Caritas-Diskussion über Ausbeutung im Oldenburger Land

Streit um Fleischindustrie: Sind Kossens Vorwürfe zu pauschal?

Beim Thema Fleischindustrie haben Visbeks Bürgermeister Gerd Meyer (CDU) und Caritas-Jurist Josef Kleier dem Sozialpfarrer Peter Kossen widersprochen: „Es gebe nicht nur schwarz und weiß.“ 

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Leiharbeiter in der Fleischindustrie des Oldenburger Landes werden nach Ansicht von Peter Kossen nach wie vor schlecht behandelt. „Das System der Ausbeutung läuft und läuft und läuft“, kritisierte der Pfarrer aus Lengerich bei einer Caritas-Veranstaltung im Antoniushaus Vechta mit rund 100 Zuhörern. Bürgermeister Gerd Meyer aus Visbek hielt diese Vorwürfe für zu pauschal. Der CDU-Politiker rief Kossen auf, „Ross und Reiter zu nennen“. Auch Josef Kleier, als Jurist bei der Caritas in Vechta tätig, widersprach.

Zuvor hatte Kossen erklärt, auf Besserung zu hoffen, sei naiv. Betriebsräte und Gewerkschaften seien bei mobilen Beschäftigten nur bedingt vertretungsberechtigt, erklärte Kossen im Rahmen eines teils hitzig verlaufenen Abends.

 

Visbeker Bürgermeister Meyer: Pauschalisierung „Unrecht“.

 

Visbeks Bürgermeister Meyer lud Kossen zum Gespräch ein, „um gemeinsam zu agieren“. Gleichzeitig kritisierte Meyer in einem vorbereiteten Statement die Wortwahl des Pfarrers, der mit Pauschalierungen „Unrecht tue“. Der Landkreis Vechta sei „auf einem guten Weg“.

Sowohl Zustimmung als auch Kritik für Kossen äußerte der frühere erste Stadtrat Vechtas, Josef Kleier, heute als Jurist in der Beratungsstelle für Arbeitsmigranten des Caritas-Sozialwerks tätig. „Es hat sich etwas getan“, stellte Kleier fest. Auch gebe es nicht nur „schwarz oder weiß“.

 

Caritas-Jurist Kleier: Häufig keine Zeiterfassung bei Leiharbeitern

 

Aus 140 Beratungsfällen im vergangenen Jahr konnte Kleier allerdings bestätigen, dass es auf ein Jahr befristete Arbeitsverträge gebe mit einer sechsmonatigen Probezeit. Wenn „Stress“ für den Arbeitgeber etwa durch Krankheit des Arbeitnehmers auftauche, werde diesem noch innerhalb der Probezeit gekündigt. Bekannt seien ihm Fälle, in denen Mitarbeitende nach sechs Wochen eine Eigenkündigung unterzeichnet hätten, ohne zu wissen, was sie unterschreiben.

Der Jurist berichtete von einem Fall, in dem bei 1300 Euro Lohn eine Kaution und weitere Posten gegengerechnet wurden, so dass vom Gehalt nichts mehr übrig geblieben sei. Ein Problem sei, dass es häufig keine verlässliche Erfassung der tatsächlichen Arbeitszeit gebe.

Erschwerniszuschläge, die einem Arbeitnehmer beispielsweise bei einer Tätigkeit bei weniger als sechs Grad plus zustehen, hat Kleier noch in keiner Gehaltsabrechnung gesehen. Grundsätzlich kämen Personen immer erst nach Beendigung ihres Arbeitsverhältnisses in die Beratung. Während dessen traue sich niemand. Auch seien es nicht hochgebildete Ärzte oder Krankenschwestern, „sondern Leute, die ganz unten stehen“.  Gleichzeitig erlebe er auch Mitarbeitende etwa in Schlachtbetrieben, die mit ihrer Arbeit zufrieden seien.

 

Jurist Kleier erinnert Arbeitgeber an soziale Verantwortung

 

In zwölf Thesen forderte er unter anderem „Rechts- und Tariftreue“ als minimale Konsequenz aus der christlichen Tradition in Südoldenburg. Weiterhin verlangte er eine Arbeitszeitaufzeichnung ebenso wie die soziale Verantwortung der Arbeitgeber. Kleier: „Wer 1000 Leute einstellt, muss sich um die Leute kümmern.“ Wenn all dies nicht geschehe, „schaffen wir eine Parallelwelt mit gewaltigen Problemen in zehn bis 15 Jahren“. In den Landkreisen Vechta und Cloppenburg gebe es derzeit 15.000 Arbeitnehmer aus Ländern der EU-Osterweiterung.

Zuvor hatte Kossen in seinem Vortrag über massive körperliche Schäden berichtet. Sein Bruder Florian Kossen ist mit seiner Praxis in Goldenstedt als Allgemeinmediziner tätig. So litten in der Reinigung von Schlachthöfen tätige Männer aus Bulgarien oder Rumänien an Verätzungen teilweise am ganzen Körper. Ursache seien unzureichende oder defekte Schutzanzüge. Hinzu käme der hohe psychische Druck und die Forderung nach immer schnellerer Leistung.

 

Kossen: Wer mit Kriminellen Geschäfte macht, ist selbst kriminell

 

Hinzu kämen überteuerte Mieten. „Es ist ganz erbärmlich und verwerflich, wehrlose Rumänen und Bulgaren abzuzocken“, prangerte der leitende katholische Pfarrer aus Lengerich an. Und weiter: „Wer mit Kriminellen Geschäfte macht, ist selbst kriminell.“

Eine Ursache sieht der bundesweit bekannte Theologe in einer starken Zersplitterung der Kontrollbehörden. Kossen: „Die Verlagerung einer Leiharbeitsfirma ins Nachbar-Bundesland bedeutet oft schon das faktische Ende der strafrechtlichen Verfolgung.“

 

Kossen übt scharfe Kritik an Entscheidungsträgern

 

Scharf griff der Redner Entscheidungsträger an: „Will die Politik das nicht sehen? Oder ist sie machtlos? Und wenn ja warum?“ Wer dirigiere die Politik in den Kommunen und Landkreisen, in Vechta, Visbek, Großenkneten, Wildeshausen und Oldenburg wirklich, fragte er seine Zuhörer. „Und mit welcher Berechtigung?“

„Bürger aus Rumänien und Bulgarien sollen bei uns schwerste Drecksarbeit machen und Steuern zahlen, sollen darüber hinaus aber unsichtbar sein und keine Ansprüche stellen“, fasste der katholische Priester zusammen.

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