Themenwoche „Wie stehen Sie für Ihren Glauben ein?“ (6)

Hiltruper Ordensfrau: Glaube braucht Freiheit - so geht Mission heute

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Viele Kulturen kennengelernt und in mehreren Ländern als Missionarin gewirkt hat Mechthild Schnieder von der Ordensgemeinschaft der Missionsschwestern vom Heiligsten Herzen Jesu, kurz Hiltruper Missionsschwestern, genannt. Wie heute Mission und Evangelisierung verstanden wird, erklärt die Provinzoberin und frühere Generaloberin im Gespräch mit Kirche+Leben.

Schwester Mechthild, die katholische Kirche begeht traditionell im Oktober ihren Monat der Weltmission. Was ist darunter zu verstehen?

Die Kirche verweist uns durch den Monat der Weltmission, in dem auch der Weltmissionssonntag gefeiert wird, auf unterschiedliche Realitäten: Ihrem Selbstverständnis entsprechend ist die Kirche missionarisch; das heißt gesandt, die grenzenlose Liebe Gottes durch ihre Verkündigung und ihr Handeln bekannt und erfahrbar zu machen. Mission ist ihr Identitätsmerkmal. So sollen Christen weltweit sich erneut ihres Missionsauftrags bewusstwerden und infolgedessen angesichts der Realitäten der Welt handeln. Jede Lokalkirche, auch die kleinste Gemeinde, egal auf welchem Kontinent, hat die Sendung, bei allem konkreten Handeln vor Ort die weltweite Dimension nicht zu vergessen oder zu unterschätzen. Durch die Veranstaltungen im Monat der Weltmission werden wir auf häufig unzureichend wahrgenommene Realitäten verwiesen; in diesem Jahr geht es um die Auswirkungen des Klimawandels auf die Völker der Pazifikregion, die selbst eher nicht zum Klimawandel beitragen.

Warum fällt es vielen Menschen nicht leicht, von „Missionierung“ oder „Mission“ zu sprechen?

Themenwoche „Wie stehen Sie für Ihren Glauben ein?“
Am Sonntag der Weltmission am 27. Oktober geht es um Mission, um Missionieren, natürlich. Ein für viele schwieriger Begriff, weil er ihnen viel nach Zwang und wenig nach Freiheit klingt. Doch wie leben Christinnen und Christen dann den Auftrag Jesu, seine Botschaft allen Menschen zu verkünden? Sechs Frauen und Männer erzählen.

Es liegt wohl daran, dass Missionierung Akzente hat von Unterwerfung, Bevormundung und Gewalt. Die christliche Missionierung der südlichen Länder fand oft im Kontext von Kolonialisierung statt. Da ist die Eroberung Lateinamerikas durch Spanien, deren Folgen im kirchlichen Kontext bis heute spürbar sind, obgleich durch Vertreterinnen und Vertretern der Befreiungstheologie während der vergangenen 50 Jahre deutlich andere Akzente gesetzt wurden. Auch in der deutschen Kolonialzeit gingen politische Kontrolle und die Ausbeutung der Naturressourcen der „Kolonien“ in einigen Ländern Afrikas und im Pazifik Hand in Hand mit der Vermittlung des Christentums durch Missionare verschiedener Kirchen. Die Lehre, dass außerhalb der Kirche kein Heil zu erlangen sei, bewirkte sicherlich den Eifer oder Über-Eifer der Missionare und die Gründung so vieler missionarischer Ordensgemeinschaften. Die Menschen wurden nicht eingeladen, Jesus und seine Bedeutung für sie kennenzulernen. Vielmehr wurde die Lehre der katholischen Kirche als die einzig wahre dargestellt. Folglich hatten die Menschen in der Regel nicht die Möglichkeit, eine freie Entscheidung zu treffen, was aus heutiger Sicht jeglichen Grundsätzen missionarischen Engagements widerspricht.

Seit einigen Jahren spricht die Kirche von der Notwendigkeit der Evangelisierung. Wie bewerten Sie diesen Begriff der Evangelisierung und wie deuten Sie ihn?

Ich glaube, dass der Begriff der Evangelisierung uns helfen kann, uns eher auf das Evangelium als die Frohe Botschaft zu konzentrieren. Glaube setzt Freiheit voraus. Deshalb kann Evangelisierung nur als Einladung oder als Angebot verstanden werden zu einem Dialog auf Augenhöhe, in dem unterschiedliche Fragen und Erfahrungen wertschätzend angesprochen werden. Die freie Annahme der Botschaft Jesu führt zur Nachfolge, das heißt zu einer Ausrichtung des persönlichen Lebens nach Jesu Worten und Taten. Sie führt auch in die Gemeinde, in der es gemeinsame Werte und Ausrichtungen gibt. Diese Gemeinden sind die Basis der weltweiten Kirche, die durch den Glauben geeint und so Mittlerin der Einheit zwischen Menschen verschiedener Kulturen und Herkünfte ist. Doch die formelle Zugehörigkeit zur Kirche hat nicht Priorität über der persönlichen Entscheidung, Jesus Christus als die zentrale Person im eigenen Leben anzunehmen.

Wie hat sich das Selbstverständnis ihrer Ordensgemeinschaft hinsichtlich der Mission verändert?

Unsere Ordensgemeinschaft wurde 1900, also mitten im deutschen Kolonialzeitalter, in Hiltrup gegründet – für die Mission in Teilen des heutigen Papua-Neuguinea, das deutsche Kolonie war. Hunderte von jungen deutschen, später auch amerikanischen und australischen Missionarinnen reisten seitdem in die Länder, in denen wir bis heute tätig sind. In einem bedeutsamen Generalkapitel im Jahr 1954 entschied sich unsere Gemeinschaft dafür, junge Frauen aus Papua-Neuguinea, dem heutigen Namibia (damals Süd-West-Afrika) und aus Peru als Mitglieder in die Gemeinschaft aufzunehmen. Es ist seitdem selbstverständlich, Frauen aus allen Kulturen aufzunehmen, die sich unserer Gemeinschaft anschließen wollen.

Wie stellt sich Ihre Ordensgemeinschaft aktuell dar?

Aktuell kommen mehr als zwei Drittel aller Mitschwestern aus Afrika, Asien und Lateinamerika. Das bedeutet eine Umkehrung des Prinzips, dass Missionare vom Norden kommen und in den Süden der Welt gesandt werden. Viele unserer Schwestern sind Missionarinnen in ihren eigenen Ländern, doch wird uns immer deutlicher, wie sehr wir aus den unterschiedlichen Ländern berufen und gerufen sind, in anderen Kulturen und dort vor allem bei Menschen, die Benachteiligung erfahren, präsent zu sein. In Deutschland leben wir zusammen mit Mitschwestern aus Indien, Papua-Neuguinea, Korea und Vietnam sowie mit einer jungen Frau aus Lateinamerika, die hier für ein Jahr ihren Freiwilligendienst leistet.

Wie kann die Kirche einen Dialog der Kulturen führen, ohne ihren Wahrheitsanspruch aufzugeben?

Trotz vieler kritischer Fragen bezüglich der aktuellen Weltsynode in Rom beeindruckt mich, dass das Schweigen und das Hinhören einen so hohen Stellenwert in dem Prozess erhalten haben. Als Teilnehmer der Synode findet unser Bischof Felix Genn die Methode „Gespräch im Heiligen Geist“ so wichtig, dass er sie unter anderem in einem Vortrag beim Ordenstag dieses Jahres vorstellte als einen Weg, mit großen Unterschiedlichkeiten konstruktiv umzugehen. Ich glaube, es gibt keine „objektiven Wahrheiten“ im Bereich von Glaube und Gottesbeziehung. Deshalb ist es so wichtig, dass der „persönlichen Wahrheit“ jedes Menschen Raum gegeben wird – im Zuhören.

Welchen Stellenwert hat die persönliche Gottesbeziehung für den Dialog?

Das gesprochene Wort in einem geistlichen Gespräch ist inspiriert durch das Gottesbild der und des Einzelnen. Die Gottesbilder entstanden in einem bestimmten kulturellen Kontext und aufgrund persönlicher Lebenserfahrungen. Aber sie sind einem stetigen Wandel unterworfen – sowohl die Gottesbilder der Gemeinden und der Kirche wie auch die des Individuums. Somit erleben wir im Austausch unserer „persönlichen Wahrheiten“ wohl immer nur eine Annäherung an die umfassendere Wahrheit, die ja jeweils größer ist als menschliches Erkennen. Die bedeutenden Veränderungen dessen, was zum Beispiel vor dem Konzil als Wahrheit definiert war, machen das sehr deutlich. Es ist mühsam, sich in diese Prozesse hineinzubegeben, und sie erfordern sehr viel Geduld. Aber gerade durch solches Suchen zusammen mit Menschen unterschiedlicher Kulturen habe ich eine große Befreiung erlebt; eine Befreiung über meine persönlichen Grenzen, aber auch die unserer deutschen Mentalität in Kirche und Gesellschaft hinaus.

Wie leben die Hiltruper Missionsschwestern den interkulturellen Austausch?

Wie gesagt, Schwestern anderer Kulturen leben auch bei uns in Deutschland entweder zur Ausbildung beziehungsweise Studium oder zur konkreten Arbeit in der Krankenpflege. Sie leben in unseren Kommunitäten und treffen im Alltag häufig Menschen mit Migrationshintergrund, was einerseits eine Herausforderung zum Dialog ist, aber auch Unterstützung des Inkulturationsprozesses. Unsere Gemeinschaft hat seit Mitte der 1990er Jahre eine internationale Kommunität in Manila/Philippinen, in der regelmäßig Schwestern verschiedener Kulturen leben, wenn sie dort studieren. Diese „Exposure“ fordert die Auseinandersetzung mit den eigenen sowie den fremden kulturellen Aspekten. Dies beginnt mit Sprache, Ess- und Wohnstil, Kommunikationsstil etc. bis hin zu Glaubensfragen und dem Selbstverständnis als Mitglied unserer Gemeinschaft. Seit vielen Jahren führen wir auf unterschiedlichen Ebenen Workshops durch zum Thema „Interkulturelles Leben und Mission“.

Welche positiven Erfahrungen schätzen Sie in Ihrer internationalen Gemeinschaft besonders?

In jüngeren Jahren hatte ich das Privileg, für acht Jahre in Peru zu leben und danach als Mitglied des zentralen Leitungsteams die Mitschwestern in 18 verschiedenen Ländern zu besuchen und die Realitäten ihres missionarischen Wirkens kennenzulernen. Dabei habe ich gelernt, dass es viele Lebensweisen gibt, dass jede Kultur ihre spezifischen Werte hat und so menschliche Wahrheiten unterschiedlich interpretiert werden. Für ein gutes Miteinander sind vor allem Toleranz und Respekt eine Grundbedingung.

Wie empfinden Sie diesen Respekt vor anderen Kulturen?

Das Hinhören auf die Geschichte von zentral- und südamerikanischen Ländern, von Namibia und Angola, Korea, Indien, Kiribati, Vietnam, Rumänien und anderen Ländern erfüllt mich mit großem Respekt vor dem, was Menschen dort bewirkt und erlitten haben. Etwas vom Geist der verschiedenen Kulturen ist in unserer Gemeinschaft präsent durch die Schwestern jener Länder. Dadurch lernen wir im Zusammenleben, nationale und kulturelle Grenzen auszuweiten oder gar zu überschreiten, wodurch mehr Verständnis füreinander und größere Solidarität wachsen. Dies ist eine große Bereicherung meines Lebens. Und mich faszinieren die unterschiedlichen Arten, Feste zu feiern, Musik zu machen, Essen zuzubereiten und – last not least – gemeinsam die Spuren Gottes in unserer Welt zu suchen und dadurch Geschwisterlichkeit zu erleben. 

Die Hiltruper Missionsschwestern
In Hiltrup, einem Stadtteil von Münster, gründete der Herz-Jesu-Missionar Pater Hubert Linckens 1899 die Gemeinschaft der Missionsschwestern vom Heiligsten Herzen Jesu – kurz Hiltruper Missionsschwestern. 1900 begannen elf junge Frauen ihre Ausbildung in Hiltrup. Bereits zwei Jahre später wurden die ersten Schwestern in die Südsee ausgesandt. Die längst internationale Gemeinschaft hat eine Generalleitung und länderbezogen sogenannte Provinzleitungen. Die Generalleitung war bis 1954 im Gründungsort Hiltrup ansässig und siedelte dann über nach Rom. Weltweit zählt die Gemeinschaft der MSC-Schwestern (Missionsschwestern vom Heiligsten Herzen Jesu) etwa 550 Schwestern, etwa hundert von ihnen leben im Mutterhaus in Hiltrup.

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