Werkstattgespräch der Reformgruppe Freckenhorster Kreis

Theologe Häring: Die Kirchenkrise könnte ein Glücksfall werden

Katholikentag 2018: Wenn gewohnte Strukturen wegbrechen, weil Priester und Gottesdienstbesucher fehlen, könnte darin auch eine Chance stecken. Das meint der emeritierte Dogmatikprofessor Hermann Häring.

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Den Abschied von einem autoritären Gemeindemodell hat der emeritierte Dogmatikprofessor Hermann Häring gefordert. Bei einem Werkstattgespräch „Eine Pfarrei viele Gemeinden – geht das in Frieden?“ am Samstagmorgen auf dem Katholikentag sagte er zudem ein weiteres Wegbrechen gewohnter Gemeindestrukturen voraus, allerdings nicht warnend, sondern eher zuversichtlich.

Denn, so Häring, darin liege möglicherweise eine Chance. Die Krise könne „ein Glücksfall“ werden. Weil sie Gemeinden die Gelegenheit gebe, neu über sich und ihre Funktion und nachzudenken, „darüber, worauf ihnen überhaupt ankommt“.

 

„Gemeinden brauchen wieder eine große Vision“

 

Dem „Freckenhorster Kreis“, benannt nach dem Ort seiner Gründung bei Warendorf im Bistum Münster, gehören nach eigenen Angaben 430 Menschen an.

Wichtig dabei sei eine neue „große Vision“. Eben die fehle vielen Gemeinden heute: eine Vision, aus der sich alles andere ableite. Auch Jesus habe in seiner Botschaft an den elementaren Stellen seiner Botschaft ja nicht von Kirche oder Gemeinde gesprochen, sondern visionär vom Reich Gottes, vom Reich der Gerechtigkeit und des Friedens. „Das ist die Botschaft und daraus hat er alles andere entwickelt.“

Das bedeute nicht, dass man keine Gemeinden brauche, aber dass die Gemeinden sich und ihr Tun ganz elementar aus dieser Vision rechtfertigen könnten, „und nicht etwa daraus, was ein Bischof gesagt hat“.

 

Handeln und Sakrament sind wichtig

 

Im Zentrum steht nach Härings Auffassung nicht allein die sonntägliche Eucharistie wie der Mittelpunkt eines Kreises. „Wir brauchen Gemeinden mit zwei Brennpunkten, vergleichbar einer Ellipse. Kirche ist Wot und Sakrament, Feiern und Handeln.“


Professor Hermann Häring. | Foto: Michael Rottmann

Häring: „Wenn wir von Montag bis Samstag keine Erfahrungen im Sinne des Reiches Gottes machen, haben wir in den Gottesdienst am Sonntag wenig davon einzubringen.“ Genau das sei heute aber häufig ein Problem vieler Gottesdienste. Sie liefen eher ab in einer Art Selbstbestätigung. „Man preist und lobt Gott, aber die konkrete Verbindung zum Leben fehlt.“

 

Häring fordert mehr Domkratie und Transparenz

 

Eine Vision von Kirche und Gemeinde, das sei auch wichtig bei der konkreten Gestaltung der Organisation und Leitung. Wer eine Vision habe, der könne viel besser mit Strukturen umgehen, so Häring. „Dann weiß man nämlich, wofür sie da sind und wozu nicht.“ Man müsse sich wieder angewöhnen, Strukturen und Hierarchie von ihrer Funktion her zu verstehen und zu bewerten.

„Wir brauchen funktionale Amtsbesetzungen, demokratisch gestaltet“, so Häring. Schon in der alten Kirche seien wichtige Dinge, die alle betreffen, von allen gemeinsam entschieden worden. Das müsse auch für die Kirche selbstverständlich sein, genauso wie Transparenz von Entscheidungen.

Häring: „Wir erleben immer wieder, dass wieder ein Skandal ausbricht, weil das Finanzgebaren einer Kirche nicht richtig war. Und immer hakt es daran, dass Informationen zurückgehalten werden, dass nicht gesagt wird, wie die Dinge zusammenhängen, dass wir für dumm verkauft werden.“

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