Katholische Kirche auf Tiefpunkt des gesellschaftlichen Ansehens

Staatsrechtler Isensee: Bischöfe zerstören Vertrauen in Kirche

  • Der Bonner Staatsrechtler Josef Isensee kritisiert die Bischöfe für den Umgang mit sexuellem Missbrauch in der Kirche.
  • Die Bischöfe wälzten die persönliche Verantwortung auf die Institution Kirche ab.
  • Laut Isensee habe die Perspektive kirchlicher Macht die Opfer des Missbrauchs ignoriert.

Anzeige

Der Bonner Staatsrechtler Josef Isensee kritisiert, dass viele katholische Bischöfe „systemische Ursachen“ für die Vertuschung von sexuellem Missbrauch anführen. „Somit wälzen sie ihre persönliche Verantwortung für Umgang mit Missbrauchstätern auf die Institution Kirche ab“, sagte der Jurist im Interview der Katholischen Nachrichten-Agentur weiter. Dabei seien es die Bischöfe selbst, „die lange Zeit die Untaten ihres Personals vertuscht haben“, die das Vertrauen in die Kirche zerstört hätten.

Die katholische Kirche sei im Moment „auf dem Tiefpunkt ihres gesellschaftlichen Ansehens, weil sie ihrerseits zutiefst gegen das neue Naturrecht der Menschenrechte gesündigt“ habe, ergänzte Isensee. Sie habe „mit der Anwendung ihrer starren Moraltheologie und ihres unzulänglichen Kirchenrechtes“ versagt.

Kirchliche Macht hat Opfer ignoriert

Die Perspektive kirchlicher Macht habe die Opfer des Missbrauchs ignoriert. Außerdem habe die Kirche die Verurteilung des Missbrauchs Abhängiger, die sich gesellschaftlich durchgesetzt habe, mit „ungeheurer Verspätung“ erkannt, fügte der Staatsphilosoph hinzu. Daher müsse sich die Kirche den moralischen Vorwurf gefallen lassen, dass sie Opfer kirchlicher Macht schutzlos gestellt habe.

Der frühere Professor am Institut für Öffentliches Recht der Universität Bonn empfiehlt der katholischen Kirche, vom Rechtsstaat zu lernen, etwa vom Gebot des rechtlichen Gehörs. Wenn die Kirche die hierarchische Struktur wahren wolle, müsse sie viel stärker „darauf achten, wer Adressat der Botschaft ist, die sie vermitteln möchte. Sie muss hier für die Gemeinde empfänglich sein.“ Das bedeute aber nicht, der Gemeinde nach dem Mund zu reden, „denn sie muss auch im Widerspruch zur Welt leben“.

Kirche hat Aufgabe der Mittlerin

Mit Verweis auf Augustinus und Thomas von Aquin erklärte Isensee, auch in der Theologiegeschichte sei immer der Status der Adressaten beachtet worden. Gott sei „pädagogisch mit der Offenbarung umgegangen“ und habe den Menschen immer nur so viel zugemutet, „wie es ihrem Entwicklungszustand entsprochen“ habe. Die Kirche habe dabei die Aufgabe der Mittlerin und müsse ihrerseits „Pädagogik üben“.

Josef Isensee, einer der führenden deutschen Staatsrechtler und Staatskirchenrechtler, wird am 10. Juni 85 Jahre alt. Der 2002 emeritierte Bonner Professor für Öffentliches Recht ist zusammen mit dem früheren Verfassungsrichter Paul Kirchhof Herausgeber des „Handbuch des Staatsrechts“.

Anzeige