Wilfried Prior über den „Sound seines Glaubens“

Von den „Toten Hosen“ bis Bach im musikalischen Fastenkalender

  • Wilfried Prior hat für seine Kirchengemeinde in Ibbenbüren einen musikalischen Online-Fastenkalender aufgelegt mit Musik von „Wir sind Helden“, Sarah Lesch und den „Toten Hosen“.
  • Inspiriert hat Prior dazu ein Erlebnis mit Soldaten während seiner Arbeit als Bildungsreferent beim Bistum Osnabrück.
  • Hinter der Musikliste steckt auch die Botschaft: „Raus aus unseren Gemäuern und Denkweisen, rein in die Welt!“

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Kein DJ der Welt käme auf die Idee, das Rocklied „Was zählt“ von den „Toten Hosen“ nach dem Taizé-Klassiker „Ubi Caritas“ in der Interpretation des Pianisten Ola Gjeilo aufzulegen. Doch in dem ungewöhnlichen Fastenzeitprojekt der katholischen Kirchengemeinde Ibbenbüren und Brochterbeck klingt das genauso: Wilfried Prior hat ehrenamtlich einen musikalischen Fastenkalender auf der Internetseite der Gemeinde zusammengestellt. Jeden Tag läuft ein anderer Song oder ein anderes Musikstück, mal tiefgehend, mal klassisch mit Orgel, mal im Singer-Songwriter-Stil oder von einer Popband.

„Das Projekt hat eine weite Vorgeschichte“, berichtet Wilfried Prior am Telefon. Der langjährige Referent im Haus Ohrbeck, einer Bildungseinrichtung des Bistums Osnabrück und des Franziskanerordens, hat auf Seminaren oft mit kirchenfernen Gruppen gearbeitet: „Soldaten oder Polizisten konnte ich mit einem Impuls, wie wir sie aus der Kirche kennen, nicht hinterm Ofen hervorlocken. Klangteppiche mit tiefsinnigen Texten gingen gar nicht, das empfanden sie als Zeitverschwendung“, berichtet der 55-jährige Theologe und Psychologe aus seinen Erfahrungen.

 

Metallica statt Klangteppich

 

Wilfried Prior.
Wilfried Prior aus Ibbenbüren. | Foto: privat

Er habe damals einen anderen Einstieg mit der Gruppe gewählt: Auf die Frage, welche Musik sie denn hören würden, hörte er die Antwort „Nothing else matters“, eine Rockballade der Heavy-Metal-Band Metallica. „Die Soldaten kamen gerade von einem Auslandseinsatz zurück. In dem Lied geht es sinngemäß um die Frage, was einem wirklich wichtig ist im Leben.“

Prior trug den übersetzten Text vor und spielte das Lied ein: „Anschließend hatte ich 16 von 18 Soldaten vor mir im Raum, die hatten Tränen in den Augen. Sie waren bei sich, sie waren bei ihren Gefühlen, und es war der Start in ein völlig anderes Seminar.“

 

Andere Wahrnehmung

 

Ein Schlüsselerlebnis für den Referenten, der nach 16 Jahren Bildungsarbeit heute für die Personalentwicklung beim Bistum Osnabrück verantwortlich ist. „Damals habe ich gemerkt, wie ich mit diesen Menschen arbeiten möchte - mit ihren Texten, mit ihren Liedern. Ich habe ganz viel von diesen Leuten gelernt.“

Mit einem befreundeten Kirchenmusiker hat sich der promovierte Theologe zusätzlich über die Jahre ausgetauscht und gelernt, Musik anders zu erfahren und wahrzunehmen: „Man kann auch sagen, ich habe angefangen, mit Musik zu beten. Ich lasse mir dann einen Moment Zeit, höre ganz bewusst ein Stück Musik, und komme so wieder bei mir an im hektischen, stressigen Alltag.“

Das kann auch im Auto passieren: „Dieses „Bei-sich-sein“ durch Musik ist ein Stück Vorgeschichte zu diesem Fastenkalender“, bringt es Wilfried Prior auf den Punkt.

 

„Ich bin kein Musiker“

 

Eigentlich habe er von Musik keine Ahnung, er spiele nur ein wenig Gitarre, sagt Prior, aber er sammelt CDs und Stücke auf verschiedenen Streaming-Diensten. Der Ibbenbürener Pfarrer Martin Weber wusste von seiner Hörleidenschaft und gab den Anstoß für das Projekt. Er übernahm auch die technische Realisation für die Playlist auf der Internetseite der Pfarrei. Wilfried Prior verteilte dann 47 Lieder auf die jeweiligen Tage.

Besonders haben es ihm Stücke der Leipziger Liedermacherin Sarah Lesch angetan, die mit „Licht“ einen inspirierenden Song über Corona und Hoffnung verfasst hat. Aber auch Werke von Johann Sebastian Bach, Gustav Mahler oder auch BAP, Bosse und „Ton Steine Scherben“ finden sich in der Playlist.

„Rio Reiser, der legendäre Kopf von ,Ton Steine Scherben‘, war Atheist. Er hätte sein Lied sicher nicht als Gebet verstanden. Aber er tröstet, er baut auf, er zeigt, was zählt. Im Refrain bleibt übrig ,Halt dich an deiner Liebe fest‘“, nennt Prior ein Beispiel aus seiner Auswahl. Weitere fromme Worte seien da gar nicht nötig, findet der Theologe und führt aus: „Wir sind in der Kirche gewohnt, unsere eigene Sprache zu benutzen, als würde Gott nur da existieren, wo Kirchenraum ist, wo so ein gewohnter Umgang mit Gott ist.“

 

Mit Liedfetzen raus aus kirchlichen Denkweisen

 

Aber Gott zu entdecken oder Handeln aus dem Glauben zu entdecken, das fände nicht im Binnenraum statt: „Wir sitzen auf den Sandburgen unserer Kirchen, die langsam austrocknen und von der Flut weggespült werden“, zeichnet er ein radikales Bild. „Wir wenden uns immer noch nicht der Welt zu. Wir müssen raus aus unseren Gemäuern, unserer Denkweise, aus unserer Sprache und rein in die Welt.“

Da reicht für ihn oft schon ein kurzer, prägnanter Satz: „Ich mag zum Beispiel Tracy Chapman sehr gerne, diese Textzeile in dem Lied „If not now – wenn nicht jetzt, wann dann?“, und der Apell „Fang doch an!“ passen eigentlich gut an den Beginn der Fastenzeit. Das ist so ein Satz, der kann sich über den Tag legen.“ Prior möchte die Impulse als Anregungen verstanden wissen, „an die man anknüpfen kann, als einen Gedanken, der öffnet, nicht als einen, der schließt.“

 

Gott taucht in den Liedern nicht auf

 

In diesem Sinn nimmt der Kalender unter dem Titel „Umkehr und andere Unmöglichkeiten“ Bezug auf die Fastenzeit, auch als Unterbrechung gängiger Denkmuster: „Gott taucht in den meisten Liedern nicht auf. Da ist keine Inflation dieses Wortes, sondern es ist die menschliche Erfahrung im Lied, im Orgelstück, die Hoffnung weckt, die frohe Botschaft bringt. Deswegen ist sie verständlich. Das ist mir wichtig in dieser Zusammenstellung.“

Wer über die reine Musik hinaus Input möchte, kann im Google-Kalender der Pfarrgemeinde den jeweiligen Tag anklicken und kurze Texte von Wilfried Prior passend zu den auf Spotify verlinkten Musikstücken lesen. Unter „Ubi Caritas“ am 2. März hat der Theologe aus Ibbenbüren zum Beispiel geschrieben: „Wo finden wir Gott? Die Antwort ist eigentlich ganz einfach: Wo Liebe ist, da ist Gott, egal welche Form sie hat.“

So gehört und gelesen, passen die „Toten Hosen“ und der Taizé-Gesang in der Playlist des Fastenkalenders dann doch recht gut zusammen…

Der musikalische Fastenkalender unter https://www.katholisch-ibb.de/fastenzeit-ostern-pfingsten. Oder nach Anmeldung beim Streamingdienst Spotify nach „Umkehren und andere Unmöglichkeiten“ suchen.

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