Berufe in der Kirche – Teil 2: Der Steinmetz

Torsten Knapp – ein „Zahnarzt“ für den Dom in Xanten

Torsten Knapp aus Xanten arbeitet als Steinmetz am St.-Viktor-Dom. Warum er seine Arbeit mit der eines Zahnarztes vergleicht.

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Die Fantasy als Literaturgattung erlebt seit Jahren einen Boom. Nicht nur jüngere Leser vertiefen sich nur allzu gerne in die Geschichten von Drachen, Zwergen, Elfen und fernen Welten. „Mich hat das nie sonderlich interessiert“, gesteht hingegen Torsten Knapp. „Unsere echte Geschichte ist doch viel spannender.“

Dieses Interesse ging bei ihm sogar soweit, dass er – damals noch in der DDR vor der Wende – ehrenamtlich an der Restauration einer Burgruine nahe der thüringischen Stadt Weimar mitarbeitete. Damit war auch der Grundstein gelegt für den weiteren beruflichen Werdegang. Er führte ihn 2002 als Steinmetz und Techniker für Baudenkmalpflege zum St.-Viktor-Dom im niederrheinischen Xanten.

 

Historische Werkzeuge

 

Das Handwerk klagt erheblich über Nachwuchsmangel. „Wir kriegen in den letzten Jahren nur noch wenige Bewerbungen“, berichtet Johannes Schubert, Leiter der Dombauhütte am Xantener Dom. „Ein Riesenproblem.“ Den Umgang mit schweren Steinen, Staub und Lärm empfinden viele als unattraktiv.

Der Einsatz historischer Werkzeuge und Technologien, deren Ursprünge teilweise bis in die Antike zurückreichen und im Lauf der Zeit immer mehr verfeinert wurden, ist unverzichtbar. Der Zweispitz, zwischen drei und fünf Kilo schwer, ist ein solches Werkzeug. Das Steinbeil, das mit beiden Händen geführt wird, wird zum Zurichten von Rohblöcken und zur groben Flächenbearbeitung von weichem Gestein verwendet.

 

Ein Zahnarzt für die Bausubstanz

 

„Der Beruf kann wunderschön sein“, schwärmt Schubert. Denn Steinmetz ist nicht gleich Steinmetz, sondern der Handwerker spezialisiert sich. Es gibt die Bildhauerei, das Arbeiten an Gesimsen und Fensterbänken, an Fassaden, Treppen und Bodenplatten und – als noch recht junge Richtung – die Konservierung steinerner Denkmäler.

Als Steinmetz ist Torsten Knapp verantwortlich für den Erhalt der Bausubstanz, für die Erfassung des aktuellen Zustands, für Sanierungskonzepte und für die Konservierung der Originalsteine. Seine Arbeit vergleicht er mit der des Zahnarztes.

 

Auf Wanderschaft durch Europa

 

Hier muss ein kleiner Riss behandelt, dort ein fehlender Stein passgenau ergänzt werden. Der Innenputz ist instand zu setzen, die Gewölbe zu beobachten und, wenn sich Setzungen zeigen, zu behandeln. Torsten Knapp begann in Hessen seine Ausbildung als Steinmetz. „Eine wunderbare Zeit. Dort habe ich alles von der Pike auf gelernt, vom Steinbruch bis zur Oberflächenveredelung.“ Nach Abschluss der Lehre und anderthalb Jahren als Leitung der Steinmetzabteilung machte er sich auf die Walz.

Die Wanderschaft durch Europa führte ihn in 38 Monaten von Island bis nach Italien. Wie auf der Wanderschaft üblich, war er unterwegs nur mit dem Nötigsten ausgestattet: dem obligatorischen Wanderstab, dem breitkrempligen Hut, der Gesellenkluft und mit wenigen Kleidungsstücken im Bündel zum Wechseln.

Dass er sich beruflich letztlich in Xanten niederließ, hat zwei Gründe. Zum einen die so genannte schwarze Hand im Kreuzgang des Doms, erzählt er schmunzelnd.

 

Schwarze Hand in der Mauer

 

Besprechung in der Dombauhütte.
Besprechung in der Dombauhütte (von links): Steinmetz Torsten Knapp, Hans-Wilhelm Barking vom Xantener Dombauverein und Johannes Schubert, Leiter der Dombauhütte am Xantener Dom. | Foto: Peter Kummer

1992, vor Beginn seiner Ausbildung, war er schon mal in der niederrheinischen Kleinstadt und berichtete dort seiner Freundin von den beruflichen Plänen. „Wir saßen im Kreuzgang auf einer Bank und beschlossen, dass wir zusammenbleiben, auch wenn wir uns erst einmal nicht mehr sehen können“, erinnert er sich.

Im Mauerwerk des Gangs ist auch ein beigefarbenes Relief mit einer schwarzen Hand eingelassen. Das Dunkle stammt wahrscheinlich von den vielen Berührungen der Besucher im Laufe der Jahrhunderte. Der Schweiß hat für die Veränderung gesorgt.

 

„Ich war in Xanten noch nicht fertig“

 

Touristenführer erzählen ihren Gästen gern die Geschichte, dass jeder, der seine eigene Hand dort auflegt, eines Tages nach Xanten zurückkommen wird. Also berührte auch die Freundin von Torsten Knapp den Stein. „Genau zehn Jahre später haben wir hier geheiratet“, lächelt der Steinmetz.

Zum anderen hatte der Thüringer während seiner Wanderschaft Station bei der Dombauhütte gemacht. „Ich hatte die Möglichkeit, am Hochkreuz mitzuarbeiten.“ Doch da Gesellen auf Wanderschaft nie lange an einem Ort bleiben können, musste er einen angefangenen Stein unvollendet zurücklassen. „Da stand ich in der Schuld“, sagt er. „Ich dachte mir, dann kommst du eben später wieder zurück und machst ihn fertig.“ So wurde Xanten zur letzten Station seiner Wanderschaft, bei der er nach einer weiteren Ausbildung zum Techniker für Baudenkmalpflege seit 2002 blieb.

 

Aufgaben der Dombauhütte

 

Angestellt ist er beim Xantener Dombauverein, der wiederum vor allem durch Mitgliedsbeiträge, Spenden und Zuschüsse von Westlotto, Denkmalschutz und dem Bistum Münster die Arbeit der Dombauhütte finanziert. Zwischen 500.000 und 600.000 Euro schwankt das jährliche Budget, um das Gebäude mit Baubeginn im 13. Jahrhundert in seiner Substanz zu erhalten.

„Der Dom war eine zentrale Stätte in der Region“, erzählt Vereinsvorsitzender Hans-Wilhelm Barking. Dass er in seiner Filigranität erhalten geblieben sei, sei nur dank der Dombauhütte möglich.

 

Sorgfalt bis ins Detail

 

„Der Dom hier ist meine große Liebe“, ist Knapp von dem Bauwerk beeindruckt, das weit über der niederrheinischen Tiefebene zu sehen ist. „Eine Kirche lebt.“ Sorgfalt ist Pflicht, auch die kleinste Stelle muss sorgfältig bearbeitet werden. Denn, so sagt Johannes Schubert: „Gott sieht alles.“

Ein Höhepunkt in der jüngeren Geschichte des Doms war vor einigen Jahren die Rekonstruktion der Ölbergstation, die nun vor dem Hauptportal steht.  Eine großzügige Spende von Professor Diether Spethmann, dessen familiären Wurzeln in Xanten bis mindestens ins 16. Jahrhundert zurückreichen, hatte dies ermöglicht.

 

„Ein Hauch von Ewigkeit“

 

Im Zweiten Weltkrieg wurde das Werk aus dem 16. Jahrhundert fast völlig zerstört. Ein Drittel der Figurengruppe, zersplittert in Hunderte von Einzelteile, blieb übrig. Nun galt es, aus diesem Puzzle wieder eine originalgetreue Replik herzustellen und das Fehlende zu ersetzen. Dabei halfen dem Team der Dombauhütte Unterlagen und Zeichnungen aus dem 19. Jahrhundert.

Die Strahlkraft des Doms hat nach wie vor bei ihm auch nach 15 Jahren Steinmetzarbeiten nicht an Intensität verloren. „Er hat einen Hauch von Ewigkeit“, berichtet er. Das Kirchenschiff aus der Gotik versteht er als respektvolles Miteinander in der Abfolge der Baumeister, die daran gearbeitet haben. „Es ist wie eine Melodie. Die Stimme von jedem Baumeister variiert. Aber zusammen klingt es wie eine Sinfonie.“

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