Gottesdienst und Pilgerfest am Samstag

Tamilen-Wallfahrt in Kevelaer: Weihrauch trifft Räucherstäbchen

Was sind das für merkwürdige Klänge! Seltsame Gerüche. Farben. "Gleich fängt doch die Messe an mit den Indern", sagt eine Frau. Ganz recht hat sie nicht - es sind Tamilen, die nach Kevelaer pilgern. Sie stammen aus Sri Lanka.

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Was sind das für merkwürdige Klänge! Seltsame Gerüche. Farben. "Gleich fängt doch die Messe an mit den Indern", sagt eine Frau, die offenbar aus dem nahen Ruhrgebiet angereist ist, zu ihrer Freundin. Sie irrt gleich doppelt: Es sind Tamilen aus Sri Lanka, keine Inder. Und die Messe in Kevelaer beginnt um elf Uhr, nicht um zehn Uhr. Die Frau nimmt die Belehrung gelassen und schaut auf ihre Kamera: "Dann kann ich ja noch Batterien kaufen."

Kirche in Sri Lanka
Etwa sechs Prozent der 20 Millionen Srilanker gehören der katholischen Kirche an. Diese 1,2 Millionen Katholiken leben im Erzbistum Colombo und elf weiteren Bistümern des Inselstaates. Davon gehören je etwa die Hälfte zur singhalesischen Bevölkerungsmehrheit und zur tamilischen Minderheit. Während ihr Anteil unter den 15 Millionen Singhalesen nur vier Prozent beträgt, sind es bei den knapp vier Millionen Tamilen mehr als 15 Prozent.
Die katholische Kirche gehört zu den wenigen Institutionen, die in beiden Bevölkerungsgruppen verankert sind und zur Versöhnung nach dem blutigen Bürgerkrieg (1982-2009) beitragen können. Sichtbares Zeichen dafür ist die Wallfahrt nach Madhu zu einer 400 Jahre alten Marienstatue. Mehrere 100.000 Menschen nehmen daran im August teil: neben Katholiken und andere Christen auch Buddhisten und Hindus.
Erste christliche Missionare waren bereits im fünften Jahrhundert aus Persien auf die Insel gekommen. Doch erst mit der Ankunft der Portugiesen im 16. Jahrhundert begann eine systematische Mission. Unter der niederländischen Kolonialherrschaft ab Mitte des 17. Jahrhunderts kehrten sich die Vorzeichen um: Die katholische Religion wurde verboten, protestan-tische Prediger gefördert.
Die Briten stellten ab 1796 die Religionsfreiheit wieder her und ermöglichten Ordensleuten aus mehreren europäischen Ländern den Zugang zum damaligen Ceylon. Die erste katholische Diözese wurde 1834 gegründet. – Die Christen leiden bis heute unter dem Image, eine von Kolonialherren importierte Religion zu vertreten.

Das Pilgerfest der Tamilen, das auch mehr und mehr Schaulustige aus der Region anzieht, ist geprägt von leuchtenden Farben. Frauen und Mädchen in ihren traditionellen Saris kaufen und verkaufen auf einem Markt Waren aus ihrer Heimat. In Garküchen werden typische Gerichte aus Sri Lanka angeboten. Rund 10.000 Tamilen aus ganz Westeuropa sind in Kevelaer zur Wallfahrt versammelt.

Die Angehörigen der Minderheit aus Sri Lanka, dem früheren Ceylon, flüchteten während des Bürgerkriegs (1982-2009) nach Deutschland, Benelux, Frankreich, England, Italien und Skandinavien und beten in dem Marienort für Versöhnung in ihrer Heimat.

Die Kerzen auf dem Kapellenplatz finden ihre Abnehmer – je größer, desto besser. Umgedrehte Mineralwasserkisten dienen als zusätzliche Behelfsständer.

 

Hindus beim Gnadenbild

 

Das Anzünden einer Kerze hat für die Tamilen eine besondere religiöse Bedeutung. Generationenübergreifend, in Familien, teils Großfamilien reihen sie sich in die Dutzende Meter lange Schlange zur Gnadenkapelle. Tamilische Christen wie auch Hindus kommen nach Kevelaer. Die Hindus gehen nicht zur Messe, aber zum Gnadenbild. Maria ist beliebt.

"Hindu oder Christ, das ist hier nicht wichtig", sagt Camillus Thuraisingham, Pfarrhelfer aus Oberhausen. "Zwischen uns gibt es keine Spannungen. Wir sind ein Volk."

Die Wallfahrt der Tamilen nach Kevelaer findet seit 1988 statt. Keiner von den 50 Teilnehmern der bescheidenen Erstausgabe hätte wohl damals davon zu träumen gewagt, was sich daraus entwickeln würde, berichtet Thuraisingham, Pilger der ersten Stunde. "Als Flüchtlinge durften wir die Orte, an denen wir gemeldet waren, ja nur mit ausdrücklicher Genehmigung der Behörden verlassen." Keine Sprachkenntnisse, kein Führerschein. Doch die Idee setzte sich durch. Kevelaer ist für die Tamilen ein Höhepunkt im Kirchenjahr geworden.

Das Geheimnis des Erfolgs? Im Zentrum des Marienorts ist die "consolatrix afflictorum", die Trösterin der Betrübten. Sie dient den einstigen Bürgerkriegsflüchtlingen als Ersatz für die Pilgerfahrt nach Madhu im Norden Sri Lankas, die jeden August zu Mariä Himmelfahrt die Menschen anzieht.

Vieles erinnert in Kevelaer an ein Familientreffen: Man umarmt sich, lässt sich gern fotografieren, redet und stockt auf dem Markt tamilische Produkte auf. Und für manchen in der jungen Generation ist das Großtreffen womöglich auch eine willkommene Gelegenheit, um jenseits der 40 regionalen tamilischen Gemeinden in Deutschland Gleichaltrige kennen zu lernen.

Gegen elf Uhr verdichtet sich das Geschehen am Forum Pax Christi, dem größten Versammlungsort des Wallfahrtsbezirks. Die prächtig gekleideten tamilischen Kommunionkinder des Jahres warten auf ihren Einzug. Mit ihren Kerzen, einem Banner und Flaggen, die besagen: Wir sind unterwegs zum Frieden.

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