JUSTIZ

Synagogen-Anschlag in Oldenburg: Die Wahnvorstellungen des Angeklagten

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Wahnvorstellungen könnten einen Mann dazu gebracht haben, einen Anschlag auf die Oldenburger Synagoge zu verüben. Was er vor Gericht sagte.

 

Seit Mittwoch muss sich ein 28-Jähriger vor dem Landgericht Oldenburg für einen Brandanschlag auf die jüdische Synagoge in Oldenburg verantworten. Aufgrund eines vorläufigen Gutachtens geht das Gericht davon aus, dass der Beschuldigte Tim R. zum Tatzeitpunkt nicht schuldfähig war, weil er unter einer akuten psychotischen Störung litt.

Die Staatsanwaltschaft beantragte zum Auftakt des Verfahrens Sicherheitsverwahrung in einem psychiatrischen Krankenhaus, weil von dem Mann eine Gefahr für Menschen ausgehen könne. Mit einem Urteil ist dem Vorsitzenden Richter Frederik Franz zufolge bereits am Montag zu rechnen.

Der Anschlag

Am 5. April 2024 war ein Brandsatz gegen die massive Tür des jüdischen Gebetshauses in der Leo-Trepp-Straße geworfen worden. Das Feuer konnte von einem aufmerksamen Hausmeisterteam eines benachbarten Kulturzentrums schnell gelöscht werden und richtete nur leichten Schaden an. Verletzt wurde niemand.

Der Anschlag hatte bundesweit Aufsehen erregt. Erst nach einem Fahndungsaufruf in der Fernsehsendung "Aktenzeichen XY... ungelöst" konnte der mutmaßliche Täter im Januar in Vechta festgenommen werden.

Angeklagter: Stimmen im Kopf

Tim R. räumte die Tat in der Vernehmung durch Richter Franz ein. Stimmen in seinem Kopf hätten ihn aufgefordert, die Juden vor schwerem Leid nach ihrem Tod zu warnen, wenn sie sich nicht zu Jesus Christus bekehrten. Darum habe er ein “Brandmal” als Zeichen setzen müssen, versuchte R. zu erläutern.

Zwar habe er nur vage Erinnerungen an die Tat, doch habe er niemanden verletzen wollen. Nachdem er den Molotow-Cocktail geworfen habe, habe der Druck in seinem Kopf nachgelassen und er sei nach Hause gefahren. Bis zu seiner Verhaftung habe er nicht einmal geahnt, dass die Polizei nach ihm fahnde. Den Anschlag habe er völlig verdrängt.

Warum eine Moschee kein mögliches Ziel war

R. schilderte, er sei mit dem Zug nach Oldenburg gefahren, weil er dort eine Synagoge vermutete - sicher sei er sich nicht gewesen. Schilder ab dem Hauptbahnhof hätten ihn zur Synagoge geleitet. Die Frage des Richters, ob auch eine Moschee als Ziel infrage gekommen wäre, verneinte der Mann. Jesus werde schließlich im Islam als Prophet verehrt.

Zur Zeit der Tat lebte R. laut den Ermittlern mittellos in einer Asylunterkunft bei Vechta. Mitbewohner hatten Sozialarbeiter auf sein auffälliges Verhalten aufmerksam gemacht.

Vorübergehend in der Psychiatrie

Immer wieder habe er nachts laute Selbstgespräche geführt. Angebotene Hilfe habe er stets abgelehnt. Es sei sogar versucht worden, ein Betreuungsverfahren einzuleiten. Schließlich sei er wegen seiner Cannabis-Abhängigkeit 2023 vorübergehend in eine geschlossenen Psychiatrie eingewiesen worden.

Die als Zeugin geladene erste Vorsitzende der jüdischen Gemeinde, Claire Schaub-Moore, berichtete dem Gericht, wie die Hausmeister des Kulturzentrums nach der Tat am Gemeindehaus neben der Synagoge "Sturm klingelten" und sie über den Anschlag informierten.

Große Solidarität nach Anschlag

Noch am Abend habe im Schabbat-Gottesdienst eine "virulente Angst" geherrscht. Umso bewegender sei es gewesen, dass sich während des Gottesdienstes mehr als 100 Menschen vor dem Gebetshaus zu einer Mahnwache versammelt hatten, um Solidarität zu zeigen.

Tim R. bat Schaub-Moore nach ihrer Aussage um Entschuldigung für seine Tat. Er habe sich in einen psychotischen, religiösen Wahn "reingesponnen", sagte er mit stockenden Worten und fügte hinzu: "Es wird nicht wieder vorkommen." Darauf antwortete die Vorsitzende: “Das hoffe ich.”

 

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