Ruf nach eigener Disziplinarordnung wird laut

Theologin: Spiritueller Missbrauch hat drastische Folgen für Betroffene

  • Nach Ansicht der Theologin Ute Leimgruber hat spiritueller Missbrauch ähnlich schwere Folgen für Betroffene wie sexueller Missbrauch.
  • Die Theologin hat den Eindruck, dass Verantwortliche in der Kirche das Thema ernst nähmen.
  • Sie stellt infrage, ob eine Verpflichtung zur Beichte vor der Erstkommunion auch die spirituelle Selbstbestimmung verletzt.

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Machtmissbrauch in religiös-spirituellem Kontext ist nach Ansicht der Theologin Ute Leimgruber ein drastisches Phänomen. „Spiritueller Missbrauch kann ähnlich verheerende und zerstörende Folgen für die Betroffenen haben wie sexueller Missbrauch, etwa Depression oder Suizidalität“, sagte die Pastoraltheologin am Mittwochabend in Erfurt.

Das Thema werde zwar erst seit kurzem öffentlich und wissenschaftlich diskutiert; sie habe aber den Eindruck, dass die Verantwortlichen in der Kirche es durchaus ernst nähmen, sagte Leimgruber. So werde es im Frühjahr ein Papier von der Deutschen Bischofskonferenz dazu geben. So haben die Bistümer Münster und Osnabrück im Dezember eine Studie zu dem Thema in Auftrag gegeben.

Wo beginnt geistlicher Missbrauch?

Als geistlicher oder spiritueller Missbrauch gelten Manipulation und Ausnutzung von Menschen im Namen Gottes und im Kontext religiösen Lebens. Dabei werden in der Seelsorge, etwa bei der Beichte oder geistlichen Begleitung, aber auch in geistlichen Gemeinschaften Menschen bevormundet, entmündigt und oft gegen andere abgeschirmt.

Die in Regensburg lehrende Professorin verwies darauf, dass spiritueller Missbrauch „ein enorm weites Feld“ sei, das etwa auch spirituelle Gewalt und spiritualisierten Machtmissbrauch umfasse. Mitunter sei schwierig zu entscheiden, wann Missbrauch beginnt: „Was ist etwa mit der Pflichtbeichte vor der Erstkommunion? Wenn die Kinder das nicht wollen – wird da schon ihre spirituelle Selbstbestimmung verletzt?“ Ein Forschungsschwerpunkt der Professorin liegt auf sexuellem und spirituellem Missbrauch an erwachsenen Frauen in der katholischen Kirche.

Schwester Philippa Rath berichtet von Betroffenen

Mit Blick auf Missbrauch in geistlichen Gemeinschaften zeigte Leimgruber einige Anzeichen auf: „Grundsätzlich sollten alle Alarmglocken schrillen, wenn irgendwo ein Guru auftaucht. Problematisch werde auch, wenn Mitglieder einer Gemeinschaft „nicht über ihre Rechte aufgeklärt werden und wenn es keine Kritik geben darf“. Auch ein gewisser „Zwang zur Freude“ sei gefährlich.

Die bekannte Ordensfrau Philippa Rath berichtete, dass sich viele Betroffene an sie gewandt hätten, „weil sie mit jemandem aus dem System über das Geschehene sprechen wollten“. Zugleich betonte sie, es müsse eine von der Kirche unabhängige Stellen geben, an die sich Betroffene von spirituellem Missbrauch mit ihrem Fall wenden können. Das fehle bislang. Weiter berichtete die Benediktinerin: „Viele Opfer haben mir gesagt: 'Ich möchte keine Wiedergutmachung. Ich will nur, dass die Wahrheit ans Licht kommt.'“

Ruf nach Disziplinarordnung

Rath und Leimgruber forderten zudem eine Disziplinarordnung, um Fälle von geistlichem Missbrauch auch ahnden zu können. Beide äußerten sich bei einem Podium der Erfurter Bistumsakademie Katholisches Forum und der Katholisch-Theologischen Fakultät der Uni Erfurt.

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