KIRCHE+LEBEN EXKLUSIV

Valentinstag: Ist das Ehesakrament ein Auslaufmodell, Herr Lintner?

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Immer weniger Menschen heiraten kirchlich. Der Moraltheologe Martin M. Lintner weiß warum und wie christliche Beziehungen auch aussehen könnten.

Warum entscheiden sich immer weniger Gläubige für das Ehesakrament?

Eine gelingende Partnerschaft in Liebe und Treue bleibt für viele Menschen eine tiefe Sehnsucht und für gläubige Paare ein „Einfallstor“ der göttlichen Liebe. Natürlich müssen wir uns damit konfrontieren, dass die kirchlichen Eheschließungen zurückgehen, dass auch katholische Paare nicht mehr kirchlich heiraten, dass Katholikinnen und Katholiken nach einer Scheidung eine neue Beziehung eingehen und wieder standesamtlich heiraten und dass es insgesamt eine Pluralisierung von Beziehungs- und Familienformen gibt. Die Gründe hierfür sind vielfältig und individuell unterschiedlich. Ökonomische Gründe sowie Arbeits- und Lebensumstände spielen ebenso eine Rolle wie eine Skepsis gegenüber verbindlichen Lebensentscheidungen und anderes mehr.

Überfordert das Ehesakrament inzwischen Beziehungen?

Eine lebenslange Partnerschaft ist heute zweifelsohne eine größere Herausforderung als in früheren Jahrhunderten. Die Menschen werden älter. Scheidungen sind gesetzlich möglich und werden sozial nicht mehr geächtet. Der Verbleib in einer Ehe ist nicht mehr notwendig, um finanziell abgesichert zu sein. Es gibt sozial anerkannte und gesetzlich geregelte Alternativen zur klassischen Ehe. 

Vielleicht liegt eine Schwierigkeit heute im Verständnis der Liebe. Sie wird heute in erster Linie als Gefühl verstanden, was ja zutrifft, aber es wird ausgeblendet, dass sie auch eine Willensentscheidung für einen Menschen ist, die nicht immer gefühlsmäßig abgedeckt ist und die beständige Beziehungsarbeit erfordert.   

Wie könnte eine zeitgemäße ,Erneuerung‘ des Ehesakraments aussehen?

Zum sakramentalen Charakter der Ehe gehören der persönliche Glaube und der feste Wunsch, die eigene eheliche Beziehung bei allen menschlichen Schwächen und Grenzen von der Liebe Christi zur Kirche beseelen zu lassen und sie zu bezeugen. Schon Benedikt XVI., aber auch Franziskus haben ihre Mutmaßung geäußert, dass unter der Rücksicht der Glaubensvoraussetzungen viele kirchliche Eheschließungen ungültig sind. Gewiss, das ist eine heikle Frage, denn der persönliche Glaube lässt sich nicht quantifizieren. 

Über die Frage ist aber nachzudenken: Was macht eine Ehe zum Sakrament? Müssen wir unbedingt daran festhalten, dass jede Eheschließung zwischen Getauften zugleich auch Sakrament ist? Anders gefragt: Sollte es nicht die Möglichkeit geben, Partnerschaften zwischen Getauften auch kirchlicherseits anzuerkennen, die nicht kirchlich geschlossen sind? 

Anlässlich des Valentinstages werden in vielen Kirchen Paare eingeladen, sich segnen zu lassen. Unter ihnen werden viele Paare sein, die in den Augen der Kirche „irregulär“ sind. Es sind Paare, die sich aber bewusst unter den göttlichen Segen stellen und die ihre Partnerschaft in Liebe, Verantwortung und Verbindlichkeit leben. Es gibt auch Ehepaare, die sich scheiden lassen und deren Trennung nicht nur als Scheitern angesehen werden darf. 

Eine Scheidung kann auch die bewusste und gereifte Entscheidung sein, dass zwei Partner einander freigeben, und zwar aus Wohlwollen der anderen Person gegenüber, etwa weil die Partnerschaft, aus welchen Gründen auch immer, für die beiden nicht mehr ein Ort des gemeinsamen Wachsens und der gegenseitigen Zuneigung ist. 

Hätte das nicht zur Folge, die Unauflöslichkeit der Ehe aufzugeben?

Keine Frage, im Neuen Testament wird das Wort Jesu überliefert, dass eine Ehe nicht gelöst werden soll. Aber die Bedingungen, unter denen eine Ehe erstens gültig zustande kommt und zweitens als unauflöslich gilt, hat die Kirche im Lauf von vielen Jahrhunderten sukzessive definiert und im Kontext der jeweiligen sozialen Herausforderungen und Rechtsvorstellungen geregelt. Ich denke, über diese historisch gewachsenen Bedingungen können und sollen wir reflektieren. 

Bräuchte es neue Formen der pastoralen Begleitung von nicht-ehelichen Beziehungen? Wie könnten diese aussehen?

Die Vorbereitung auf die kirchliche Eheschließung ist meines Erachtens eine wichtige pastorale Aufgabe. Auch die Begleitung von Ehepaaren, nach Möglichkeit durch Ehepaare selbst. Vielleicht wäre anzudenken, die kirchliche Eheschließung nicht an den Beginn einer Partnerschaft zu stellen, sondern sie bewusst nach einigen Jahren zu begehen, in denen eine Partnerschaft bereits wachsen, reifen und sich bewähren konnte. Es gilt, die Sehnsucht nach einer gelingenden Partnerschaft in Liebe und Treue wahrzunehmen und zu stärken. 

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