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Corona hat gezeigt: Die Menschen in Deutschland können immer mehr auch ohne Kirche gut leben. Woran liegt das? Ulrich Waschki, Chefredakteur der Verlagsgruppe Bistumspresse in Osnabrück, beklagt: Es fehlt an echter Nähe zu den Menschen.
Wochenlang kein öffentlicher Gottesdienst, seelsorgliche Möglichkeiten eingeschränkt: Fehlte der Gesellschaft etwas? Die Corona-Krise hat die Diskussion um die Relevanz der Kirchen neu entfacht. Ulrich Waschki, Chefredakteur der Verlagsgruppe Bistumspresse in Osnabrück, macht in seinem Gast-Kommentar klare Faktoren dafür aus, warum ihre Bedeutsamkeit so zurückgegangen ist: Ihr fehle etwas ganz Entscheidendes.
Ulrich Waschki (46) ist Geschäftsführer und Chefredakteur der Verlagsgruppe Bistumspresse in Osnabrück. Er stammt aus Rheine.
In diesen Tagen veröffentlichen die deutschen Bistümer die Kirchenaustrittszahlen für 2019. Sie dokumentieren, was in den Corona-Wochen vielfach zu spüren war: Die Kirche hat für immer mehr Menschen keine Relevanz mehr. Sie brauchen sie nicht, um ihr Leben zu gestalten.
Aber warum erreichen wir unsere Mitmenschen nicht mehr? Weil wir ihnen nicht zeigen, dass dieser Glaube etwas mit ihrem Leben zu tun hat, dass er Hoffnung gibt und hilft, Krisen zu bestehen. Wir haben uns eingerichtet in einer Institution, die oft nur um sich selbst kreist. Der Hildesheimer Bischof Heiner Wilmer fragte kürzlich selbstkritisch in einem Beitrag für die Wochenzeitung „Die Zeit“, wo denn in der Corona-Krise sein Platz als Bischof sei: „im Bischofshaus – desinfiziert, abgeschottet, keine Gefahr“? Oder etwa wie ein Mitbruder von ihm bei Gefangenen?
Kennen wir die Nöte der Menschen?
Wo ist der Platz der Jüngerinnen und Jünger Jesu? Diese Frage gilt natürlich zuallererst den Repräsentanten der Kirche. Also den Bischöfen genauso wie dem Pfarrer vor Ort, der sich vielleicht lieber mit dem Bürgermeister trifft als mit Menschen am Rande der Gesellschaft. Aus der akuten Corona-Phase gibt es Berichte von Pfarrern, die ihre plötzlich unverplante Zeit nutzten, um durch die Gemeinde zu spazieren, sich vor die Kirche zu setzen oder zum Telefon zu greifen, um mit Menschen in Kontakt zu kommen. Ganz überrascht waren sie, wie einfach und erfüllend für beide Seiten das ist.
Doch auch jede Christin und jeder Christ muss sich fragen: Sind wir als Christen, als Kirche, als Pfarrgemeinde nahe bei den Menschen? Kennen wir die Nöte der Menschen in unserem Ort? Die Einsamkeit, die Angst um den Arbeitsplatz, die Überforderung mit den Kindern oder den pflegebedürftigen Eltern? Jesus hat sich den Menschen mit Brüchen zugewandt, ihnen Nähe, Heilung und Wärme gegeben. Wir, so kritisiert Bischof Wilmer zurecht, haben eine kirchliche Professionalität aufgebaut. Und Professionalität strahlt selten Wärme aus. Warm und heimelig ist es durchaus – aber eher für die, die dazugehören.
Keine Chance, Gott zu spüren
Zu wenig Nähe und Wärme gibt es im Übrigen auch in der Liturgie: Mag sie noch so sorgfältig und perfekt gefeiert sein, nimmt sie doch oft das Leben der Menschen nicht hinein. So ist sie keine Chance, Gott zu spüren und von ihm für den Alltag gestärkt zu werden. Die Konzentration auf die Eucharistie überfordert viele Menschen und schließt sie damit aus.
Die Kirche muss zeigen, dass der Glaube dem Leben dient. Im praktischen Tun und in der Liturgie. Im Moment ist das oft nicht der Fall.
Hinweis
Die Positionen der Gast-Kommentare spiegeln nicht unbedingt die Meinung der Redaktion von „Kirche+Leben“ wider.