THEMENWOCHE: BUNDESTAGSWAHL (1)

Wahlkampfthema „Demokratie in Gefahr“: Parteiencheck und Bewertung

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Kirche+Leben beleuchtet die wichtigsten Wahlkampfthemen. Die Gefährdung der Demokratie analysiert der Politik-Experte und Katholik Andreas Püttmann.

Herr Püttmann, wie bewerten Sie die Positionen der Parteien?

Die Wahlprogramme überraschen wenig, sie liegen auf der Linie der Grundsatzprogramme und der Europa-Wahlprogramme 2024. Es wird viel versprochen – besonders durch die Populisten – und wenig über die Finanzierung gesagt. Übrigens auch von der Union. Man sollte sich schon deshalb besser nicht nach Wahl-O-Maten richten. Sie stellen nur ein Sammelsurium sachpolitischer Einzelthemen („policy“) dar, über die später in Koalitionskompromissen oft anders entschieden wird. Wichtiger angesichts des internationalen Kampfes von Autokratien gegen die liberale Demokratie ist die Systemfrage („polity“). Drittens ist die Qualität des Personals im Ringen um Macht („politics“) zu beachten.

AfD und BSW bedienen objektiv Wladimir Putins Interessen und begreifen nicht, dass die Freiheit der Ukrainer mit unserer verknüpft ist. Die AfD ist nach Analysen der Verfassungsschutzämter zusätzlich rechtsextrem durchsetzt. Unwählbar. Die Linke folgt gescheiterten Sozialismus-Ideen. Die FDP hat sich durch die verlogene Inszenierung des Koalitionsbruchs diskreditiert, versteht Freiheit in der Bioethik als „anything goes“ und betreibt Klientelpolitik für Großverdiener.

Der SPD, die 23 der letzten 30 Jahre regierte, trübt Entspannungs-Nostalgie gegenüber Russland den Blick. Die Grünen haben die Bevölkerung beim Tempo der Energiewende überfordert, wirken aber im Spitzenpersonal reflektierter, kreativer und fairer sowie beim Demokratieschutz nach innen und außen am entschiedensten. Ukraine-Freunde sind dort am besten aufgehoben. Friedrich Merz und Markus Söder haben, abgesehen von charakterlichen Fragen - auch an ihre Teams -, die Christdemokratie nach rechts verschoben. Das „C“ ist verblasst. Man gefällt sich stattdessen als „bürgerlich“, benimmt sich aber oft nicht so. Die Abstimmung zusammen mit der AfD im Bundestag war ein eklatanter Wort- und Tabubruch.

Was sind für Sie die zentralen Herausforderungen?

Themenwoche „Bundestagswahl“
Umfragen zeigen deutlich, welche Themen die Deutschen als besonders wichtig für die Bundestagswahl am 23. Februar 2025 definieren. Kirche+Leben befragt zu diesen und einigen speziell katholischen Themen kirchliche Fachverbände nach ihrer Analyse und Bewertung der verschiedenen Partei-Positionen. Sie benennen zudem, wie eine künftige Bundesregierung sich zu diesen Herausforderungen verhalten sollte.

1. Die europäische Freiheit muss gegen Putins Imperialismus verteidigt werden durch Aufrüstung und mehr Unterstützung der Ukraine. 2. Einsatz für eine demokratische, mit Europa solidarische USA gegen Donald Trumps Nationalismus und Autokratie-Tendenz. 3. Ertüchtigung und Transformation unserer schwächelnden Wirtschaft. 4. Mehr Ordnung in der Migration, aber auch Akzeptanz für nötige Zuwanderung in den Arbeitsmarkt angesichts der Demografie-Krise. 5. Bekämpfung des grassierenden Extremismus im Innern, vor allem seiner Brutstätten im Netz und in Socialmedia, auch durch mehr politische Bildung. 6. Beharrlichkeit im Klimaschutz gegen die fatalen Folgen der Erderwärmung. 7. Eine Wohnungsmarktpolitik, die endlich die Mieten stabilisiert. 8. Die Dämpfung der Kostenexplosion im Gesundheitswesen.

Wie sollte sich die neue Regierung dazu verhalten?

Die absehbare Zweier- oder Dreierkoalition unter Führung der Union kann die Probleme nur meistern mit einem solideren Koalitionsvertrag und weniger öffentlichem Streit als die Ampel-Regierung. Sie muss die EU in wieder engerer Kooperation mit Paris, Warschau und Madrid zusammenhalten und die Verfassung gemeinsam mit der demokratischen Opposition robust gegen ihre Feinde machen im Sinne der „wehrhaften Demokratie“. Demagogische Aufwiegler sind als konzeptlos, unpatriotisch und Gefahr für Freiheit und Wohlstand bloßzustellen. Maßnahmen sollten besser und früher erklärt und auf zugrunde liegende Wertentscheidungen hin transparent gemacht werden; nur so kann man Akzeptanz für nötige Opfer und Einschränkungen gewinnen. 

Die für den gesellschaftlichen Zusammenhalt arbeitenden Institutionen, Religionsgemeinschaften, Verbände und Initiativen müssen gestärkt werden, auch weil sie ja den Staat vielfältig entlasten. Wahrscheinlich muss zur Bewältigung der kurz- und mittelfristigen Aufgaben, insbesondere zur Verhinderung von Russlands Sieg, die Schuldenbremse vorübergehend gelockert und der reichste Teil der Oberschicht steuerlich stärker belastet werden. Wenn wir das Steuer in den nächsten Jahren nicht herumreißen, droht nicht weniger als das Ende des demokratischen Zeitalters liberaler und sozialer Rechtsstaaten.

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