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Rund 600 Millionen Euro zahlen die Länder jährlich an die Kirchen – die Staatsleistungen gehen auf historische Enteignungen zurück. Warum fließt immer noch Geld, obwohl das Grundgesetz ein Ende verlangt? Kirche+Leben fragt den Staatskirchenrechtler Ansgar Hense.
Herr Professor Hense, was sind eigentlich Staatsleistungen in Deutschland?
Staatsleistungen im Sinn des Artikels 140 Grundgesetz in Verbindung mit dem weiterhin geltenden Artikel 138 der Verfassung der Weimarer Republik sind historisch begründete, wiederkehrende Leistungsverpflichtungen an die Kirchen. Sie sind in der Regel im Zusammenhang mit dem Reichsdeputationshauptschluss von 1803 entstanden. Damals wurden den Kirchen Güter entzogen, um Landesfürsten für deren Gebietsverluste zu entschädigen. Im Gegenzug für diese Enteignungen verpflichteten sich die Fürsten, den Kirchen Unterhaltszahlungen zum Bestreiten ihrer Aufgaben zu leisten. Die Verpflichtungen gingen auf die heutigen Bundesländer über.
Warum wird nach mehr als 200 Jahren immer noch gezahlt?
Gemäß Verfassungsrechtslage sind die Zahlungen bis zur rechtlichen Ablösung weiter zu leisten. Der Staat hat eine Dauerleistung übernommen, die sich weder durch Zeitablauf noch durch Zahlung einer bestimmten Gesamtsumme im Lauf der Jahre einfach erledigt. Man muss sehen: Ohne die Enteignungen hätten die Kirchen bis heute Einnahmen aus den betreffenden Gebieten, zum Beispiel Pacht. Also werden die Verluste bis heute kompensiert – durch Staatsleistungen.
Im Grundgesetz steht der Auftrag, die Staatsleistungen abzulösen. Also einen Weg zu finden, die Zahlungen auslaufen zu lassen. Die Länder aber, die das Geld zahlen, wollen nicht. Warum?
Der Jurist Ansgar Hense leitet das Institut für Staatskirchenrecht der Diözesen Deutschlands in Bonn und lehrt an der dortigen Universität als außerplanmäßiger Professor der Rechts- und Staatswissenschaftlichen Fakultät.
Da die Staatsleistungen nicht einfach durch einen Federstrich des Gesetzgebers oder durch das Einstellen der Zahlungen in ein juristisches Nichts fallen können, müssen sie leistungsadäquat abgelöst werden. Die Bundesländer sehen sich gegenwärtig in ihrer finanziellen Situation – denken Sie an die Schuldenbremse und vieles mehr – nicht in der Lage, die Finanzmittel für eine adäquate Ablösung aufzubringen.
Es gibt den Verfassungsauftrag, die Staatsleistungen abzulösen. Können die Länder da einfach sagen: „Sorry, geht gerade nicht“?
Das ist durchaus ein Problem. Der praktische Grund, die Ablösung nicht anzugehen, ist aber wohl tatsächlich die Finanzknappheit der Länder. Es ist für sie einfacher, den jährlichen Posten der Staatsleistungen wie gewohnt im Haushalt mitlaufen zu lassen, als Geld für eine Ablösung aufzubringen, das in anderen Bereichen gekürzt werden müsste.
Warum ist die Ablösung so aufwändig?