Eine Journalistin begleitet Franziskus von Boeselager

Valerie und der Kaplan

Sie saß in der St.-Anna-Kirche in Münster-Mecklenbeck und hatte keine Ahnung, was da geschah. Am Mittwochabend waren die Bänke bei der Anbetung nur spärlich besetzt. Drinnen war es viel kälter als draußen, erinnert sie sich. 45 Minuten völlige Stille – für sie  kaum auszuhalten.

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Sie saß in der St.-Anna-Kirche in Münster-Mecklenbeck und hatte keine Ahnung, was da geschah. Am Mittwochabend waren die Bänke bei der Anbetung nur spärlich besetzt. Drinnen war es viel kälter als draußen, erinnert sie sich. 45 Minuten völlige Stille – für sie  kaum auszuhalten. „Körperlich unangenehm“ empfand sie die Situation. Und kaum verständlich. „Warum tun sich Menschen so etwas an?“, fragte sich Valerie Schönian.

Eine Frage, die sie sich in den kommenden zwölf Monaten noch einige Male stellen wird. Schönian veröffentlicht ab dem 20. Mai einen Blog, eine auf­einanderfolgende Berichterstattung im Internet. Ein Jahr lang, mit Texten, Bildern und Videos.

Die Überschrift: „Valerie und der Priester“. Das Thema: Ein junge Frau, kirchenfern und ohne religiöse Ausrichtung, erlebt das Jahr eines Priesters. Das ist Kaplan Franziskus von Boeselager aus der Großgemeinde im Westen von Münster.

Zusammengebracht hat die beiden das Zentrum für Berufungspastoral (ZFB) der Deutschen Bischofskonferenz (DBK), die das Projekt angestoßen hat und finanziert. „Wir wollen priesterliches Leben darstellen“, erklärt ZFB-Direktor Michael Maas. „Vielleicht können wir Menschen damit auch begeistern.“

Die Form der Darstellung hat die Projektgruppe gewählt, weil der Blog eine wichtige Kommunikationsform der jungen Generation ist. Als Schreiberin suchten sie jemanden, der von außen offen und unbefangen auf die Situation zugehen soll – ohne Vorkenntnis über das katholische Leben. Jemanden, der die kritischen Fragen der heutigen Zeit mitbringt.

Die Besetzung ist perfekt: Valerie Schönian wurde in Magdeburg geboren. Nach der Konfirmation war für sie Schluss mit Kirche. Heute lebt sie als freie Journalistin in Berlin. „Großstädtisches, linkes, feministisches Milieu“, sagt die 25-Jährige. In Kirchen geht sie nur im Urlaub, um Kühle und Ruhe zu genießen. Wenn das nicht passt.

Ihre bisherigen Recherchen haben die Extreme schon einige Male aufeinanderprallen lassen. Seit Ende April reist sie regelmäßig nach Münster und verbringt den Alltag mit dem Kaplan. Gottesdienste, Krankenbesuche, Katechese, Sakramente, Konferenzen – aber auch das Leben in der Priester-Wohngemeinschaft in Münster-Roxel, der Besuch beim Steuerberater, das Treffen mit Freunden. Und immer wieder die Frage: „Warum ist das so?“

Sie hat noch lange nicht alle Antworten gefunden. Auch nicht auf die Frage, warum sich von Boeselager als junger BWL-Student, der auch in Partnerschaften gelebt hatte, aus dem bunten Leben Hamburgs verabschiedete, um Priester zu werden.

„Er beschloss, auf vieles zu verzichten, vor allem auf eine eigene Familie – das ist mir noch total unverständlich.“ Noch, denn sie schreibt diesen Blog ja ein ganzes Jahr. „Meine Neugier ist sicher nicht kleiner geworden.“

Ein Wort fällt ziemlich oft, wenn sie von ihren Erlebnissen berichtet: „Krass!“ Was so viel heißen soll wie „unglaublich“! Nicht im Negativen. Oft beschreibt es, wie beeindruckt sie war. Etwa vom Besuch bei der 91-Jährigen, die schon viele Monate bettlägerig war, kaum sprechen konnte. Ihre Pflegerin bedankte sich innig für das Vorbeischauen, umarmte Schönian und von Boeselager herzlich. „Da war so viel Dankbarkeit, Zuversicht und Fröhlichkeit.“

Fragt sie sich dann nach dem Grund? Warum ist die Freude so groß? „Natürlich interessiert mich, weshalb Menschen so reagieren.“ Den menschlichen Hintergrund kann sie nachvollziehen. Die spirituelle Dimension erschließt sich ihr nicht. „Wenn etwa der Priester im Gottesdienst die Oblate in die Luft hält und alle im tiefen Gebet verharren, weiß ich nicht, was ich damit anfangen soll.“

Schönian hat bereits gemerkt, wie viel Interesse an Antworten darauf besteht. Im heimischen Berlin erklärte sie ihren Freundinnen das Fest Christi Himmelfahrt und hatte begeisterte Zuhörerinnen. Die großstädtische Jugend ist aber nur ein kleiner Teil der vielseitigen Zielgruppe des Blogs. Menschen aus der Kirche soll ein neuer Blick auf den priesterlichen Dienst ermöglicht werden, sagt Michael Maas. „Gerade die, die meinen, alles zu kennen, aber trotzdem keine Ahnung haben.“

Es gibt noch eine weitere Gruppe von Adressaten: die Priester selbst. Ein solcher Blick von außen kann wie ein Spiegel sein. Gerade in den kontroversen Fragen hat der Kaplan aus Roxel das schon erleben können. Auf einer Autofahrt ging es um unterschiedliche Vorstellungen von Erziehung. Er sah das vor allem als Aufgabe der Mutter, sie konnte sich für alternative Modelle begeistern. Die wenigen Fahr-Minuten reichten nicht, um das abschließend zu klären. Beide haben dafür aber noch zwölf Monate Zeit.

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