

Norbert Köster.
Norbert Köster ist Professor für Historische Theologie und ihre Didaktik an der Katholisch-theologischen Fakultät der Universität Münster. | Foto: Michael Bönte

Als Columbus Amerika (wieder-)entdeckte, entstand in Spanien ein wahrer Goldrausch. Viele Conquistadoren nahmen Land in Beschlag und versklavten Einheimische. Viele Indios kamen zudem durch eingeschleppte Krankheiten um. Die Conquistadoren versuchten ihr Vorgehen mit dem Glauben zu rechtfertigen, indem sie entweder Indios das Menschsein absprachen oder aus ihrem Unwillen, sich zum Christentum zu bekehren, Herrschaftsansprüche ableiteten. Demgegenüber haben die Orden sich sehr intensiv für die Rechte der Indios eingesetzt, zunächst die Franziskaner und Dominikaner wie zum Beispiel Las Casas, später die Jesuiten. Die spanischen Könige waren über die von Jesuiten gegründeten Reservate für Indios, die sogenannten „Reduktionen“, so erbost, dass sie beim Papst 1773 die Auflösung des Jesuitenordens betrieben haben.

Vorurteil 5: Im Nationalsozialismus hat die katholische Kirche und insbesondere Papst Pius XII. zu wenig gegen die Vernichtung der Juden getan.

Die Bewertung dieser Frage ist sehr schwierig. Wir müssen die Öffnung des Vatikanischen Archivs für die Zeit Papst Pius‘ XII. abwarten, um das besser beurteilen zu können. Während es Appelle an den Papst gab, sich öffentlich zu äußern, wie zum Beispiel den von Edith Stein im Jahr 1936, gab es ebenso die große Angst, durch eine Äußerung zur Judenverfolgung die Lage der Juden zu verschlimmern. Ein Hirtenwort der niederländischen Bischöfe führte 1942 zu dem großen Pogrom, bei dem Edith Stein ums Leben kam. Diese Erfahrung wog schwer.

Vorurteil 6: Der Schriftsteller Karlheinz Deschner hat in zehn Bänden eine „Kriminalgeschichte des Christentums“ verfasst, die akribisch die einzelnen Verbrechen belegt.

Deschners Kriminalgeschichte stellt viele Episoden der Kirchengeschichte einseitig und aus dem Zusammenhang gerissen vor.

Natürlich ist im Laufe der Geschichte der Kirche viel Negatives passiert, aber ebenso auch sehr viel Positives. Die einseitigen Darstellungen Deschners haben wissenschaftlich gesehen keinen Wert.

Vorurteil 7: Die dunkle Seite des Christentums mit ihrem großen Versagen ist ein triftiger Grund, um aus der katholischen Kirche auszutreten.

Wer so argumentiert, übersieht, dass das Christentum in vielerlei Hinsicht die Grundlage des modernen freiheitlichen Staates geschaffen hat. Die Menschenrechte sind ohne die jüdisch-christliche Tradition der Menschenwürde undenkbar.

Ebenso fußt zum Beispiel unser ganzes Sozialsystem auf dem Einfluss der christlichen Kirchen. Es waren Ordensfrauen und Diakonissen, die die modernen Krankenhäuser ermöglicht haben. Das ganze Bildungs- und Schulsystem lag bis ins 19. Jahrhundert hinein in den Händen der Kirchen. Kunst und Kultur wurden über Jahrhunderte von den Kirchen ermög­licht.

Wenn wir heute in einer säkularen Welt leben, darf das nicht den Blick dafür trüben, welche Kulturleistungen das Christentum hervorgebracht hat.