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Ein Missbrauchs-Betroffener, der Chef der Aufarbeitungskommission und der Interventionsbeauftragte äußern sich in Kirche+Leben.
Bestürzung und Trauer löst im Bistum Münster der Tod des Historikers Thomas Großbölting aus – gerade bei Betroffenen sexualisierter Gewalt. Großbölting und sein Team hatten 2022 die Missbrauchsstudie für das Bistum Münster vorgelegt. Der 55-Jährige kam am Dienstag bei einem Zugunglück in Hamburg ums Leben.
Hans Jürgen Hilling, der der Betroffenen-Initiative im Bistum Münster angehört, nennt den Tod „unfassbar und unsagbar traurig“. Großbölting sei „ein großer Verlust“, sagt Hilling zu Kirche+Leben.
„Schonungslos und sympathisch“
„Viele von sexueller Gewalt im kirchlichen Kontext Betroffene nicht nur im Bistum Münster kannten Thomas persönlich, brachten ihm großes Vertrauen entgegen und schätzten seine von höchster Professionalität geprägte Arbeit sehr“, so Hilling, „In der Sache schonungslos, im Ton sympathisch und moderat“ habe Großbölting klare Analysen dargelegt, „ohne dadurch ein Gespräch unmöglich zu machen“.
Der Historiker habe wie niemand Anderes im Bistum Münster für die Aufarbeitung sexuellen Missbrauchs gestanden. Hilling fügt an, er habe den Wissenschaftler sehr gemocht und noch am Sonntag Kontakt zu ihm gehabt: „Er hatte noch viel vor. Traurig und bestürzend.“
„Klarheit und Freundlichkeit“
Der Vorsitzende der Unabhängigen Aufarbeitungskommission (UAK) für das Bistum Münster, Christian Schrapper, nennt den plötzlichen Tod Großböltings „unfassbar und erschütternd“. Er werde auch der UAK „unendlich fehlen“, sagt Schrapper zu Kirche+Leben.
„Seine Klarheit, präzise zu benennen, wie Kirche mit ihren ,heiligen Männern‘ und machtvollen Strukturen Menschen zutiefst verletzt hat, ebenso wie seine Freundlichkeit, trotzdem immer wieder im Gespräch zu bleiben, werden wir sehr vermissen“, so der Kommissionsleiter. Er betont: Ohne Großbölting „gäbe es diese UAK in Münster nicht“.
Die UAK als kirchenunabhängige Anlaufstelle für Missbrauchs-Betroffene setzt gemäß Vereinbarung der Kirche mit der Missbrauchsbeauftragten der Bundesregierung die Aufarbeitung im Bistum Münster fort. Großbölting wurde vom Bistum für die UAK vorgeschlagen, weitere Experten entsenden Missbrauchs-Betroffene und das Land Nordrhein-Westfalen.
„Nahbar und fair“
Der Interventionsbeauftragte für Fälle sexualisierter Gewalt im Bistum Münster, Stephan Baumers, würdigt den Historiker im Kirche+Leben-Gespräch als „nahbar und fair“. „Thomas Großbölting hat auch mich manches Mal zum Nachdenken gebracht, wie wir die Perspektive der Missbrauchs-Betroffenen einnehmen können.“
Der Historiker habe immer wieder den Blick darauf gelenkt, „was Missbrauch möglich macht“, also auf systemische Ursachen innerhalb der Kirche. „Seine Impulse und die der Missbrauchsstudie“ hätten wesentlich dazu beigetragen, dass es im Generalvikariat die Interventionsstelle in heutiger Form gebe.
„Unfassbar großes Engagement“
Bereits am Morgen hatte Bischof Felix Genn erklärt, Thomas Großbölting habe sich „mit unfassbar großem Engagement für die Betroffenen sexuellen Missbrauchs“ eingesetzt – mit dem Blick des Wissenschaftlers, aber zugleich persönlich angerührt und mit berechtigtem Zorn über die Taten. Er hinterlasse den Auftrag, im Kampf gegen Missbrauch nicht nachzulassen.