Themenwoche „Soziale Dienste am Kipppunkt“ (3)

Kita-Leiterin klagt: Mehr Zeit am Schreibtisch als für Kinderspiele

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Kinder betreuen, sie auf den ersten Schritten ins Leben begleiten – das könnte die Aufgabe in Kitas sein. Wenn die Bürokratie das zuließe. Henrietta Harmann, Leiterin einer katholischen Kita, beschreibt, was sie tun muss – und wozu sie zu selten kommt.

Henrietta Harmann beginnt ihren Dienst morgens mit einem Rundgang durch alle Gruppen, um die Kinder zu begrüßen und Mitarbeitenden und Eltern die Gelegenheit für Gespräche zu geben. Die 50-Jährige ist seit 2020 Einrichtungsleiterin des Kindergartens St. Josef in Ostbevern im Kreis Warendorf.

Seit ihrer Ausbildung zur Erzieherin vor mehr als 25 Jahren habe sich vieles verändert, berichtet sie. Besonders der Verwaltungsaufwand sei deutlich gestiegen. Auch die Nachfrage habe sich verändert: Anders als früher seien Kitaplätze für Kinder unter drei Jahren sehr viel gefragter als die für ältere Kinder.

Mehr Wickelkinder, mehr Kinder am Mittagstisch

„Wickelkinder gab es früher nicht“, erinnert Harmann sich. Ein Kind mit voller Windel sei mittags abgeholt und zu Hause von den Eltern gewickelt worden.

Heute müssten die Mitarbeitenden des Kindergartens 21 Kindern die Windeln wechseln. Bei insgesamt 69 Kindern, die in drei Gruppen betreut werden, macht das einen Anteil von etwa 30 Prozent aus. „In den Neunzigerjahren hatten wir drei Kinder am Mittagstisch, heute sind es 36“, beschreibt Harmann.

Schreibarbeit und Organisation

Themenwoche „Soziale Dienst am Kipppunkt?“
Fachkräftemangel in der Pflege und in den Kitas, Haushaltskürzungen unter anderem bei der Migrationsberatung – die sozialen Dienste stehen vor enormen Herausforderungen. Kirche+Leben fragt nach, wie prekär die Lage wirklich ist. Teil 3: Reportage aus dem Kindergarten St. Josef in Ostbevern.

Beim Blick in ihr Büro wird deutlich, dass neben der Pflege und Betreuung der Kinder viel Schreibarbeit anfällt. Nach dem morgendlichen Rundgang durch die Einrichtung arbeitet die Erzieherin Mails und Telefonate ab. Dazu können Terminabsprachen mit der Polizei gehören, die mit einer Puppenbühne in Kindergärten kommt, um Verkehrssicherheit zu trainieren. Oder Harmann nimmt Anrufe von Eltern entgegen, die ihr Kind krankmelden.

Das Kita-Team führt regelmäßig Elterngespräche, die dokumentiert werden müssen. Außerdem schreibt das pädagogische Personal sogenannte Bildungsdokumentationen, in denen die Lernentwicklung der Kinder festgehalten wird.

Schutzkonzept, Elternarbeit, Dienstpläne

Als Einrichtungsleiterin muss Harmann dafür sorgen, dass das pädagogische und das Schutzkonzept des Kindergartens stets auf dem aktuellen Stand sind und, dass die Mitarbeitenden alle erforderlichen Fortbildungen machen. Den Dienstplan zu koordinieren, gehört auch zu ihren Aufgaben. Das kann vor allem schwierig werden, wenn sich jemand kurzfristig krankmeldet.

Für viele Dinge seien mittlerweile Einverständniserklärungen der Eltern vorgeschrieben – zum Beispiel, wenn Fotos und Videos gemacht werden sollen. Harmann findet es im Sinne der Kinder ausdrücklich gut, wenn die Eltern zustimmen müssen. Der Nachteil: Mehrarbeit für sie und ihre Mitarbeitenden.

Ein Traumjob?

Die Kita-Leiterin ist dankbar, dass die für Ostbevern zuständige Zentralrendantur des Bistums die Haushalts- und Personalplanung für ihre Einrichtung übernimmt. Harmann hofft, dass sich das Bistum weiter finanziell für Kitas engagiert. „Die Kirche ist ein guter Arbeitgeber“, findet sie. „Aber aus den Medien erfährt man, dass es bei vielen Trägern finanziell eng wird.“

Würde Henrietta Harmann heute noch einmal den Berufsweg als Erzieherin beginnen? Ja, sagt sie, weil sie den Kontakt mit den Kindern und Eltern liebe. Das sei eine Art Berufung. Aber: „Ob ich nochmal Verantwortung als Leiterin übernehmen würde, weiß ich nicht.“ Sie verweist erneut auf die zunehmende Bürokratie, die kaum noch zulasse, dass sie Zeit mit den Kindern in den Gruppen verbringen könne. Deshalb genieße sie es besonders, zum Beispiel zu St. Martin gemeinsam mit den Kindern zu singen und Gitarre zu spielen.

Katholisch, multireligiös und inklusiv

Den St. Josef-Kindergarten besuchen nicht nur christliche Kinder. Auch viele syrische, albanische und afrikanische Familien mit muslimischem oder jesidischem Glauben schicken ihre Kinder in die katholische Kita: „Das ist ganz toll, weil die Familien unseren Kindergarten so viel bunter machen“, findet Harmann.

Alle Kinder werden gemeinsam betreut und gefördert – ob mit oder ohne Behinderung, Entwicklungsverzögerung oder Sprachschwierigkeiten. Für fehlende Sprachkenntnisse braucht es genauso Lösungen wie Rücksicht auf unterschiedliche kulturelle Prägungen der Familien: „Meine Aufgabe ist es, im Hintergrund die Fäden zusammenzuhalten, damit ein geregelter Arbeitsalltag stattfinden kann.“

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