Dechant Heiner Innig über seinen Wechsel von Marl nach Kevelaer

Um sich zu schützen: Ein leitender Pfarrer lässt das Leiten

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22 Jahre hat Heiner Innig als leitender Pfarrer gewirkt und in dieser Zeit an mehreren Fusionsprozessen von Gemeinden mitgewirkt. Nun verlässt er die Pfarrei Heilige Edith Stein in Marl, um eine neue Aufgabe als Seelsorger im Wallfahrtsort Kevelaer zu übernehmen. Was ihn zu diesem Schritt bewogen hat, erklärt der 54-Jährige im Gespräch mit „Kirche-und-Leben.de“.

Herr Innig, Sie werden zum Jahresende 2021 die Pfarrei Heilige Edith Stein in Marl verlassen und ab Februar 2022 in Kevelaer eine neue Aufgabe als Seelsorger übernehmen. Warum geben Sie die Leitung der Pfarrei ab?

Die einfachste Antwort ist die: Um mich zu schützen. Ich bin sehr dankbar, dass meine Vorgesetzten mit mir mitgehen, dass ich auf mich Acht gebe. Als ich nach Marl in verschiedene Leitungsaufgaben kam, brachte ich bereits ein paar typische chronische Manager-Krankheiten mit und hatte für mich klar, wenn noch eine neuartige dazu kommt, die dann eventuell auch noch ein dauerhaftes Problem werden kann, dann muss ich etwas tun. Das war im Frühjahr 2021 der Fall, und ich habe dann mit meinem Arbeitgeber gesprochen. Etwas grundsätzlicher geantwortet: Ich habe jetzt, wenn ich Marl verlasse, 22 Jahre lang große Gebilde, komplizierte Gebilde immer mit Zusatzaufgaben wie die des Dechanten oder kommissarisch die des Definitors (stellvertretender Dechant) in der Funktion des Dechanten, häufig mit langen zusätzlichen Pfarrverwaltungen in der Nachbarschaft und immer mit der Vor- und Nachbereitung von größeren Prozessen der Gemeinde-Zusammenführung geleistet. Ich habe jetzt einfach mal eine Leitungspause.

Wie viele und welche Leitungsfunktionen sollte ein Priester überhaupt ausüben?

In meiner gegenwärtigen Situation verbringe ich ein Drittel meiner Zeit mit direkten seelsorgerischen Aufgaben – liturgisch, katechetisch, in der Einzelbetreuung. Ein Drittel bin ich im Gespräch mit Einzelpersonen und Gruppen als Leitung, aber immer auch in Beziehungen und mit einer ganzheitlichen Sichtweise. Ein Drittel sind Büro-, Verwaltungsaufgaben und Sitzungen aller Art. Das heißt, ein Drittel meiner Zeit verbringe ich mit den Dingen, die Menschen bei einem katholischen Priester als erstes denken. Von den anderen zwei Dritteln sind aber sehr viele Dinge verknüpft mit dem, was ich kann oder auch nicht gut kann und verknüpft mit meinen Berufsrollen, die mir im Lauf der Jahrzehnte zugewachsen sind.

Von welcher Art von Leitung sollte sich ein Priester verabschieden?

Ein Priester sollte alle Leitungsfunktionen abgeben, die ihn daran hindern, sich als Priester zu fühlen, die ihm nicht liegen. Ein Priester sollte die Leitungsaufgaben ausüben, in denen er seine Begabung und sein Priesteramt einbringen kann für die Sache oder die Gruppe – oder beides.

Im kirchlichen Jargon heißt es gelegentlich, wenn eine Pfarreileitung abgegeben wird: „Ein Priester tritt in die zweite Reihe.“ Wie bewerten Sie diese Aussage?

Ich finde die ganz fürchterlich, und von diesem Sprachgebrauch sollten wir uns im Bistum Münster und in ganz Deutschland schlichtweg ab heute verabschieden. Und das aus zwei Gründen: Der alte Titel „Kooperator“ heißt nicht „Mitarbeiter“ – der ist unterlegen oder einem Chef untergeordnet -, sondern er ist jemand, der zusammen mit einem anderen an etwas arbeitet und etwas bewirken möchte. „Kooperatoren“ – dieser Titel trifft die Wirklichkeit der Priester, die keine Leitung wahrnehmen. Die Geistlichen, die katechetisch und pastoral tätig sind, ohne leitende Pfarrer zu sein, sind präsent, wichtig und unersetzlich. Und sehr oft, je nach Themenfeld, vor allem wenn Verantwortung auch klug vom leitenden Pfarrer delegiert wird, sind diese bestens vernetzt und sehr präsent in der Wahrnehmung der Ortsgemeinden. „Zweite Reihe“ klingt nach: „weniger sichtbar, weniger kompetent und weniger belastbar“. Im Alltag hier im Seelsorgeteam in der Pfarrei Heilige Edith Stein in Marl werden die Priester, die nicht Leitung innehaben, nicht als weniger sichtbar, aktiv oder weniger wertgeschätzt wahrgenommen.

Das Bistum Münster bereitet die Entwicklung von sogenannten Pastoralen Räumen vor. Vier oder fünf Pfarreien sollen in einem Verbund stärker zusammenarbeiten. Was erwarten Sie von den Vorschlägen der Bistumsleitung?

Die Grundidee, die jetzt bei den Auftaktveranstaltungen des Bistums Münster hinsichtlich neuer Pastorale Räume vorgestellt wurde, und die Grundidee, dem absehbaren Mangel an hauptamtlichem Personal damit auch zu begegnen, ist überfällig und meines Erachtens in der Sache völlig nachvollziehbar und richtig. Und ich bin auch jetzt zurzeit noch wie auch in Zukunft bereit, daran mitzuarbeiten. Ich finde allerdings, dass bei den Präsentationen und auch bei den verteilten Schriftstücken hinterher zu viele Folgefragen und Sachfragen, die damit zusammenhängen, nur als Stichworte bislang in den Raum gestellt sind. Da wünsche ich mir noch deutlich mehr Konkretisierung und Nachbereitung. Auch maßgeblich durch die Bistumsleitung und ihrer Hauptabteilungen.

In der Pfarrei St. Marien in Kevelaer werden Sie als Pastor mit dem Titel Pfarrer eine neue Aufgabe in der Wallfahrts- und Pfarrseelsorge übernehmen. Was verbindet Sie mit Kevelaer?

Kevelaer liegt am linken unteren Niederrhein. Und der linke untere Niederrhein ist spätestens seit meiner vierjährigen Kaplanszeit in Kleve-Materborn ein Stück persönliche Heimat für mich geworden. Ich bin den Regionen Rhein-Ruhr kulturell, kirchlich und menschlich tief verbunden und freue mich sehr darauf, in meiner neuen Aufgabe am Niederrhein zu leben. Den Wallfahrtsort Kevelaer mit seinen vielen Besonderheiten, vor allem der vielfältigen religiösen Kunst, auch moderner Kunst, kenne ich seit meiner Schulzeit. Ich übernehme in Kevelaer eine neue Berufsrolle. Das ist ein Abenteuer für mich. Ich definiere priesterlich, hauptberuflich, auch im Alltagskalender, in weiten Teilen meine Tätigkeitsfelder und meine Aufgaben neu. Das ist ein Abenteuer, aber ich freue mich darauf, weil ich in Kevelaer bereits jetzt viel Ermutigung und Unterstützung erfahren habe, weil man sich dort auf mich freut und auf mich wartet.

Pfarrer Heiner Innig wird zum Jahresende die Pfarrei Heilige Edith Stein in Marl verlassen. Im Februar 2022 wird der 54-Jährige in der Pfarrei St. Marien in Kevelaer als Pastor mit dem Titel Pfarrer eine neue Aufgabe in der Wallfahrts- und Pfarrseelsorge übernehmen. Der aus Stadtlohn stammende Seelsorger leitete mehrere Gemeinde-Zusammenführungen, so in Werne und zuletzt 2016 die Gründung der Pfarrei Heilige Edith Stein in Marl, die aus sieben Gemeinden entstanden ist.

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