THEMENWOCHE BUNDESTAGSWAHL (4)

Wahlkampfthema Wirtschaftspolitik: KAB-Parteiencheck und Bewertung

Anzeige

Kirche+Leben beleuchtet die wichtigsten Wahlkampfthemen. Die Wirtschaftspolitik analysiert Andreas Luttmer-Bensmann von der KAB.

 

Wie bewerten Sie die Positionen der Parteien in der Wirtschaftspolitik? Welche sind zu begrüßen, welche abzulehnen? Warum?

Wirkliche Positionen werden derzeit in der Öffentlichkeit kaum deutlich. Die mediale Debatte wird vorwiegend um Personen und Schlagworte geführt. Schaut man in die einzelnen Positionen in den Wahlprogrammen, werden schon unterschiedliche Wege für die Zukunft aufgezeigt. 

Für die Katholische Arbeitnehmer-Bewegung (KAB) stehen natürlich die Themen Arbeit und Soziales besonders im Fokus. Hier sind in den Parteien deutliche Unterschiede erkennbar. Beim Mindestlohn schwanken die Vorgaben zwischen einer Erhöhung auf 15 Euro pro Stunde oder dem Verweis auf die Mindestlohnkommission. Aus Sicht der KAB ist eine Erhöhung auf mindestens 15,56 Euro unumgänglich und diese werden in keinem Fall erreicht.

Bei weiterer Betrachtung der Positionen zum Thema Arbeit fällt auf, dass fast alle Parteien auf eine Flexibilisierung der Arbeitszeit setzen. Nicht mehr die tägliche Maximalarbeitszeit, sondern die Wochenarbeitszeit soll den Rahmen bilden. Planbare freie Zeiten, insbesondere gemeinsame Zeiten mit anderen, stehen bei diesen Ideen genauso infrage wie die Errungenschaft eines an Gesundheitserfordernissen orientierten 8-Stunden-Arbeitstages. 

Bei der Rente sind die Positionen ebenfalls weit auseinander. Reine Stabilisierungen der Rentenniveaus und der Beitragszahlungen werden der Komplexität nicht gerecht. Die Veränderungen durch die demografische Entwicklung und veränderte Strukturen der Erwerbswelt müssen systematisch angegangen werden. Die derzeitigen Ideen stellen kein tragfähiges Zukunftskonzept dar. Vor allem fehlen geeignete Antworten zur Verbesserung der Einnahmen und eine klare Position zur Armutsverhinderung im Alter. 

Auch die Diskussion um das Bürgergeld ist im Grunde beschämend. Alle Empfängerinnen und Empfänger zu „Drückebergern“ abzustempeln, ist menschenverachtend. Sie trifft die Wirklichkeit nicht im Ansatz, denn nur rund 2 Promille der Bürgergeldempfängerinnen und -empfänger haben 2023 eine Arbeit verweigert. 

Und im Wahlkampf die sogenannte „illegale Migration“ in den Vordergrund zu stellen, ist zynisch. So binden uns unsere Geschichte, nationale und internationale Verpflichtungen und die schlichte Frage nach menschlichem Umgang mit Menschen in unterschiedlichen Nöten. Nationalistische Töne, von rechts vorgegeben, sind vor allem eine Ablenkung von den wirklich zentralen Themen.

Was sind für Sie die zentralen Herausforderungen der Wirtschaftspolitik?

Themenwoche „Bundestagswahl“
Umfragen zeigen deutlich, welche Themen die Deutschen als besonders wichtig für die Bundestagswahl am 23. Februar 2025 definieren. Kirche+Leben befragt zu diesen und einigen speziell katholischen Themen kirchliche Fachverbände nach ihrer Analyse und Bewertung der verschiedenen Partei-Positionen. Sie benennen zudem, wie eine künftige Bundesregierung sich zu diesen Herausforderungen verhalten sollte.

Konsequente Ideen für die Reaktion auf Klimawandel und Ressourcenverschwendung sind die Herausforderung für die Zukunft. Für die damit verbundenen strukturellen Veränderungen wie z. B. in der Industrie fehlen viele Antworten. Nur zu wenigen Teilen wird von den Parteien auf die damit verbundene Überforderungsangst vieler Menschen eingegangen. Hier sind Bildungs- und Informationsprogramme und solidarische Unterstützung von zentraler Bedeutung.

Eine weitere Baustelle ist die Reformierung unserer sozialen Sicherungssysteme. Ohne zusätzliche Einnahmequellen, die über das klassische Erwerbseinkommen hinausgehen, werden wir die notwendigen Mittel für die Absicherung der Lebensrisiken nicht organisieren können. Damit auch in Zukunft Kindheit, Alter und Krankheit nicht zum Problem wird, sind solidarische Finanzierungssysteme vonnöten, in die alle Gruppen der Gesellschaft eingebunden sind.

Insgesamt sollte der Fokus auf eine soziale und gerechte Gesellschaft ausgerichtet sein, um den sozialen Frieden sicherzustellen. Dazu gehört auch eine respektvolle und „anständige“ Umgangsweise miteinander, nicht zuletzt von politisch Verantwortlichen. Argumentieren, aushandeln und der für alle tragfähige Kompromisse sind die Grundlage einer handlungsfähigen Demokratie, die es unbedingt zu stärken gilt.

Wie sollte sich die neue Regierung verhalten?

 

Eine erste Bewährungsprobe wird es sein, einen tragfähigen Koalitionsvertrag zu beschließen und dann als gemeinsame Regierung aktiv zu handeln. Dabei werden nach einem lagerorientierten Wahlkampf Schritte auf „Gegner“ hin notwendig sein, um die großen Herausforderungen anzugehen. Mit einem gelungenen Start ist es dann aber nicht getan. Opposition in der Koalition, öffentlicher Streit und gegenseitiges Infragestellen verunsichern nur und helfen niemandem. In der Sache um den richtigen Weg ringen, einen Kompromiss schließen und dann durchhalten muss die Perspektive sein.

Inhaltlich gilt es, die beschriebenen Herausforderungen schnell und konsequent anzugehen. Weitere Verschiebetaktiken aus Angst vor unpopulären Entscheidungen helfen nicht. Grundsätzliche Umstellungen im Sozialsystem sind in den kommenden vier Jahren erforderlich, um allen ein gutes Leben in unserem Land zu gewährleisten. Darüber hinaus müssen die Weichen für ein zukunftsfähiges Handeln in Wirtschaft, Privatleben und gesellschaftlichem Leben gestellt werden, um das gute Leben auch für zukünftige Generationen möglich zu machen. Perspektive sollte sein: Was wir jetzt tun, muss so sein, dass es bleiben kann. Hierzu wünsche ich Mut und Augenmaß.

Anzeige