Ein Gastkommentar von Andreas Odenthal, Liturgiewissenschaftler in Bonn

Stellvertretender Lobgesang - Zu Gottesdiensten in der Corona-Krise

Wie sinnvoll sind gemeindelose Gottesdienste in der Corona-Zeit? Darüber ist eine Diskussion entbrannt. Andreas Odenthal, Liturgiewissenschaftler in Bonn, lobt im Gastkommentar eine Alternative, die ohne Messe und Corona auskommt.

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Weil wegen der Corona-Krise öffentliche Gottesdienste nicht möglich sind, werden sie zurzeit allenthalben und aus zahlreichen Kirchen im Internet übertragen - meist mit kaum mehr als einem zelebrierenden Priester. Andreas Odenthal, Priester und Liturgiewissenschaftler an der Universität Bonn, hat jüngst eine andere, unaufgeregtere Weise des Gotteslobs entdeckt - auf "Kirche-und-Leben.de". In seinem Gastkommentar sagt er, warum sie so in diese Zeit passt, obwohl die Krise dankenswerter weise darin überhaupt nicht vorkommt.

In das vielstimmige Konzert medialer Gottesdienstübertragungen mischt sich seit einigen Tagen eine auf das erste Hören merkwürdige, dabei leise Stimme ein: Die Benediktinerabtei Gerleve lässt die Menschen über das Internet und auf "Kirche-und-Leben.de" jeden Tag um 17.30 an ihrer Vesper und um 20.15 Uhr an ihrer Komplet teilnehmen.

Begleitet wird dies durch den eigenen täglichen „Coronablog“ der Abtei, den Pater Elmar Salmann und Pater Marcel Albert abwechselnd bestreiten. Am 28. März machte Pater Marcel auf das medial übertragene Stundengebet aufmerksam: „Vor einer Kamera zu beten, ist nicht selbstverständlich. Wir sind keine Schauspieler und auch keine professionellen Sänger. Auch in den kommenden Wochen wollen wir uns bemühen, 'Herz und Stimme' so gut als möglich 'in Einklang' (Regel des hl. Benedikt 19, 7) zu bringen. Auch für alle, die uns dann an ihren Computern, Tablets oder Smartphones begleiten, wird es nicht einfach sein. Ihnen fehlt  der bei YouTube nicht vollwiedergebbare Klang der Stimmen, die hölzerne Bank, der typische Kirchengeruch, der weite Raum des Gotteshauses, der im Tabernakel anwesende Christus. Virtuell ist eben noch nicht real, und real ist noch nicht die volle Wirklichkeit Gottes.“

 

Keine platten Fürbitten zum Corona-Übel

 

Andreas OdenthalProfessor Dr. Andreas Odenthal ist Priester des Erzbistums Köln und lehrt Liturgiewissenschaft an der Universität Bonn. Eine seiner jüngsten
Veröffentlichungen: "Rituelle Erfahrung. Praktisch-theologische Konturen des christlichen Gottesdienstes" (Praktische Theologie heute 161, Verlag Kohlhammer). | Foto: privat

Dieser Kommentar zeigt, was die Abtei Gerleve in diesen Tagen für uns leistet, nämlich eine Unaufgeregtheit, die schlicht das tut, was immer getan wird und so auch jetzt zu tun bleibt: das Lob Gottes zu singen. In die vielen Sorgen dieser Tage wird eine Stimme eingetragen, die im besten Sinne welt-fremd ist: Die Vesper verzichtet auf Betroffenheitspredigten, zu platte Fürbitten um Beendigung aller Corona-Übel. Etwas der Welt Fremdes wird laut, das benediktinische Ritual der Vesper, gereinigt durch viele Jahrhunderte Übung.

Die Psalmen mit ihren vielfältigen und nicht harmonisierbaren, dabei hoch ambivalenten Glaubenserfahrungen werden laut. Oder doch nicht so ganz? Denn die Vesper ist auf Latein –  bemerkenswert, weil damit die „tätige Teilnahme“ der Gläubigen anders funktioniert. Die Menschen dürfen Anteil haben an etwas, was nicht Wort für Wort verstanden werden muss, weil gerade die lateinische Stimmung des Gregorianischen Chorals zu verstehen gibt, was die Mönche tun und warum sie dies tun: einem Anderen Raum und Stimme geben, dabei Ihn nicht verstehen müssen, Ambivalenzen offenlassen dürfen und nicht alles dem Verstehenswahn unterwerfen müssen, der in diesen Corona-Tagen doch eigentlich erst einmal an sein Ende gekommen ist.

 

Was die Mönche tun, "hat" keinen Sinn

 

Die Mönche sind keine Schauspieler, sie tun nichts eigens für die Kamera, sondern sie tun das, was sie immer tun, vor einer Kamera, aber so, als wäre die Kamera eigentlich gar nicht da. Sie tun dies, weil es „gelobten Dienstes heil’ge Pflicht“ ist, wie die deutsche Übersetzung eines alten Hymnus es nennt: Officium – eine Pflicht des Betens, die die Mönche deshalb übernommen haben, damit Gebet sei in der Welt. Die täglich über das Internet Zuhörenden und Zuschauenden wissen sich damit verbunden, weil hier die Mönche etwas tun, was keinen Sinn „hat“, sondern selbst zutiefst Sinn „ist“ – ohne eine Kosten-Nutzen-Rechung aufzumachen, die alles wieder zerstört. Und sie wissen, dass die Mönche sich hier einer Motivation verpflichtet haben, die zu den sehr alten religiösen Motivationen der Menschheit zählt: Sie beten stellvertretend.

 

Skurril: Choral im Computer

 

Auch wenn ich mir den Geruch der Gerlever Abteikirche aus alten Erinnerungen heraufholen muss, auch wenn ich – paradox genug und fast skurril – in Gregorianischem Choral gehaltenes Stundengebet über moderne Technik mitverfolge, ich bin froh, dass es Menschen gibt, die in diesen Tagen unaufgeregt weiter Gottesdienst halten – um seiner selbst willen als Lobpreis Gottes, und für eine ganze Welt, die diese Stimme der Ewigkeit Gottes im Konzert vieler anderer Stimmen notwendig braucht, damit uns immer wieder deutlich wird: „real ist noch nicht die volle Wirklichkeit Gottes“.

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