Anzeige
Was passiert, wenn wir die Bibel ernst nehmen? Pfarrer Stefan Jürgens weiß, dass die Schrift selbst uns vielfältige Antworten geben kann.
Kennen Sie die Bibel? Ganz sicher werden Sie zu Hause eine Bibel haben. Aber lesen Sie auch darin? Die Bibel ist der absolute Weltbestseller. Und doch kennen die meisten Menschen die Bibel, wenn überhaupt nur aus dem Gottesdienst.
In den vergangenen Tagen war die Gebetwoche für die Einheit der Christen, heute ist der ökumenische Bibelsonntag. Die evangelische Kirche galt lange als Kirche des Wortes, die katholische Kirche als Kirche der Sakramente. In der evangelischen Kirche wurde gelesen und gepredigt, in der katholischen Kirche wurde gefeiert und verehrt. So kam es unter Protestanten zu einer Abwehr gegen Zeichen, unter Katholiken zu einer Abwehr gegen die Bibel. Die einen erfuhren Jesus im Wort, die anderen hatten ihn auf dem Altar. Das Zweite Vatikanische Konzil hat versucht, die Bibelangst der Katholiken aufzubrechen. Der Tisch des Wortes Gottes sollte reicher gedeckt werden.
Wenn Menschen sich anrühren lassen
Die Bibel ist Gottes Wort in Menschenwort. Sie spricht nicht immer von guten Menschen, aber stets von einem guten Gott. Die biblischen Texte bedürfen der Interpretation, um in unser heutiges Leben sinnvoll hineinsprechen zu können. Deshalb sagt der jüdische Theologe Pinchas Lapide: „Man kann die Bibel entweder wörtlich nehmen oder ernst.“ Es gibt nur das eine oder das andere. Wer alles wörtlich nimmt, geht garantiert am Sinn vorbei.
In der Lesung aus dem Buch Nehemia erfahren wir, wie Menschen die Bibel ernst nehmen. Das Volk Israel ist gerade aus der babylonischen Gefangenschaft zurückgekehrt. Nun gilt es, das zerstörte Jerusalem wiederaufzubauen. Alle wissen: Wir müssen es anders machen als vorher, wir brauchen Gottes Hilfe. So wird eine Versammlung einberufen, und der Priester Esra verkündet das Gesetz Gottes. „Man las aus dem Buch in Abschnitten vor und gab dazu Erklärungen, sodass die Leute das Vorgelesene verstehen konnten.“ Das Buch, aus dem Esra vorliest, ist das fünfte Buch Mose, Deuteronomium. Und die Menschen lassen sich anrühren von der Botschaft. Sie weinen und freuen sich, sie stimmen zu und feiern ihren Gott.
Jesus nimmt die Bibel ernst
Die Lesungen vom 3. Sonntag im Jahreskreis / Lesejahr C zum Hören finden Sie hier.
Auch Jesus nimmt die Bibel ernst. Als er nach Nazareth kommt, bittet man ihn, aus der Schrift vorzulesen. Jesus liest beim Propheten Jesaja: „Der Geist des Herrn ruht auf mir; denn der Herr hat mich gesalbt. Er hat mich gesandt, damit ich den Armen eine frohe Botschaft bringe; damit ich den Gefangenen die Entlassung verkünde und den Blinden das Augenlicht; damit ich die Zerschlagenen in Freiheit setze und ein Gnadenjahr des Herrn ausrufe.“ Jesus nimmt diese Bibelstelle ernst und fühlt sich direkt angesprochen. Er bezieht das Wort auf sich und seine Sendung. Und er geht kreativ damit um. Denn eigentlich geht das Jesaja-Zitat weiter: „... einen Tag der Vergeltung unseres Gottes.“ Jesus bricht das Zitat mitten im Satz ab, denn er glaubt seinem liebevollen Vater und fürchtet sich vor keinem „Gott der Vergeltung“. Deshalb kann Jesus selbst- und sendungsbewusst anfügen: „Heute hat sich das Schriftwort, das ihr eben gehört habt, erfüllt.“
Auch der Evangelist Lukas nimmt die Bibel ernst. Im Vorwort seines Evangeliums beschreibt er sein Vorhaben: Er kennt Berichte über Jesus, ist allem von Grund auf nachgegangen und will es jetzt der Reihe nach aufschreiben. Nicht als Journalist, sondern als Christ. Auf diese Weise soll sich Theophilus, an den er schreibt, von der Wahrheit des Glaubens überzeugen. Lukas will die Zuverlässigkeit des Glaubens aufzeigen: Man kann diesem Jesus vertrauen!
Kirche als Organismus verstehen