„Tag für alle, deren Partner verstorben ist“

Vater ohne Frau, Sohn ohne Mutter

Als seine Frau starb, war der gemeinsame Sohn erst ein Jahr alt. Damit ist er eine Ausnahme beim bistumsweiten „Tag für alle, deren Partner verstorben ist“. Er kommt, obwohl er sich bei der Sterbebegleitung und der Trauer auch von der Kirche oft allein gelassen gefühlt hat.

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Als seine Frau starb, war der gemeinsame Sohn erst ein Jahr alt. Damit ist er eine Ausnahme beim bistumsweiten „Tag für alle, deren Partner verstorben ist“, zu dem die Bistumsleitung am Samstag (08.10.2016) in den St.-Paulus-Dom einlädt. Er kommt, obwohl er sich bei der Sterbebegleitung und der Trauer auch von der Kirche oft allein gelassen gefühlt hat.

„Das ist zurzeit mein ganzes Leben.“ Stefan Kraus (Namen von der Redaktion geändert) hat es vor sich auf dem Tisch ausgebreitet. Drei Dinge liegen dort: Die Traueranzeige mit den vielen Schwarz-Weiß-Fotos seiner Frau, die Karte zum Sechswochen-Seelenamt und ein Foto von seinem lachenden Sohn Christopher, der bald zwei Jahre alt wird. „Für mehr habe ich bislang noch keine Zeit und keine Kraft.“

Das ist schon lange so. Nicht erst, seitdem seine Frau vor etwa einem halben Jahr starb. Sein Alltag pendelt schon länger zwischen Lebensende und Lebensanfang. Seit der Diagnose im November 2014, als der Frauenarzt bei einer Untersuchung den großen Tumor im Darm der hochschwangeren Frau fand. Die Geburt wurde sofort eingeleitet, damit Bestrahlungen, Operation und Chemotherapie angegangen werden konnten. Von da an waren für Kraus nur noch zwei Dinge wichtig: „Als Ehemann habe ich alles getan, um für meine Frau bei den Therapien und in ihren letzten Tagen da zu sein.“ Als junger Papa tat er alles, um seinem Kind trotz allem einen Start ins Leben zu ermöglichen, in dem die Schwere der Situation nicht allgegenwärtig war.

 

Unwirkliche Siutation

 

Heute ist er Vater und Witwer. „Die neue Situation ist eigentlich erst lange nach ihrem Tod bewusst geworden.“ Vorher fraßen Organisation, Trauer und Alltag die Stunden der Tage, bis er abends erschöpft ins Bett fiel. „Ich habe einfach funktioniert.“ Immer noch erlebt er sein Leben oft unwirklich, sagt er. „Es fühlt sich fremd an, Witwer zu sein.“ 40 Jahre ist er alt, alleinerziehend. „So was ist eben nicht normal.“

Dieses Gefühl kommt von innen, aus seinem Herzen. Es bekommt aber Nahrung durch viele Begegnungen. „Niemand meint es böse, aber viele sind unsicher und unbedarft.“ Floskeln sind für viele die einzige Möglichkeit, sich mit ihm zu unterhalten. Sie verfehlen aber das Ziel. Sätze wie „Du bist doch noch jung, du findest bestimmt wieder eine Neue“ schmerzen ungemein, auch wenn sie gut gemeint sind. „Ich will niemanden kennen lernen“, sagt er. Seine Stimme zittert dabei.

Es gibt einige Menschen, die anders mit ihm reden können: seine Familie, einige Freunde. Die meisten aber haben sich zurückgezogen. „Weil sie mit der Situation überfordert sind.“ Er könne das verstehen, sagt Kraus. Und doch erstaunt es ihn manchmal, wie wenig Bekannte und Arbeitskollegen manchmal aushalten. Wenn er den Namen seiner Frau nennt, schrecken sie zurück. „Du gehst damit aber sehr offensiv um“, bekommt er dann zu hören. In manchen Gesprächen hat er das Gefühl, dass seine Frau nie gelebt hat, sagt Kraus.

Findet er Halt in der Kirche? Er seufzt, trommelt mit den Fingern auf dem Tisch, direkt neben den Fotos seiner Frau. Die Frage wühlt ihn auf. Religionslehrer ist er, an einer bischöflichen Schule. Sein Glaube ist ihm wichtig. Aber Kirche? „Sie sagt zu vielem wichtige und kluge Sachen, aber wenn es um konkrete Situationen und Gefühle geht, liegt sie manchmal daneben.“

 

Erschreckende Erfahrungen

 

Er nennt das Beispiel palliativer Versorgung und Begleitung eines Sterbenden. „Das klingt alles nur bis zu dem Zeitpunkt gut, wenn deine Frau dir sagt, dass sie sterben möchte, weil die Schmerzen unerträglich werden.“

Das klingt nach Verbitterung. Grund genug hätte er. Es sind Dinge passiert, die ihn erschreckt haben. Als er in der Pfarrgemeinde einen baldigen Tauftermin für den Sohn anfragte, wurde das abgelehnt. „Da könne doch jeder kommen.“ Er aber war gekommen, weil seine Frau zu schwach war, zum offiziellen Termin mit mindestens drei Täuflingen zu kommen. „Wir wollten den anderen Familien unsere Situation auch nicht zumuten.“

Als er daraufhin selbst eine Kapelle und einen Priester besorgte, gab es ebenso eine Absage. Die Begründung: Nur in der Pfarrkirche dürfe getauft werden. Auf die Situation seiner Frau wurde keine Rücksicht genommen. Am Ende konnte sie bei der Taufe nicht mehr dabei sein, lag daheim im Bett.

 

Schöne Momente ohne Freude

 

Er ist trotzdem nicht verbittert. „Wohl aber ernüchtert.“ Was er von Kirche erwartet hatte, ist nicht geschehen. „Ich komme aus einem kleinen Dorf“, sagt er. „Dort wäre sofort ein Seelsorger zu mir gekommen.“ In seiner heutigen Großstadtgemeinde kam niemand, weder ein Geistlicher, noch ein Laie. „Wir sind in den vergangenen Jahren vier Mal fusioniert, da kennt kaum noch einer den anderen.“ Für den eigenen Weg zu den Menschen in seiner Pfarrgemeinde fehlte ihm in den wichtigen Momenten die Kraft.

Gut sechs Monate ist es nun her, dass er Witwer wurde. Der Schmerz kommt immer wieder, ohne an Kraft zu verlieren. Als sein Sohn sich das erste Mal seinen Rucksack aufsetzte, um selbstbewusst zur Tagesmutter aufzubrechen, war so ein Moment. „Eigentlich ein toller Anblick, ihn so groß und selbstständig zu sehen.“ Die Freude aber hatte keinen Platz, weil die Traurigkeit überwog, diesen Augenblick ohne seine Frau erleben zu müssen. Er möchte diese Schwere von seinem Sohn fernhalten. Auch deswegen wird er die Elternzeit verlängern. Um für das da zu sein, was zurzeit sein „ganzes Leben“ ist.

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