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Das Museum Abtei Liesborn beherbergt die größte Kreuzsammlung in Europa. Ein bewegender Besuch mit drei ausgewählten, zeitgenössischen Werken.
Wer in der Fastenzeit zu sich kommen will und Gott und Glaube dabeihaben möchte, der braucht dafür freie Zeit und einen geeigneten Raum. Wem eine Exerzitienwoche im Kloster zu lang und aufwendig erscheint, Buß- und Kreuzwegandachten zu traditionell – dem bietet sich womöglich im Museum eine treffliche Gelegenheit.
Das Museum Abtei Liesborn in Wadersloh im Kreis Warendorf kann ein solcher Ort sein. Errichtet auf 1.200 Jahren Klostergeschichte, ist es vor allem für sein Evangeliar von ähnlich stolzem Alter berühmt. Oben unterm Dach wird überdies eine gewaltige Schau von mehr als 1.200 Kreuzen, Kruzifixen und anderen Passionsdarstellungen gepflegt – was europaweit nicht weniger als einzigartig ist.
So viele Kreuze in einem Raum
Ein wenig rustikal heimelig wirkt der niedrige, von Holzbalken getragene, etwas schlauchige Ausstellungsraum. Und die Fülle der Objekte setzt das Kreuz, so inflationär präsentiert, der Gefahr seiner Banalisierung aus.
Gleich zu Beginn begegnet wohl nicht ohne Grund die Installation der Künstlerin Saridi aus mehr als einem Dutzend, an feinen Fäden schwebenden Gekreuzigten – losgelöst von den Kreuzen, an denen sie ursprünglich festgemacht waren. „Die Erwartungen an Jesus sind groß“, schreibt die Künstlerin dazu. „Jeder erwartet, will etwas von ihm. Was erwarte, will ich von der Person Jesu?“ Bezeichnenderweise nennt sie ihr Werk „Umarmung“.
Kreuze aus düsteren Zeiten
Themenwoche: Kreuzwege – immer noch aktuell?
Seit Jahrhunderten erinnern Kreuzwegdarstellungen an den Weg, den Jesus vor seiner Hinrichtung gegangen ist. Neben die klassischen 14 Stationen, die sich in vielen Kirchen finden, sind andere Herangehensweisen getreten: Kreuzwege in freier Natur, Wege, die sich als Wanderung oder auf dem Fahrrad zurücklegen lassen. Wege an besonderen Orten und mit regionalen Bezügen oder technisch innovative Darstellungen. Kirche+Leben stellt einige Annährungen an das Kreuz vor.
Bei der Fülle der ausgestellten Stücke vom Miniatur-Prozessionskreuz aus dem spätantiken Byzanz über barocke Elfenbeinkruzifixe aus den Niederlanden bis zu westfälischen Wege- und Feldkreuzen des 19. Jahrhunderts lohnt die Konzentration auf das, was danach kommt. Dies wäre das Exerzitium: Sich dem aussetzen, wie Künstler des 20. Jahrhunderts mit dem christlichen Heilszeichen umgehen, wie es sie berührt, provoziert, anregt…
„Golgatha“ heißt etwa eine düstere Tusche-Arbeit von Wilhelm Morgner, 1891 in Soest geboren und mit nur 26 Jahren in Westflandern gefallen. Immer wieder hat sich dieser junge Künstler, einer der bedeutendsten westfälischen Expressionisten, mit dem Tod Jesu beschäftigt – in der dunklen Zeit des Ersten Weltkriegs.
Aufreibend und verstörend zugleich
In der von Schwarz dominierten, wild auseinanderstiebenden Szenerie erscheinen nur zwei helle Personen – der Gekreuzigte am linken Rand und im Bildzentrum der blanke Rücken eines anderen. In all dem Todesgetose zwei Menschen, verbunden in Nacktheit, Schmerz, Ausgesetzt-Sein.
Aufreibend die verstörend bunte Keramik von Doris Pollatschek (1929-2022): „Tryptichon für Auschwitz“. Wie ein Flügelaltar verbindet es die Kreuzigung Jesu in der Mitte mit Geißelung und Grablegung. Doch trägt der Gekreuzigte den gelben Judenstern der Nazis, schlagen rechts Schergen in braunen Uniformen einen Mann, der eine Tora-Rolle an der Brust birgt, schieben links Häftlinge in gestreifter KZ-Kleidung einen Toten in einen lodernden Ofen. Unterm Kreuz im Zentrum stehen ein Prälat, ein Bischof, ein Ordensmann – und trinken Tee.
Auch berühmte Künstler in Liesborn zu sehen
Museum Abtei Liesborn
Öffnungszeiten: Dienstag bis Sonntag 10 bis 18 Uhr, Eintritt frei. Internet: www.museum-abtei-liesborn.de
Das Werk der jüdischen Künstlerin von 1993, ein Vorwurf kirchlichen Nichtstuns angesichts des Holocaust, stieß auf heftige Kritik aus der katholischen Kirche. Pollatschek sagt: Jesus wurde nicht gekreuzigt, weil er König der Juden, sondern weil er Jude war. Eine anstößige Darstellung – was stößt sie in mir an? Auch in meinen Glaubensgewissheiten?
Ein letzter Blick soll nicht den berühmten Künstlern wie Marc Chagall, Salvador Dalí, Francis Bacon und Joseph Beuys gelten, die mit beeindruckenden Werken in Liesborn vertreten sind. Den Abschluss dieser Kurz-Exerzitien mag „Kreuzigung“ von Albert Stuwe aus Ennigerloh (1921-1998) bilden: ein buntes, von Symbolen durchwobenes Öl-Werk.
Was davon berührt mich?
Am linken Rand der Gekreuzigte, einem Baum entwachsend. Darüber kein „INRI“, sondern ein Spruchband: „Es wird immer umsonst sein.“ Das kann sowohl die Vergeblichkeit des Erlösungstods Jesu feststellen als auch mit derselben Intensität Ausdruck tiefen Glaubens daran sein, dass Erlösung immer gratis ist, ohne Vorbedingung, ohne Gegenleistung – weil alle Schuld ein für alle Mal getilgt ist. Was davon berührt mich? Was berührt es in mir?
So kann dieser Exerzitiengang durch die Kreuzsammlung des Museums Abtei Liesborn in die letzten Tage dieser Fastenzeit entlassen, in die Karwoche – auf Ostern zu, auf das Leben.