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Benedikt erlaubte die alte Liturgie, sein Nachfolger beschränkte sie. Eine US-Journalistin kämpft massiv dagegen - mit angeblichen Vatikan-Quellen.
Hat Papst Franziskus die Messe nach dem Missale Romanum von 1962 gegen den Rat vieler Bischöfe eingeschränkt? Es seien „Zweifel an der Grundlage und der Glaubwürdigkeit“ des Motu proprio „Traditionis custodes („Wächter der Tradition“) von 2021 angebracht - das behauptet zumindest die US-amerikanische Journalistin Diane Montagna in einem Newsletter-Beitrag, den sie zusammen mit einigen Dokumenten aus dem Vatikan am Dienstag veröffentlichte.
2021 hatte Franziskus eine Liberalisierung der vorkonziliaren Liturgie weitgehend zurückgenommen und dadurch die Bestimmungen des 2007 von Benedikt XVI. veröffentlichten Motu proprio „Summorum Pontificium“ („Sorge der Päpste“) korrigiert. Vor allem in den sozialen Medien sorgten Montagnas Ausführungen für große Aufregung: Traditionalistische Kreise sprachen gar von einer publizistischen „Bombe“, die die Glaubwürdigkeit von Franziskus nachhaltig beschädige.
Mutmaßlich geleakte Dokumente
Bei den Dokumenten handelt es sich einerseits um einen aus neun Fragen bestehenden Katalog, den die damalige Glaubenskongregation im April 2020 an alle Vorsitzenden der Bischofskonferenzen zur weiteren Verteilung an die einzelnen Bischöfe verschickt haben soll. Andererseits veröffentlichte Montagna eine Auswahl der bis Januar 2021 angeblich eingegangenen Antworten sowie eine darauf beruhende angebliche vatikanische Gesamtbewertung vom Februar 2021.
Insgesamt umfasst dieses Konvolut 14 Seiten. Diese sollen wiederum Teil eines 224-seitigen Berichts für Papst Franziskus sein, den Montagna allerdings nicht in Gänze eingesehen haben will. Alle Dokumente machte die Journalistin nicht im Original, sondern lediglich als von ihr selbst angefertigte Transkripte zugänglich. Bisher legte Montagna keine stichhaltigen Beweise für die Echtheit dieser Schreiben vor.
Papst Franziskus versichert in „Traditionis custodes“, dass er die Ergebnisse der Befragung von 2020 „im Licht der in diesen Jahren gereiften Erfahrungen sorgsam erwogen“ habe. In einem Begleitbrief an die Bischöfe der Weltkirche führt er weiter aus: „Die eingegangenen Antworten haben eine Situation offenbart, die mich traurig und besorgt macht, und mich darin bestätigt, dass es notwendig ist einzugreifen.“ Es werde immer deutlicher, dass zwischen der Entscheidung für die Liturgie von 1962 und einer Ablehnung der Kirche eine „enge Beziehung“ bestehe.
Positive Beurteilung von „Summorum Pontificium“
Die laut Montagna von der Glaubenskongregation verfasste Gesamtbewertung - damals war Kardinal Luis Ladaria SJ Präfekt jener Vatikanbehörde - fällt hingegen ein wesentlich milderes Urteil: Die Mehrheit der antwortenden Bischöfe sei demnach mit der Einführung zufrieden. „Summorum Pontificium“ habe die „gleiche Würde beider Formen desselben Römischen Ritus“ erfolgreich bestärkt. Es befördere einen „neuen Sinn für Heiligkeit“ und trage zur „innerkirchlichen Versöhnung“ bei.
Positiv erwähne das Schreiben, dass die „Heiligkeit, Ernsthaftigkeit und Feierlichkeit“ der Messe nach dem Missale Romanum von 1962 besonders junge Menschen anspreche. Überdies sei die Zahl der Berufungen bei Gemeinschaften, die dieser Liturgie zugetan sind, höher. Die Gesamtbewertung komme mit den antwortenden Bischöfen zu dem Schluss, dass eine Abkehr von „Summorum Pontificium“ der Kirche „mehr Schaden als Nutzen bringen würde“.
Enttäuschte Gläubige würden sich demnach dann zum Beispiel der traditionalistischen Priesterbruderschaft St. Pius X. oder anderen „schismatischen Gruppen“ zuwenden. Martialisch sei von einem „Wiederaufleben der liturgischen Kriege“ und dem „Entstehen eines neuen Schismas“ die Rede. Zusammenfassend liest sich die angebliche Gesamtbewertung der Glaubenskongregation, als sei sie von einem Verteidiger der Liturgie von 1962 geschrieben worden. Das „Dokument“ enthält alle Argumente, die auch in der gegenwärtigen Diskussion immer auftauchen.
Selektive Auswahl von Antworten
Was an der beigefügten Antwortauswahl auffällt: Der Großteil der angeblichen Zitate stammt aus den USA und Europa. Den Rest der katholischen Welt vertreten philippinische Diözesen, die Amerikanischen Jungferninseln, das Erzbistum Tokio und die mexikanische Bischofskonferenz. Zudem fehlt bezeichnenderweise die äußerst kritische Rückmeldung der französischen Bischofskonferenz. Darin ist unter anderem die Rede davon, dass Benedikts Motu proprio „de facto einen Bi-Ritualismus“ eingeführt habe. Im Februar 2021 veröffentlichte der traditionalistische Blog „Paix Liturgique“ die entsprechenden Originaldokumente.
Von einer repräsentativen Auswahl kann daher keine Rede sein. Folglich bezeichnete Vatikan-Pressesprecher Matteo Bruni Montagnas Enthüllungen am Donnerstag laut Katholischer Nachrichten-Agentur als „sehr partielle und unvollständige Rekonstruktion des Entscheidungsprozesses“. Er könne die Echtheit der Zitate nicht bestätigen.
Auch deutsche Antworten dabei?
Ähnliches erfuhr Kirche+Leben auf Anfrage von der Deutschen Bischofskonferenz (DBK). Man äußere sich nicht zu internen Dokumenten und werde daher die Antworten nicht verifizieren, so ein Sprecher. In der Sammlung zur Konsultation von 2020 finden sich zwei von Montagna der DBK zugeschriebene Zitate. Diese sollen demnach aus einem gemeinsamen Bericht der deutschen Bischöfe stammen.
Auf die Frage nach der Situation des „außerordentlichen Ritus“ in Deutschland heiße es laut Montagna zum Beispiel, dass das derzeitige Angebot den pastoralen Bedürfnissen der Gläubigen entspreche. Etwaige Konflikte seien in den vergangenen Jahren „friedlich“ beigelegt worden. Zum zukünftigen Umgang heiße es wiederum, dass sich die bisherige Praxis „bewährt“ habe und „aus pastoralen Gründen“ nicht geändert werden sollte.
Antworten sind teilweise bekannt
Desweiteren irritiert, dass viele Antworten aus Montagnas Sammlung seit langer Zeit bekannt sind. So tauchte eine Antwort („Die Außerordentliche Form hat es unter der umsichtigen Leitung des Ortsordinarius mehr Katholiken ermöglicht, nach ihren Wünschen zu beten, und hat die früheren Konflikte beigelegt. Ihre friedliche Präsenz sollte nicht gestört werden.“) in abgewandelter Form bereits 2021 in einem Artikel der Journalistin für das US-Magazin „The Remnant“ auf, das der Piusbruderschaft nahesteht.
Lediglich die Zuschreibung wird präziser: Während die Journalistin früher einen „englischen Bischof“ als Urheber nennt, gibt sie nun das Erzbistum Westminster an. Die Antworten dienten Montagna auch 2021 dazu, eine „geheime Geschichte“ hinter „Traditionis custodes“ zu behaupten. Papst Franziskus habe seine Entscheidung nicht auf Basis einer „fairen Konsultation“ getroffen.
Von einer gänzlich unerwarteten „Bombe“ kann also nur eingeschränkt die Rede sein. Es überrascht nicht, dass Montagnas Artikel auf einem Vortrag basiert, den sie 2021 auf der „Catholic Identity Conference“ hielt. Diese gilt als Treffpunkt der Traditionalisten-Szene in den USA. Im selben Jahr trat dort zum Beispiel auch der inzwischen exkommunzierte Apostolische US-Nuntius Carlo Maria Viganò auf.
Montagna: Ausgewiesene Franziskus-Kritikerin
Nicht zuletzt lässt Montagnas Biographie aufhorchen. Bisher war die Journalistin vor allem für Medien wie die das US-amerikanische Online-Magazin „LifeSiteNews“ oder die englische Zeitung „Catholic Herald“ tätig, die dem vergangenen Pontifikat kritisch bis ablehnend gegenüberstehen. 2019 veröffentlichte sie gar einen Gesprächsband mit dem deutsch-kasachischen Weihbischof Athanasius Schneider, der als scharfer Franziskus-Kritiker gilt.
Vor dem jüngsten Konklave machte Montagna durch das Projekt „The College of Cardinals Report“ auf sich aufmerksam. Viele Beobachter sahen darin den Versuch, die Papst-Wähler in einem kirchenpolitisch konservativen Sinne zu beeinflussen. Auf ähnliche Weise könnte Montagnas jetzige Veröffentlichung dazu dienen, Papst Franziskus in ein schlechtes Licht zu rücken und von seinem Nachfolger Leo XIV. eine liturgische Liberalisierung zu erzwingen.
Liturgische Veränderungen in den vergangenen 20 Jahren
Benedikt XVI. hatte die Messe nach dem Missale Romanum von 1962 als „außerordentliche Ausdrucksform“ des römischen Ritus wieder zugelassen. Er stärkte gegenüber den Diözesanbischöfen vor allem die Position der Priester und der Gläubigen, die der Liturgie von 1962 zuneigen. Folgerichtig berief sich der bayerische Papst bei seiner Entscheidung auf „inständige Bitten“. Allerdings sei „Zwietracht zu vermeiden und die Einheit der ganzen Kirche“ fördern.
Benedikts Nachfolger Franziskus schränkte die Feier der Messe nach dem Missale Romanum von 1962 wiederum deutlich ein. Die liturgischen Bücher von 1970 seien die „einzige Ausdrucksform“ des Römischen Ritus. Es müsse vor allem sichergestellt sein, dass traditionalistische Gruppen die „Gültigkeit und die Legitimität der Liturgiereform, der Bestimmungen des Zweiten Vatikanischen Konzils und des Lehramtes der Päpste“ nicht ausschließen.
Teils schrillen Angriffen von traditionalistischen Gruppen zum Trotz bekräftigte Franziskus mehrmals seine ablehnende Haltung gegenüber der Liturgie von 1962. So sprach er 2023 gegenüber ungarischen Jesuiten diesbezüglich von der Gefahr des „indietrismo“ („Rückständigkeit“). Benedikts „gute pastorale Maßnahme“ sei auf „ideologische Weise“ benutzt worden.
Randphänomen im Bistum Münster
Aus Deutschland sind keine weitreichenden Einschränkungen der Messe nach dem Missale Romanum von 1962 infolge von „Traditionis custodes“ bekannt. Jedoch bleibt sie ein auf wenige, meist städtische Zentren begrenztes Phänomen. Im Bistum Münster können Gläubige an mehreren Orten diese Liturgie feiern. In Münster bietet die Aegidii-Kirche wöchentlich zwei Messen an. In Recklinghausen hält die von Rom anerkannte Priesterbruderschaft St. Petrus solche Gottesdienste ab. Die schismatische Piusbruderschaft ist im Bistum Münster offiziell nicht vertreten.