40 Jahre später ist die neugotische Kirche immer noch Gotteshaus

Sint Jozef in Enschede wurde durch einen Gulden gerettet

Die Sint-Jozef-Kerk in Enschede wollte in den 1970er Jahren keiner mehr haben. Sie sollte Hochhäusern weichen. Doch es regte sich Widerstand. Nicht in der Pfarrgemeinde, sondern in der Kulturszene.

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Ein einziger Gulden war es, der das Blatt wendete – 1981, als die neu gegründete Stiftung „Behoud Sint Jozef“ mit der Stadt und der Kirchengemeinde übereinkam, sich künftig um den neogotischen Bau mitten in Enschede zu kümmern. Sonst wäre ihr Schicksal besiegelt gewesen: An der Stelle des 77 Meter hohen Kirchturms nah der Innenstadt würde jetzt wohl ein Hochhaus aufragen.

„Kaum jemand hatte Interesse an ihr“, erinnert sich John Schiffel. Der 72-Jährige wurde nur 100 Meter entfernt geboren, wuchs in der Pfarrgemeinde auf. „Damals gab es große Veränderungen in der Struktur der Stadt.“ Nach dem Konzil waren in den Vororten der wachsenden Textil-Industrie-Stadt neue Kirchen gebaut worden. Die Innenstadt war voll mit Fabrikgebäuden, nicht selten mit aufwendiger Architektur. „Das waren die eigentlichen Kathedralen von Enschede.“

 

Das Gemeindeleben litt

 

Sint Jozef litt unter dieser Situation, sagt Schiffel. „Das Gemeindeleben verlagerte sich von ihr weg.“ Zudem hinterließ die Idee von Papst Johannes XXIII., den Prunk aus den Kirchen zu verbannen, seine Spuren in der Kirche aus dem Jahr 1894. „Die Menschen hier waren ganz versessen darauf, die Gemälde mit weißer Farbe zu überpinseln und Figuren rauszuschaffen – das war wie ein Bildersturm.“ Der Erhalt des Gebäudes wurde vernachlässigt. Anfang der 1970er Jahre war die Kirche in einem erbärmlichen Zustand.

„Neugotische Kirchen gab es in Holland wie Sand am Meer.“ Ihrem Erhalt wurde deshalb keine große Aufmerksamkeit geschenkt, sagt Schiffel. „Neo-gotik war total out.“ Kein Wunder, dass der damalige Pfarrer gerne eingeschlagen hätte, als ein Bauunternehmer ihm eine saftige Summe zahlen wollte, um anstelle der Kirche ein Hochhaus zu bauen. In der Pfarrgemeinde sei das kaum auf Widerstand gestoßen, erinnert sich der Pensionär. „Der kam aus einer anderen Ecke.“

 

Die Kulturszene entwickelt Interesse

 

Schiffel war damals Angestellter auf dem nahen Luftwaffenstützpunkt des niederländischen Militärs. Die aufkeimende Diskussion um seine Heimatkirche verfolgte er gespannt. „Die Verhältnisse in Enschede hatten sich wiederum verändert.“ Viele Textilfabriken schlossen, die Arbeitslosenzahlen gingen nach oben. Aus der Arbeiterstadt wurde nach und nach eine Studenten- und Dienstleistungsstadt. Die kulturelle Szene entwickelte sich. Und die war es, die plötzlich laut wurde: „Sie wollte das historische Gebäude erhalten.“

Aus einem Leserbrief in der Tageszeitung wurde eine kontroverse öffentliche Diskussion. „Wir haben oft und lange in den Bänken hier gesessen und mit dem Kirchenvorstand, dem Pfarrer und Vertretern der Stadt diskutiert“, sagt Schiffel. „Wir“, das waren bald die „Vrienden van de Jozefskerk“, ein bunt gemischter Verein mit zeitweise bis zu 700 Mitgliedern. Über Jahre wurde gestritten, was aus der Kirche werden sollte. Ein „gezellige“ Zeit sei das gewesen: „Wir haben viel Kaffee zusammen getrunken.“

 

Alles gegen Eintritt

 

Mit Erfolg. Denn parallel wuchs auch die Bereitschaft der Menschen in Enschede, sich den Erhalt der Kirche etwas kosten zu lassen. Denn es war klar, dass es nicht bei dem symbolischen einen Euro bleiben würde. Reparaturen, Restaurierungen und Betrieb würden in den folgenden Jahren Millionen verschlingen. Spenden gingen ein, über Finanzierungskonzepte wurde beraten. 1981 war der Verein so weit, dass er die Stiftung gründen konnte. „Mit ausreichend Grundkapital“, sagt Schiffel. „Und mit vielen Ideen, wie das Projekt zu meistern sei.“

Die Ideen gingen ihnen nicht aus. Benefizkonzerte wurden veranstaltet. Spendensammlungen, Kirchenführungen und Ausstellungen brachten Geld. „Alles gegen Eintritt, wir mussten immer wirtschaftlich denken.“ Bis heute. Die Pfarrgemeinde wurde zum Premiumkunden. Für gut 1000 Euro Miete im Monat feiert sie noch immer ihren sonntäglichen Gottesdienst, bietet jeden Dienstag die Möglichkeit zur Anbetung, besetzt den Beichtstuhl, tauft, traut und feiert Totenmessen. „Das sind aber nur noch wenige Termine“, sagt Schiffel.

 

Andere Konfessionen sind neue Mieter

 

Es bleibt viel Zeit für andere Aktivitäten, die weiteres Geld bringen. So kommen immer wieder Hochzeitsgesellschaften anderer christlicher Religionsgemeinschaften in die Jozefskerk. Oft sind das orthodoxe Christen mit Migrationshintergrund. „Ich hole mir das Einverständnis des Pfarrers, das Hochzeitspaar bringt ihren eigenen Priester mit und ich passe auf, dass alles mit rechten Dingen zugeht.“ Denn die Hochzeiten seien oft lebhaft und bunt. „Andere Konfessionen, andere Bräuche.“ Die Sakristei bleibt dehalb auf Wunsch der Pfarrgemeinde in diesen Stunden verschlossen.

Der Aufwand indes ist groß. Schiffel ist bei der Organisation mittlerweile als Einzelkämpfer unterwegs. Auch die vielen Auf- und Umräumarbeiten bleiben häufig an ihm hängen. „Die Stiftung besteht eigentlich nur noch aus mir.“ Die Generation der Aktivisten in den 1970ern ist in die Jahre gekommen. Nachwuchs fehlt. Der Verein „Vrienden van de Jozefskerk“ wird sich in diesem Jahr wohl auflösen. Sämtliche Rücklagen werden auf die Stiftung übergehen.

 

Das ewige Licht brennt weiter

 

„Für die nächsten zehn Jahre ist die Kirche aber super aufgestellt“, sagt Schiffel. Große Renovierungsarbeiten wurden kürzlich abgeschlossen. Dach, Heizung und Bausubstanz sind wieder in einem guten Zustand. Besonders viel Freude hat Schiffel an den vielen Gemälden, die Restauratoren sicherten. „Denn die Engel im Gewölbe hingen schon schief von der Wand – sie drohten wegzufliegen.“ An vielen Stellen wurde auch die weiße Farbe entfernt, um den Blick auf die Werke  des renommierten Malers Johan Colette wieder freizugeben.

Sint Jozef steht als historische Gebäude und Kunstwerk also wieder gut da. Das war den Menschen in Enschede wichtig, als sie sich für sie stark machten. Der Erhalt als Gottesdienstraum schien dabei eher als Nebenwirkung gesehen zu werden. Eine wunderbare Nebenwirkung: Das ewige Licht brennt bis heute.

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